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VDMA-Handbook zum Funktechnologie-Vergleich

Mit Funk die Produktion auf das nächste Level heben

Viele industrielle Anwender stehen der Implementierung von Funksystemen in ihrer Produktion skeptisch gegenüber. Welches System ist geeignet? Was kostet es und welchen Nutzen stiftet es? Ein kürzlich veröffentlichtes Handbuch der VDMA-Arbeitsgemeinschaft WCM hilft den Firmen, viele dieser Fragen zu beantworten.

Bild: ©gualtiero boffi/shutterstock.com / VDMA e.V.

Bild: ©gualtiero boffi/shutterstock.com / VDMA e.V.

Die Kommunikationsinfrastruktur ist das Herzstück für die digitale Transformation in der Industrie. Immer mehr Daten werden etwa zur Steuerung, Überwachung und Wartung ausgetauscht, was zu eng vernetzten Fabriken führt. Während im privaten Bereich die drahtgebundene Kommunikation an Bedeutung verliert, ist sie im industriellen Umfeld noch die überwiegende Basis der Kommunikationsinfrastruktur. Doch mit zunehmender Digitalisierung stößt eine drahtgebundene Infrastruktur an Grenzen: So ist diese für eine Vielzahl von mobilen, beweglichen oder ‚endlos‘ rotierenden Anwendungen ungeeignet. Darüber hinaus verschleißen bewegte Kabel zu Sensoren und Werkzeugen in Montagerobotern oder ähnlichen Maschinen, was Risiken von hardwarebedingten Ausfallzeiten und hohen Kosten erzeugt.

Hebel für neue Anwendungen

Auch für massive IoT-Applikationen wie Machine Condition Monitoring und Prozessüberwachung über große Entfernungen sind Verkabelungen ungeeignet, wenn die bestehende Infrastruktur nicht ebenso massiv erweitert wird. Drahtlose Kommunikationssysteme werden daher wichtiger, um Infrastrukturen zu optimieren, zu ergänzen und auch um neuartige Anwendungen überhaupt erst zu ermöglichen. Die Einführung von drahtlosen Infrastrukturen im industriellen Umfeld bringt aber auch große Herausforderungen mit sich. Die Systeme und Konzepte aus dem Consumer-Bereich lassen sich in der Regel nicht direkt übernehmen. Zudem gibt es viele teilweise noch sehr junge Technologien, die versprechen, unterschiedlichste Anwendungsszenarien abzudecken – diese sind aber selten technisch erprobt und noch auf dem Weg zur Marktreife.

Auswahl erfordert Expertise

Die Erfahrungen der VDMA Arbeitsgemeinschaft Wireless Communications for Machines (VDMA WCM) mit dem Thema lassen bereits zwei Erkenntnisse zu: Bei den industriellen Nutzern gibt es großen Informationsbedarf, wie sich drahtlose Systeme zuverlässig nutzen lassen und vor allem KMU stehen hier vor großen Herausforderungen. Andererseits fragen sich viele Unternehmen, welche drahtlosen Technologien für ihre Anwendungen am besten geeignet sind und welche Vorteile sie gegenüber dem Kabel bieten. Diese Frage stellt sich nicht nur in Hinsicht auf die technologischen Eigenschaften, sondern auch auf die Marktreife der Technologie. Viele neue Technologien auf dem Markt bieten potenziell neue Anwendungsmöglichkeiten. Jedoch sind Funkkommunikationssysteme weder Selbstzweck, noch gibt es eine einzelne Technologie, die für alle Anwendungsfälle einsetzbar ist. Somit muss eine Funktechnologie immer im Kontext ihres Einsatzgebietes betrachtet werden, was Expertise in dieser Technologie benötigt.

Anforderungen und Umfeld

Die VDMA WCM will industriellen Nutzern ausgehend von den grundlegenden Anforderungen der Anwendung und deren Umfeld einen Leitfaden an die Hand geben, der es auch Nicht-Kommunikationsexperten erlaubt, einen technologieneutralen Überblick über vorhandene Technologien für die unterschiedlichen Anwendungsgebiete zu erhalten. Durch den Einsatz der passenden Funktechnologie können Unternehmen effizientere Produktionsprozesse, verbesserte Kommunikation und letztendlich eine Steigerung der Gesamtleistung und Wettbewerbsfähigkeit erreichen. Bei der Wahl der passenden Funktechnologie spielen Latenz, Datenrate, Reichweite, Zuverlässigkeit oder Energieeffizienz eine große Rolle. Gleichzeitig beeinflussen nicht-technische Aspekte die Einführung von drahtlosen Kommunikationssystemen, zum Beispiel: Datenablage in der Cloud vs. On premise oder zugelassene Frequenzbereiche. Diese Faktoren müssen Unternehmen berücksichtigen, um das Potenzial der Technologie zu nutzen. Je mehr Informationen einem Unternehmen zu diesen Aspekten vorliegen, desto zielgerichteter kann es entscheiden.

Anforderungen gruppieren

Die VDMA WCM beleuchtet diese Frage aus Sicht der industriellen Nutzer und stellt deren Anwendungsfälle an den Anfang. Dies dient dazu verschiedene vergleichbare Anwendungen zusammenzufassen und dafür technische und nicht technische Anforderungen zu definieren. Diese können dann sowohl mit den technischen als auch wirtschaftlichen Key Performance Indikatoren (KPIs) der Funktechnologien verglichen werden. Die genaue Kenntnis der Anforderungen hilft auch dabei, die Kosten und den Implementierungsaufwand während der Einführungsphase als auch im laufenden Betrieb einzuschätzen. Beispielhaft hat die VDMA WCM drei Referenz-Anwendungsfälle definiert, die zwar weit gefasst sind, dafür aber viele typische industrielle Applikationen abdecken:

  1. Verlässliche Kommunikation mit extrem niedrigen Latenzen (z.B. zur Steuerung von Maschinen).
  2. Sensornetze und IoT-Kommunikation (sehr viele Geräte / Sensoren mit individuell meist geringer Datenrate)
  3. Hohe Datenraten (Streaming in der bildgebenden Überwachung, Übertragen von großen Firmware- und Software-Images in die Produkte)

Anwendungsfälle nutzen

Für einen ersten Überblick wird ein Vergleich zwischen den Anforderungen und Eigenschaften jeder Technologieausprägung gemäß den Anforderungen aus dem Referenz-Anwendungsfall durchgeführt. So kann eine Liste potenziell geeigneter Technologien erstellt werden. Dabei geht es nicht um eine sehr genaue und möglicherweise komplexe Bewertung der Anforderungen, sondern um eine erste, für den Anwender möglichst leicht verständliche Einschätzung. Auf diese Weise wird das Spektrum der potenziell geeigneten Technologien eingegrenzt, so dass in einem zweiten Schritt nur noch wenige Technologien im Detail verglichen werden müssen. Hierfür können enger gefasste Anwendungsfälle benutzt werden. Dieser vereinfachte Gesamtprozess ersetzt nicht den Dialog zwischen allen Beteiligten. Denn in den Bewertungs- und Integrationsprozess fließen noch Faktoren ein, wie die benötigte Infrastruktur, der Aufwand bei der Integration, Retrofit, Skalierbarkeit, Interoperabilität, erforderliches Know-How, Aufwand und Kosten des laufenden Betriebs und die langfristige Perspektive.

Folgende Technologien werden behandelt: BluetoothLE, DECT-2020 NR, EchoRing, IO-Link Wireless, iPCF und iPCF MC, LoRaWAN, Mioty, sWave.NET, UWIN, Wirepas Mesh, Wi-Fi 4, Wi-Fi 6/6E, WiGig, 5G NR 3GPP mmWaves sowie 5G NR 3GPP Release 15 und Release 16. (Bild: VDMA e.V.)

Folgende Technologien werden behandelt: BluetoothLE, DECT-2020 NR, EchoRing, IO-Link Wireless, iPCF und iPCF MC, LoRaWAN, Mioty, sWave.NET, UWIN, Wirepas Mesh, Wi-Fi 4, Wi-Fi 6/6E, WiGig, 5G NR 3GPP mmWaves sowie 5G NR 3GPP Release 15 und Release 16. (Bild: VDMA e.V.)

Handbuch wird erweitert

Die Ansätze zur Auswahl und Integration sich schnell entwickelnder Kommunikationssysteme können so vielfältig sein wie die Industrie und deren Kundenwelt. Um die Potenziale und Herausforderungen bei ihrer Integration aufzuspüren, ist eine enge Zusammenarbeit und ein gemeinsames Verständnis zwischen allen Akteuren der Wertschöpfungskette gefragt. Das beginnt mit den Anforderungen der Applikationen. Die Arbeitsgemeinschaft VDMA WCM will Unternehmen dabei unterstützen, ihre eigene Vision von Konnektivität zu entwickeln und eigene Lösungsstrategien zu finden, wie sie drahtlose Technologien am besten nutzen können. Dazu bietet die Arbeitsgemeinschaft allen Beteiligten eine Plattform zum branchenübergreifenden Dialog. In der Publikation ‚Handbook – A Selection of Wireless Communications Technologies for Mechanical and Plant Engineering‘ werden unterschiedliche Funktechnologien zusammengefasst und wie oben beschrieben mit definierten Anwendungsfällen verglichen. Das Handbook wurde von Experten aus Industrie und Forschung zusammengestellt und einem intensiven Prüfungs- und Reviewprozess unterzogen, um eine neutrale Darstellung der Technologien sicherzustellen. Das Handbook soll kontinuierlich um neue Technologien erweitert werden. Dies ist ein erster Schritt in einem Prozess, der eine stetige und aufeinander aufbauende Arbeit erfordert, um Firmen bei allen Etappen der Integration dieser Kommunikationstechnologien zu begleiten.


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