Variantenfertigung im IT-System abbilden

Die Nachfrage nach Produktvarianten und Sonderanfertigungen steigt. Ein wichtiger Schlüssel für die effiziente Umsetzung von Variantenfertigung sind Standardisierung und Modularisierung der Bauteile. Seitens der Geschäftssysteme lassen sich solche Strategien mit der Erweiterung von Planungs- und Produktionssteuerung um branchenspezifische Prozesse und Szenarien unterstützen.

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Als Automobilfabrikant Henry Ford im Jahr 1914 die Produktion für das Modell Ford T auf Fließbandfertigung umstellte, gab er Interessenten den verblüffenden Rat: „Sie können den Wagen in jeder Farbe haben, sofern er schwarz ist.“ Tatsächlich wurde der Verkaufsschlager – auch als Tin Lizzy, also Blechliesel, bekannt – mit über 15 Millionen Stück in den folgenden Jahren nur in der Farbe Schwarz produziert. Die Gründe: Der schwarze Nitrolack trocknete schneller als andere Farbtöne und durch die Beschränkung auf eine Farbe reichte eine Lackierstraße aus, das sparte Kosten. Unter dem Strich war die Produktion so günstig, dass der Preis damals von 850 US-Dollar auf 370 US-Dollar gesenkt werden konnte. Heute ist die Serienfertigung längst nicht mehr auf nur eine Produktvariante beschränkt. Im Extremfall besteht eine Produktionsserie sogar aus der Losgröße 1 – hergestellt wird dabei nur ein einziges Stück. Als ideales Ziel gilt die kundenindividualisierte Massenfertigung, auch als ‚Mass Customization‘ bezeichnet, mit der die effiziente Massenfertigung mit der kundenspezifischen Einzelfertigung kombiniert wird. Wichtige Schlüssel für die Umsetzung sind die Standardisierung und die Modularisierung der Bauteile.

Produktvarianten zunehmend gefragt

Der Trend zu mehr Varianten wird vom veränderten Nachfrageverhalten der Kunden getrieben, die auf ihre individuellen Wünsche abgestimmte Produkte verlangen. Das gilt für viele Branchen und betrifft Privat- wie auch Geschäftskunden. Bei der Umsetzung dieser Wünsche geht die Variantenfertigung von einem Grundtyp aus, von dem weitere ähnliche Erzeugnisse hergestellt werden. Sie unterscheiden sich beispielweise nach Ausmaß, Format, Farbgebung oder Material. In der Regel erfolgt der gleiche Fertigungsablauf für die Herstellung der Varianten. Helmut Tiemann vom IT-Beratungshaus BTC Business Technology Consulting AG, Oldenburg, nennt das prozessorientierte Management als entscheidenden Faktor bei der Variantenfertigung: „Mit der Variantenvielfalt steigt die Komplexität der Abläufe, die Materialien und die Arbeitsgänge nehmen zu. Zugleich sind auch die Kosten im Griff zu behalten.“ So fehlt nach seiner Einschätzung in der Praxis etwa häufig die Möglichkeit einer kapazitativen Verprobung von Kundenaufträgen, was die Materialdisposition und die Festlegung von Lieferterminen erheblich verkompliziert.

Standardsysteme durch Branchen-Lösungen ergänzen

Enterprise Resource Planning-Systeme (ERP) wie SAP ERP lassen sich für die Unterstützung solcher branchentypischen Szenarien und Prozesse der Variantenfertigung durch Add-on-Lösungen ergänzen. Die Softwarebausteine helfen, den Fertigungsprozess durch branchenübliche Funktionen zu unterstützen. Dazu zählen beispielsweise Prgramme für Produktkonfigurierung beim Verkaufsgespräch oder Abfragen, um den Stand der Kapazitätsplanung etwa für kurzfristige Lieferzusagen zuverlässig zu ermitteln. Kernfunktionen für die Abwicklung von Fertigungsprozessen mit hoher Varianz liefern dabei vor allem Systemerweiterungen für drei Funktionsbereiche:

  • Kapazitätsplanung für Personal und Material
  • Reihenfolgeplanung im Fertigungs- und Beschaffungsprozess
  • Einbeziehung von Sonderanfertigungen in die Standardprozesse

Ein typischer Fall für die Variantenfertigung ist die Möbelbranche. Dort wird in der Regel eine Vielzahl an Produkten in unterschiedlichen Ausstattungsvarianten angeboten. Im Falle eines Küchenmöbelherstellers treffen zum Beispiel täglich 800 Aufträge ein – mit jeweils 40 bis 50 Bestellpositionen. Insgesamt fallen 20.000 Verlade-positionen und 50.000 Fertigungsaufträge pro Tag an. IT-Berater Tiemann erläutert den Einfluss, den eine IT-gestützte Abwicklung des Auftragsmanagements auf die Fertigungsprozesse haben kann: „Die laufende branchentypische Kapazitätsprüfung, bereits im Rahmen der Auftragsbearbeitungsprozesse, spielt hier eine ganz wichtige Rolle. Unter dem Strich werden die Bestandssicherheit und die Liefertreue erheblich gesteigert – und damit die Kundenfreundlichkeit erhöht und Kosten gesenkt.“

Kapazitätsplanung: ‚Töpfe‘ signalisieren Auslastung

Dazu bietet das Unternehmen die SAP-Erweiterung BTC VariantDirekt an. Die branchentypische Kapazitätsplanung unterstützt die Software dabei mit Hilfe von so genannten Kapazitätstöpfen, gegen die die Aufträge auf Zeitbasis – etwa pro Tag oder Woche – sowie nach Merkmalen verprobt werden. Zu den möglichen Produktmerkmalen zählen beispielsweise Produkthierarchie, Ausführung oder Oberfläche. Droht die Überfüllung eines Kapazitätstopfes, wird ein Auftrag durch die Software für weitere Schritte, wie etwa Auftragsbestätigung oder Bedarfsplanung, gesperrt und eine Klärung veranlasst. Als mögliche Handlungsalternativen erfolgen dann beispielsweise eine optimierte Zuordnung des Personals zur Linie und die damit verbundene dynamische Ermittlung der neu geplanten Bearbeitungszeiten, die Anpassung des Kapazitäts- angebotes oder – als ‚worst case‘ – die Verschiebung des Kundenauftrags in die Folgewochen.

Lieferung in der richtigen Reihenfolge

Reihenfolgen spielen in der Variantenproduktion durch die größere Materialvielfalt eine immer wichtigere Rolle. Das zeigt der Trend zu Just-in-sequence-Lieferprozessen (JIS). Der englische Ausdruck steht frei übersetzt für ‚Genau in der richtigen Reihenfolge‘. In der Praxis bedeutet dieser Ansatz, dass die Zulieferer das Material zeitlich nach einer vom Auftraggeber vorgegebenen Folge bereitstellen müssen. Damit werden bei der Weiterverarbeitung Lagerplatz und Umladevorgänge gespart und so der Materialfluss optimiert. Externe und interne Lieferanten sind dabei gleichermaßen in den Beschaffungsprozess einbezogen: Je nach Planungsstand wird eine Liefervorschau pro Kalenderwoche, mit anschließender Detaillierung auf Tage und frei definierbare Zeitabschnitte, bereitgestellt. Zum Stichtag erfolgt der konkrete Abruf des Materials mit genauer Anweisung, mit welchem Transportmittel und in welcher Reihenfolge ans Band anzuliefern ist. Im Falle der Variantenfertigung erzeugen innerbetriebliche Materialtransporte durch die höhere Vielfalt der Materialien, Vorstufen und Produkte dabei zusätzlichen Aufwand. Deshalb bietet sich zur Effizienzverbesserung die softwaregestützte Bildung und Disposition von Transportgruppen an. Als Gruppierungsmerkmale können dabei unter anderem Versand- und Produktionstag, Zugehörigkeit zu einer Montage- oder Transportgruppe oder der vom Auftraggeber geforderte Transportmitteltyp dienen.

Einbezug von Abläufen aus der Sonderfertigung

Trotz der Ausweitung des Produktangebots aus der Linienfertigung durch Varianten sind Sonderanfertigungen in vielen Betrieben weiterhin ein wichtiges Thema. Das Problem dabei: Sie lassen sich oft nicht in die Linienfertigung einpassen und verursachen damit erheblichen Aufwand. Ein Schritt für die Einbeziehung von Konstruktionslösungen ist die Abbildung und Erfassung von eingehenden Sonderanfertigungen. Dabei werden Arbeitsschritte wie die Anlage von Auftragsstücklisten, die Einplanung von Aufträgen auf die Linie oder auf Arbeitsplätze der Sonderfertigung sowie die Erstellung und Bereitstellung von Zeichnungen oder Bohrprogrammen nach einem vorgegebenen Regelwerk automatisch erfasst und reproduzierbar abgebildet. Für viele Prozessschritte fallen damit von der Sachbearbeitung bis zum Versand manuelle Eingriffe weg. Eine oft separat geführte Sonderanfertigung lässt sich damit leichter in die Linienproduktion einbeziehen.

Funktionen für die Variantenfertigung

Bild: BTC

BTC VariantDirekt ist ein Add-on der BTC Business Technology Consulting AG für die SAP-basierte Produktionssteuerung. Die Software bietet zur Unterstützung von produzierenden Unternehmen zahlreiche Funktionen wie unter anderem:

  • Branchentypische Kapazitätsplanung im Rahmen der Auftragsbearbeitungsprozesse
  • Integration von Sonderanfertigungen
  • Periodenbasierte Terminierung und Versandabwicklung
  • Reihenfolgenplanung und Transportmittelsteuerung für die Materialbereitstellung
  • Ladelistensteuerung und integrierte Tourenplanung
  • Wissensbasis für die Abbildung von Produktdaten- und Konfigurationsmodell
  • Fehlteil- und Nacharbeitsabwicklung