Serie: Reifegrad Industrie 4.0 (Teil 1 von 3)

Transformation zum agilen Unternehmen

Seit Jahren bestimmt Industrie 4.0 die Diskussionen um die Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit produzierender Unternehmen. Der Kern von Industrie 4.0 steht für die Transformation zu einem agilen Unternehmen, um die Produktivität signifikant zu erhöhen, flexibel auf Änderungen zu reagieren und Entscheidungen datenbasiert zu treffen. Das Potenzial ist erkannt, aber die Umsetzung der digitalen Transformation ist herausfordernd. Der Acatech Industrie 4.0 Maturity Index unterstützt Unternehmen dabei.

 

Das zunehmend kompetitive Marktumfeld in Deutschland geht mit einer hohen Veränderungsdynamik für produzierende Unternehmen einher. Die daraus resultierende Komplexität stellt neue kulturelle, organisationale als auch technologischen Anforderungen an Unternehmen, um agil auf Veränderungen zu reagieren und sich somit langfristig am Markt behaupten zu können. Es gilt auf Basis von Informationen systematisch zu lernen und schneller die richtigen, aber auch besseren Entscheidungen zu treffen. Im systematischen Lernen und der Beschleunigung unternehmerischer Entscheidungs- und Anpassungsprozesse liegt der wesentliche wirtschaftliche Hebel von Industrie 4.0. Dies gilt sowohl für Effizienzverbesserungsprozesse in der Produktion als auch für die Ausrichtung ganzer Unternehmensbereiche oder Anpassungen im Geschäftsmodell. Die Verbindung der technologischen, aber vor allem organisatorischen Bausteine ermöglicht so Agilität als zentrale Fähigkeit für Unternehmen in Industrie 4.0.

Agilität als Chance

Das agile Unternehmen ist die wesentliche Chance für produzierende Unternehmen in Industrie 4.0. Studien zufolge ist Industrie 4.0 bereits für die meisten produzierenden Unternehmen ein relevantes Thema – sie scheitern jedoch häufig an der Implementierung. Wesentlicher Grund hierfür ist die Unklarheit über den konkreten Nutzen von Industrie 4.0 und der einzelnen Implementierungsschritte im Rahmen einer definierten Strategie für ein übergeordnetes Ziel. Viele der bislang durchgeführten Projekte stellen daher lediglich Insellösungen in Form von Machbarkeitsstudien dar, welche nicht oder nur unzureichend in die Prozesslandschaft des Unternehmens integriert sind. Der Industrie 4.0 Maturity Index gibt produzierenden Unternehmen einen ganzheitlichen Leitfaden an die Hand, wie sie individuell den Weg zum agilen Unternehmen gestalten können und welche Schritte dazu notwendig sind. Hierzu ermittelt der Index den Status Quo der Industrie 4.0-Fähigkeiten aus technologischer, organisatorischer und kultureller Perspektive, über den gesamten Wertschöpfungsprozess im Unternehmen hinweg. Aus dem vorher definierten Ziel sowie der Analyse lässt sich ein individueller Maßnahmenkatalog ableiten, der als nutzenorientierte Roadmap dient. Für die Unternehmen kann so ein gewinnbringender Fahrplan zur Einführung der mit Industrie 4.0 verbundenen Konzepte erarbeitet werden. Das Modell folgt dabei einem reifegradbasierten Ansatz, der das Thema Industrie 4.0 in diskrete Nutzenstufen einteilt und so handhabbar macht. Diese Entwicklungsstufen zeigen Unternehmen die Grundvoraussetzungen für Industrie 4.0 bis zur vollständigen Umsetzung auf. Eine ganzheitliche Betrachtung gelingt dabei durch die vier Gestaltungsfelder Ressourcen, Informationssysteme, Organisationsstruktur und Kultur, in denen jeweils spezifische Industrie 4.0-Fähigkeiten für die Entwicklungsstufen erreicht werden müssen. Ausgehend vom der unternehmensspezifisch angestrebten Entwicklungsstufe, die abhängig von verfolgter Geschäftsstrategie sowie Nutzen und Aufwand ist, wird ein individueller Entwicklungspfad zur Umsetzung von Industrie 4.0 erstellt. Ausgangspunkt für den Entwicklungspfad und bereits Grundlage für die Digitalisierung ist die Computerisierung. Während diese den isolierten Einsatz von Informationstechnologien im Unternehmen beschreibt, stellt die Konnektivität durch verknüpfte IT-Systeme zur Spiegelung der Kernprozesse des Unternehmens, die Vorstufe zu Industrie 4.0 dar. Aufbauend darauf, wird durch den umfassenden Einsatz von Sensorik in den Prozessen eine digitale Sichtbarkeit geschaffen. In diesem Zusammenhang spricht man vom digitalen Schatten, der einen Prozess hinreichend genau digital abbildet. Um zu verstehen, warum etwas passiert, bedarf es weiterführender Transparenz über die Wirkungszusammenhänge in den Datenbeständen. Aufgenommene Daten werden kontextbasiert analysiert, um Prozesswissen zu explizieren und entscheidungsrelevante Entscheidungen daraus abzuleiten. Darauf basierend können Unternehmen den digitalen Schatten in die Zukunft projizieren, also Prognosen treffen. Durch die Antizipation bevorstehender Ereignisse können Entscheidungen rechtzeitig getroffen und Reaktionsmaßnahmen eingeleitet werden. Die Voraussetzung für ein automatisches Handeln und die Selbstoptimierung wird hierdurch geschaffen.

Der Industrie 4.0 Maturity Index gibt produzierenden Unternehmen einen ganzheitlichen Leitfaden an die Hand, wie sie individuell den Weg zum agilen Unternehmen gestalten können und welche Schritte dazu notwendig sind. Bild: FIR e. V. an der RWTH Aachen
Der Industrie 4.0 Maturity Index gibt produzierenden Unternehmen einen ganzheitlichen Leitfaden an die Hand, wie sie individuell den Weg zum agilen Unternehmen gestalten können und welche Schritte dazu notwendig sind. Bild: FIR e. V. an der RWTH Aachen

IT-Systeme entscheiden

Durch kontinuierliche Adaptierung wird ein Unternehmen schließlich in die Lage versetzt, Entscheidungen autonomen IT-Systemen zu überlassen und sich ohne Zeitverlust entsprechend den veränderten Rahmenbedingungen im Geschäftsumfeld auszurichten. Diese Entwicklungsstufen sind ganzheitlich im Unternehmen zu erreichen. Im Allgemeinen wird unter Industrie 4.0 mehr als eine technologische Revolution verstanden. Um das Ziel eines agilen Unternehmens zu erreichen, bedarf es neben den technologischen Gestaltungsfeldern ebenfalls ein Wandel in der Organisationsstruktur und der Unternehmenskultur. Im Detail lassen sich die zuvor beschriebenen sechs Reifegradstufen auf die folgenden vier Gestaltungsfeldern projizieren. Unter den Ressourcen des Unternehmens werden alle physisch greifbaren Produktionsfaktoren verstanden, zum Beispiele Personal und Maschinen. Ziel ist es, die Ressourcen so auszugestalten, dass sie eine Schnittstelle zwischen digitaler und physischer Realität bilden. Für die strukturierte Kommunikation bedarf es einerseits einer gesteigerten Effizienz der Kommunikation und einer bedarfsgerechten Bereitstellung von Schnittstellen. Die digitale Befähigung erwächst aus der Nutzung eingebetteter Systeme und der automatisierten Erzeugung von Rückmeldedaten. Die Aufgaben der Informationssysteme sind die Bereitstellung, Verarbeitung, Speicherung und Übertragung von Daten und Informationen. Ihr korrekter Einsatz ist essentiell für eine schnelle Verarbeitung von Daten zu Informationen, welche im Anschluss zur Entscheidungsfindung bereitgestellt werden. Dazu müssen die Informationssysteme vertikal und horizontal vernetzt werden und mit standardisierten Schnittstellen ausgestattet werden, um flexibel reagieren zu können. Die Organisationsstruktur beschreibt die prozessuale Einbindung der bislang beschriebenen, technologischen Befähigungen im Unternehmen. Neue Technologien erfordern eine Umgestaltung der Wertschöpfungsprozesse im Unternehmen. Im Wertschöpfungsnetzwerk ist eine angemessene Positionierung des Unternehmens zu wählen. Zuletzt ist es essentiell, die Unternehmenskultur auf die Anforderungen eines agilen Unternehmens hin anzupassen. Neben der passiven Bereitschaft, sich an die neuen Umweltbedingungen anzupassen, geht es auch um die aktive Bereitschaft, Gestaltungsmöglichkeiten zu erkennen und voranzutreiben.

Umgestaltung erforderlich

In einem Assessment kann der Industrie 4.0-Reifegrad eines Unternehmens auf Basis der vorhandenen Fähigkeiten in den verschiedenen Gestaltungsfeldern bestimmt werden. Hierfür findet eine entsprechende Untersuchung vor Ort in allen wertschöpfenden Bereichen des Unternehmens statt. Mit dem Zielbild lassen sich Rückstände in einzelnen Bereichen aufdecken und aus den zugrundeliegenden Fähigkeiten heraus werden Maßnahmen abgeleitet. Jede Maßnahme entspricht dabei einem konkreten Nutzen, der das Unternehmen auf ihrer Industrie 4.0-Roadmap weiterbringt.

Stufen des Industrie 4.0-Entwicklungspfades. Bild: FIR e. V. an der RWTH Aachen
Stufen des Industrie 4.0-Entwicklungspfades. Bild: FIR e. V. an der RWTH Aachen

 

Industrie 4.0 Maturity Index

Der Acatech Industrie 4.0 Maturity Index wurde unter der Leitung des FIR an der RWTH Aachen entwickelt. Weitere Projektpartner sind das Heinz-Nixdorf-Institut der TU Paderborn, das Fraunhofer IML in Dortmund, das DiK der TU Darmstadt sowie das DFKI in Saarbrücken. Beteiligte Unternehmen sind PTC, Infosys, TÜV SÜD und der Cluster it’s OWL. Die Ergebnisse werden zur Hannovermesse in einer Acatech Studie veröffentlicht. Für Interessenten besteht die Möglichkeit am Dienstag, den 25. April 2017 an einem Executive Event im Convention Center teilzunehmen. Anmeldung unter www.i40.acatech.de

Dieser Artikel ist der erste Teil einer dreiteiligen Serie. Der nachfolgende Artikel wird sich im speziellen mit den für Industrie 4.0 erforderlichen Fähigkeiten auseinandersetzen. Abschließend wird der dritte Artikel Praxisanwendungsbeispiele für den Industrie 4.0 Maturity Index behandeln.





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