Systeminvestitionen langfristig planen

Entscheidungshilfe MES oder BDE/MDE

Vorteile und Nutzen eines IT-Systems zur Unterstützung der Produktion liegen für viele Verantwortliche auf der Hand, sobald sie sich eingehend mit dem Thema beschäftigt haben. Und auf der Suche nach geeigneter IT-Unterstützung für die Optimierung der Produktion führt kein Weg am Begriff ‚Manufacturing Execution-System‘ vorbei. Doch für den Einsatz im Betrieb kommen auch ‚kleine‘ Lösungen zur Betriebs- und Maschinendatenerfassung infrage.

Noch nie wurde ein Unternehmen mit dem Ziel gegründet, dort eine Software zur Produktionsunterstützung einzuführen. Vielmehr sollen produktionsnahe IT-Lösungen Fertiger unterstützen, ihre Abläufe zu optimieren. Eine Software ist jedoch kein Allheilmittel. Wer keine klaren Ziele und Maßstäbe für Einführung und gewünschter Leistung einer Lösung festlegt, erfährt möglicherweise die Bedeutung des beliebten Sprichworts „Wer sein Ziel nicht kennt, darf sich nicht wundern, wenn er woanders ankommt“ am eigenen Leib. Um einen klaren Blick auf Anforderungen und Abteilungsbedürfnisse zu bekommen, gilt es vor der Entscheidung für eine Systemart daher, alle benötigten Personen ins Boot zu holen. Denn nur wer sich als so genannter ‚Stakeholder‘ mit dem Projekt identifiziert, treibt es auch ziegerichtet voran. Schließlich müssen die zahlreichen Unternehmensbereiche bei der späteren Arbeit mit dem System verschiedene Aufgaben erledigen, bei deren Bewältigung sie bestimmte Funktionen im IT-System benötigen und außerdem weitere Funktionen im System anfragen, die allgemein die Arbeit erleichtern sollen.

Anforderungsnetz aus dem Betrieb

Als Beispiel dient ein Unternehmen mit rund 1.500 Mitarbeitern, das an drei Standorten Spezialteile für die Maschinenbauindustrie herstellt. An den Standorten werden bei ähnlicher Produktionslandschaft weitestgehend unterschiedliche Produkte hergestellt. Beim Blick auf die vielfältigen Abteilungsbedürfnisse wird ersichtlich, dass die Anforderungen der Geschäfts- und Unternehmensführung am wenigsten direkt auf ein IT-gestütztes Produktionssystem bezogen sind. Denn die Unternehmensleitung benötigt MES oder Betriebs- und Maschinendatenerfassung (BDE/MDE) als Instrument, um grundlegende Anforderungen etwa an Rendite und Umsatzvolumen fristgerecht zu erfüllen. Für die IT-Administration wiederum ist Produktionssoftware lediglich eine weiteres System im Unternehmen, das administriert werden muss, weswegen bei der Auswahl speziell auf die Konformität mit im Unternehmen geltenden IT-Richtlinien geachtet werden wird. Im Blickfeld stehen Anforderungen wie ständige Systemverfügbarkeit, einheitliche Systemlandschaft an allen Standorten und einfache Aktualisierung. Die Bedürfnisse produktionsnaher Abteilungen lassen sich meist einfacher in Anforderungen an die Software in der Fertigung umsetzen, hier ergeben sich die Anforderungen außerdem oftmals aus den Vorgaben der übergeordneten Betriebsebene. Dazu zählen etwa die flexible Reaktion auf Aufträge, regelmäßige Informationen an die Geschäftsleitung sowie eine automatisierte Produktionsplanung etwa auf Basis von Daten aus dem Enterprise Resource Planning-System (ERP). Im Idealfall entstehen so Anforderungsnetze, deren Bedarfsprofile sich ergänzen und zurück verfolgen lassen.

Bild: Freudenberg IT

Eine Frage des Budgets

Um sicherzustellen, dass die gesteckten Ziele mit der Einführung einer Produktionssoftware auch erreicht werden, lohnt es sich die Anforderungen beispielsweise nach allgemeinen Anforderungen und Anforderungen einzelner Fertigungsprozesse oder Produktionsbereiche zu gruppieren. Dabei gilt es auch, aktuellen Gegebenheiten zu berücksichtigen:?Erfüllt etwa die im Unternehmen eingesetzte ERP-Software alle Voraussetzungen an die Auftragsfeinplanung, muss im produktionsnahen System keine weitere Feinplanung erfolgen. Unabhängig von der Entscheidung ob MES oder BDE/MDE stellt sich die Frage nach dem einzusetzenden Budget.

Im einfachsten Fall werden dazu ‚harte‘ und ‚weiche‘ Faktoren ermittelt und quantifiziert, abschließend summiert und mit dem vorgegebenen Amortisierungszeitraum (Return-on-investment, ROI) multipliziert. Harte Faktoren sind Verbesserungspotenziale, die direkt errechnet werden können. Soll nach der Einführung des Systems der Maschinenpark zum Beispiel zu 85 Prozent statt bisher 80 Prozent genutzt werden, kann anhand der aktuellen Wertschöpfung des Maschinenparks die Differenz zur aktuellen Wertschöpfung als Faktor ermittelt werden. Auch gesetzliche Vorgaben können harte Faktoren sein. Das kann etwa der Fall sein, wenn Vorschriften bestimmte Abläufe und Dokumentationen verlangen, die nur mit einem IT-System erfüllt werden können – und ein Nichterfüllen dieser Vorschriften einen massiven Auftragsrückgang bedeuten würde. Bei den weichen Faktoren geht es oftmals um die Frage „Was ist es uns wert, dass …?“ Ist zum Beispiel zu erwarten, dass die Personalfluktuation bei den Maschinenführern aufgrund verbesserter Arbeitsverhältnisse durch das neue System sinkt, können Einsparungen etwa bei Personalsuche und Einarbeitung grob geschätzt und als Faktoren aufgenommen werden. Das so ermittelte Budget teilt sich auf in intern benötigte Mittel für Systemauswahl, Projektleitung, Workshops und Schulungen sowie externes Budget, das für die Systemeinführung zur Verfügung steht und etwa für Hardware, Software, und Dienstleistungen aufgewendet wird. Eine fixe Formel hierfür existiert nicht, die Praxis zeigt aber, dass eine 20:80-Aufteilung in vielen Fällen zutreffen dürfte.

Der Blick auf die Systemfunktionen nach VDI 5600 zeigt: Lösungen für BDE/MDE und MES-Systeme teilen sich zahlreiche Kernfunktionen. Bild: Freudenberg IT

BDE/MDE als Teil des MES

Vor der endgültigen Entscheidung zwischen MES und BDE/MDE stellt sich noch die Frage, worin genau sich Systeme für BDE/MDE und MES unterscheiden. Die im deutschsprachigen Raum gebräuchliche VDI-Richtlinie 5600 zeigt, dass MDE und BDE?zu einer der acht Hauptaufgaben eines MES gehören, namentlich der Datenerfassung. Da die meisten BDE/MDE-Systeme über Schnittstellen etwa zu ERP-Anwendungen verfügen, erfüllen die Systeme auch die Anforderung der Richtlinie an das Informationsmanagement. Je nach Ausprägung können BDE/MDE-Systeme weitere MES-Charakteristika aufweisen, etwa die Zuordnung der Artikelnummer zu Artikelbezeichnung und Artikelgewicht aus dem Bereich Materialmanagement. BDE/MDE-Lösungen stellen im Prinzip einen Bestandteil eines MES dar, vereinfacht formuliert: Alles, was BDE/MDE kann, kann MES auch.

Das Gesamtsystem entscheidet

Ungeachtet theoretischer Zuordnungen verlaufen die Grenzen zwischen ERP, MES und Produktionsprozess oftmals fließend. So wird in einigen ERP-Systemen teilweise MES-Funktionalität abgebildet. Das Gleiche gilt für verschiedene Systeme, die den Fertigungs-/Produktionsprozess unterstützen. Die Entscheidung hängt also letztendlich neben der Kostenentscheidung auch von der existierenden Systemlandschaft und langfristigen Strategie des Unternehmens ab: Soll Fertigungsplanung und -steuerung überwiegend über existierende ERP-Bausteine ablaufen, kann sich der Einsatz einer ergänzenden Einzellösung für BDE/MDE lohnen. Steht hingegen in Zukunft eine tief integrierte Echtzeitsteuerung auf der Agenda, rechnet sich der Einsatz eines MES. Wer sich alle Wege offen halten will, dürfte ebenfalls mit einer MES-Lösung am besten beraten sein:?Viele der System arbeiten modular, so dass sich initial ein günstiges BDE/MDE-Modul einführen lässt, das später bei Bedarf etwa um Feinplanungskomponenten erweitert werden kann.