System-Anforderungen durch Mass Customization

Variantenfertigung ist nicht mehr nur ein Thema für Unternehmen des Maschinen- und Anlagenbaus: Der Begriff ‚Mass Customization‘ beschreibt die Anforderung, individualisierte Produkte für Endkunden herzustellen – die mögliche Anzahl der Varianten wird dabei erst durch das Ende des technisch Machbaren definiert. Entsprechend muss auch die Unternehmenssoftware eine hohe Anzahl von Varianten handhaben können.

Eine vom Standard abweichende, technische Merkmalskombination hat auch Auswirkungen auf die Stückliste. Entsprechend müssen Variantenfertiger in ihren IT-Systemen zahlreiche Abhängigkeiten durchgängig abbilden können. Bild: Infor

Schokolinsen mit Aufschrift, Turnschuhe in der Lieblingsfarbe, Parfumflakons mit Eigenkreation und Widmung: Insbesondere im Segment der sogenannten Fast Moving Consumer Goods sind individualisierte Produkte seit Jahren ein wachsender Trend. Belegt mit dem Etikett ‚Mass Customization‘ geht es darum, Kunden und deren individuelle Wünsche bereits in den Produktdesignprozess einzubinden. Bezogen auf Produzenten führt Mass Customization die klassische Variantenfertigung noch ein Stück weiter: Letztere ist traditionell im Business-to-Business-Segment wie etwa im Maschinen-, Geräte- und Messtechnikbau zu finden und eher durch technische Begebenheiten als durch Kreativität begrenzt. Beides stellt Fertiger jedoch vor die gleichen Herausforderungen: Mit der Variantenvielfalt werden Prozesse komplexer. Es gilt mehr Arbeitsschritte zu berücksichtigen und mehr Materialien bereitzustellen, ohne dass steigende Kosten die Marge drücken. Den Rahmen für die Gestaltungsfreiheit seitens des Herstellers setzt vielfach ein Baukastensystem.

Von der Auftragserfassung bis zur Produktkonfiguration

Die Komplexität von Varianten entsteht bereits früh in der Vertriebsphase bei der Erstellung des Angebots – nicht erst bei der technischen Umsetzung. Marketingmaterial, beschreibende Texte, Preise und Angebote müssen die Variantenvielfalt reflektieren. Je präziser die Möglichkeiten innerhalb der Auswahl definiert sind, desto weniger Nachfragen seitens der Kunden gibt es später – und desto effizienter kann ein eingehender Auftrag an die Produktion übergeben werden. Beispiel geschlossene und offene Merkmale: Während bei Farben oft eine endliche Anzahl an Möglichkeiten vorgegeben wird, ist die Auswahl bei Maßen prinzipiell offen – zumindest im Rahmen des technisch Machbaren. Die klassische Auftragsbearbeitung konzentriert sich auf eben diese geschlossenen und offenen Merkmale, die im Vertriebsprozess ausgewählt worden sind. Diese müssen aber nicht automatisch alle relevanten technischen Merkmale widerspiegeln. Ein häufiger Fall: Ausgewählte Designmerkmale erfordern eine vom Standard abweichende technische Merkmalskombination – mit Auswirkungen auf die Stückliste. Müssen diese Ergänzungen per Hand vorgenommen werden, entsteht für den sonst weitgehend automatisierbaren Prozess der Stücklistenerstellung ein immenser Mehraufwand. Hier sind Enterprise-Resource-Planning-Systeme (ERP) gefragt, mit denen sich die Prozesse von der Auftragserfassung samt Produktkonfiguration über die Produktionsplanung- und Steuerung, Materialwirtschaft und Einkauf bis hin zur Auftragsverfolgung und Distribution durchgängig steuern lassen.

Bild: Autor Guido Herres.

Durchgängiger Datenaustausch für schlanke Prozesse

Für die Variantenfertigung stehen integrierte ERP-Funktionen genauso zur Verfügung wie Speziallösungen, die gängige Systeme um Module für Produktkonfiguration, Kapazitäts- und Reihenfolgenplanung sowie die Produktion von Sonderanfertigungen ergänzen. Um ein geeignetes IT-System zu identifizieren, sollten einige Kriterien berücksichtigt werden: Nicht nur Logik und Stammdaten – einschließlich Artikeln, Stücklisten, Arbeitsplänen, Preisen und Konditionen – müssen zwischen den Lösungen austauschbar sein. Mit Informationen aus einem Varianten-Modul sollte sich jedes Feld in der Datenbank der ERP-Software aktualisieren lassen, zum Beispiel Angaben zum durch die Konfiguration ermittelten Gewicht. Hier greifen adaptierte Lösungen mitunter zu kurz; ein möglicher Lösungsweg für die Integration kann über eine standardbasierte Middleware führen. Voraussetzung ist, dass diese auch als Workflow-Engine fungiert und Änderungen schon während der Auftragsbearbeitung in die Prozesse einsteuern kann – beispielsweise mithilfe einer Web-Service-Architektur. Zudem sollte das System dem Anwender gestatten, zügig auf Sonderwünsche zu reagieren.

Der Klassiker: Der Kunde hat geäußert, dass er sich für ein Produkt mit einer individuellen Konfiguration entschieden hat. Doch dann folgt ein ‚Aber…‘ mit einem komplizierten Sonderwunsch. Es ist anspruchsvoll, Besonderheiten, die noch nicht völlig durchdacht sind, in den Prozess aus Bestellung, Materialbeschaffung und Produktion zu integrieren. Dazu stellen ERP-Systeme, die zur Unterstützung von Variantenmanagement ausgelegt wurden, oft Funktionen bereit, um neue, unbekannte Varianten als kundenauftragsbezogene Fertigung darzustellen. Auf dieser Basis können die auftragsbezogenen Daten gezielt optimiert werden. Bei vielen Produkten spielen zudem Emotionen eine entscheidende Rolle für die Kaufentscheidung, etwa bei Autos von Premiummarken oder Luxusgütern wie Segelyachten. Entsprechend ist auch das Design ein wichtiger Teil des Verkaufsprozesses und sollte grafisch professionell dargestellt werden. Dazu halten Produktkonfiguratoren zunehmend Technologien vor, um Module für eine automatisierte Erstellung von 2D- und 3D-Modellen einzubinden. Idealerweise generiert eine geometrische Engine die Zeichnungen parallel zur Dateneingabe und kann sie in den gängigen CAD-Formaten ausgeben. Ein weiterer Vorteil ergibt sich, wenn der grafische Konfigurator nicht nur herstellerinterne Lösungen bestückt, sondern den Prozess bereits beim Händler oder im Online-Shop unterstützt.

Bestmögliche Unterstützungfür den Kundenbetreuer

Kundenservice nimmt in der Variantenfertigung einen wichtigen Stellenwert ein. Das fängt bei der Konfiguration an, geht über die pünktliche Lieferung und reicht bis zum Wartungsservice über den gesamten Lebenszyklus des Produkts. Sinnvoll ist daher, wenn sich im ERP-System je Auftrag die Produkthistorie samt Garantien hinterlegen lässt und Kundenbetreuer darauf zugreifen können. Damit können Kunden bei Wartungsanfragen oder Neuaufträgen kompetent beraten. Je simpler und ansprechender dabei die Oberfläche eines ERP-Systems ist, desto besser stehen die Chancen auf Mitarbeiterakzeptanz. Dabei ist die Entwicklung zu beobachten, dass Lösungen Listen- und Formularansichten durch das Kommunikationsdesign von Social Networks wie Twitter oder Facebook austauschen.

Für den Vertriebsmitarbeiter sollte zudem die Möglichkeit gegeben sein, Konfigurationen auf mobilen Geräten zu erstellen. Nach aktuellen Erkennissen streben Anbieter danach, dynamisch anpassbare Benutzeroberflächen bereitzustellen, die je nach Anwenderrolle, Gerätetyp, Standort und Aufgabe die passende Produktansicht, Sprache, Währung und Preiskalkulation anzeigen. Dieser Ansatz sollte sich nicht auf den lokalen Markt beschränken: International aufgestellte Systeme können verschiedene Sprachen, Währungen und Maßeinheiten abbilden und so individuellen Service über Marktgrenzen hinweg sicherstellen.