Jürgen Hahnrath von Cisco:

„Standards haben immer gegen Abschottung geholfen“

Der Netzwerkspezialist Cisco ist Mitgründer des amerkanischen Industrial Internet Consortium (IIC) und suchte als eines der ersten dort engagierten Unternehmen den Schulterschluss mit dem deutschen Pendant, der Plattform Industrie 4.0. Dahinter steht das Streben, mit industrietauglichen Angeboten auf Ethernet-Basis das Fundament für elaborierte Internet-of-Things-Anwendungen zu legen. Wir haben mit Jürgen Hahnrath, Head of loT Solutions Germany bei Cisco, unter anderem über OPC UA und den neusten Stand der echtzeitfähigen Protokolle TSN gesprochen.

Jürgen Hahnrath, Head of IoT Solutions Germany, Cisco Systems (Bild: Cisco Systems GmbH)
Jürgen Hahnrath, Head of IoT Solutions Germany, Cisco Systems (Bild: Cisco Systems GmbH)

Cisco hat zur Hannover Messe den Industrial Network-Director vorgestellt. Was ist das für ein Werkzeug?

Jürgen Hahnrath: Um das zu verdeutlichen, möchte ich kurz erklären, wie die Kollegen in der Fertigung auf ihre IT-Netze schauen. Sie denken dabei in Zellen, in Ringen und eher weniger aus dem Blickwinkel der Technologie. Ihnen ist es egal, ob es sich um ein Siemens-, Rockwell-oder Cisco-Switch handelt und sagen: Das ist meine Zelle, die muss funktionieren und sie muss redundant laufen. Wenn morgen ein Roboter integriert werden soll, dann muss das einfach möglich sein. Mit unserem Industrial Network-Director machen wir solche Fertigungsnetzwerke sichtbar. Auf einer Oberfläche können Sie alles sehen, was für die Fertigungssteuerung von Bedeutung ist, natürlich abgesichert mit Werkzeugen wie Firewall und so weiter.

Ein Fokus auf der Hannover Messe lag auf den Echtzeitstandards Time Sensitive Networking, kurz TSN. Wie weit sind Sie auf diesem Feld?

Hahnrath: Wir möchten OPC UA und TSN jetzt in die Netzwerke bringen. Dafür haben wir unsere Industrial Ethernet Switches um eine Software ergänzt und zertifizieren lassen. Außerdem haben wir im Rahmen des IIC mit National Instruments, Bosch Rexroth, Kuka, Fanuc und anderen ein Testbed aufgebaut. Da haben Sie einen Controller, ein OPC UA- und TSN-taugliches Netz dazwischen und dahinter einen weiteren Controller – das kann ein Sensor, Aktor oder ähnliches sein. Dann wird auf einem Standard-Ethernet Layer die Quality of Service sichergestellt – und zwar unabhängig vom restlichen Netzwerkverkehr.

Man könnte im Gespräch mit Softwarefirmen den Eindruck gewinnen, dass das Thema Konnektivität ein altes Eisen sei. Anwender sehen das oft ganz anders, wenn sie alte Maschinen anbinden wollen. Können Sie helfen?

Hahnrath: Das Problem ist komplex, da die Netze herstellerspezifisch und oft proprietär gewachsen sind. Man hat eine Steuerung, das Human Machine Interface und dann den Controller von einem Anbieter gekauft, weil es zusammen funktioniert. Bei Erweiterungen sind viele Nutzer dann wieder bei diesem Anbieter gelandet. Wenn es um die Modernisierung solcher Infrastrukturen geht, können wir von der Netzwerkseite kommen und fragen: Was leisten diese herstellerspezifischen Protokolle besonderes? Mit mehr als 30 Jahren Erfahrung stellen wir oft fest, dass man auf einer gewissen Ebene oft sagen kann, dass es sich bei vielen Protokollen um so etwas wie einen Dialekt handelt – ohne jetzt Profinet & Co. Unrecht tun zu wollen. Wir können das übersetzen und auch transportieren. Zugegeben, Signale von einem Zwei-Draht-Feldbus können wir nur auf der seriellen Schnittstelle entgegennehmen, in ein IP-Paket packen und weiterschicken, aber wir können so etwas auf der Ethernet-Ebene transportieren. Und spätestens beim Thema Echtzeitkommunikation muss man in Projekten vorher prüfen, wo die Grenzen einer Infrastruktur verlaufen.

Kritik an OPC UA hört man recht selten. Der Verbreitung der Echtzeitprotokolle TSN stehen hingegen handfeste wirtschaftliche Interesse entgegen. Wie stehen Sie dazu?

Hahnrath: Also erst mal folgen wir unserer Strategie: Standards haben bisher immer gegen Abschottung geholfen. Wir arbeiten daher auch in entsprechenden Gremien im Industrial Internet Consortium und IEEE an der Standardisierung von TSN und verschiedenen Substandards mit. Das machen wir nicht nur, weil wir ein IT-Unternehmen sind, sondern weil wir im IIC-Testbed mit Firmen aus dem Industrie-Umfeld an einer zentralen Schnittstelle zum Internet of Things arbeiten. Und wenn das Echtzeit-Problem im Millisekundenbereich gelöst ist, müssen sie in vielen Fällen nicht mehr Steuerungen proprietär Rücken an Rücken miteinander vernetzen. Wenn ich derjenige bin, der diese proprietären Lösungen anbietet, stehe ich nicht mehr nur im Wettbewerb gegen andere proprietäre Lösungen, sondern mit einem relativ offenen Spielfeld. Aber ganz ehrlich, wir befinden uns in einer Übergangsphase, in der sich einige noch dagegen wehren. Das wir uns an Standards orientieren, zeigt vielleicht das Beispiel Hochgeschwindigkeits-Wireless ganz gut. Cisco hat sehr früh nach Standards dafür gedrängt. Als sich die Standardisierung hingezogen hat, haben wir eine Weile proprietäre Versionen davon genutzt. Sobald er fertig war, haben wir auf den Standard eingeschwenkt. Das muss unserer Auffassung nach auch für den Industrial Ethernet-Bereich gelten, da nur so die Dinge möglich werden, die wir uns vom Internet of Things versprechen. Wir sind ja nicht auf einer Insel – weder in der Produktion noch in der Zelle – sondern irgendwann in einer Art Extranet-Umfeld mit Zulieferern und digitalen Produkten. Darüber eine homogene proprietäre Infrastruktur zu legen, wird nicht gehen. Was heute gut läuft, funktioniert nicht automatisch auch noch morgen.

Hierzulande hört man immer wieder, dass im IIC die IT-Welt auf die Industrie prallt, ohne deren Sprache wirklich zu sprechen.

Hahnrath: Es ist etwas dran. Wir bei Cisco können Ihnen problemlos Netze auf Glasfaser mit enormen Übertragungsraten durch ganze Länder ziehen. Wenn jemand zu uns kommt und über Echtzeit, über Ringstruktur und Redundanzen spricht, müssen wir erst einmal zuhören. Aber das ist ja genau das Ziel des IIC. Die Firmen im OPC UA-Testbed kommen zu 75 Prozent aus der Industrie, nur ein Viertel aus der IT-Welt. Da hören Sie qua Masse erst einmal zu. Kommt es dabei zu Konflikten? Nein, da alle Beteiligten an Lösungen interessiert sind. Die Frage ist, was bei einem Problem helfen kann. Widerspricht das bestehenden Standards, dann gibt es ein Problem. Denn letztlich suchen wir Lösungen auf Ethernet-Basis und können den Standard nicht einfach auf den Kopf stellen. Es gab mal eine Diskussion, ob man nicht den Wireless-Standard ignorieren sollte, damit man WLAN für Echtzeit-Anwendungen nutzen kann. Aber das können Sie nicht machen, denn WLAN ist etabliert, an ein paar Grundregeln muss man sich schon halten. In der Praxis kommen die Arbeitsgruppen dann zusammen und abstrahieren die Anforderungen aus der Steuerungswelt, aus der Robotikwelt, aus der Maschinenwelt – und die lautet Echtzeit. Was bedeutet das für die Ethernet-Welt? Mir haben das Kollegen so zusammengefasst: Das ist höchste Priorisierung, minimale Wartezeiten, minimaler Jitter, also Varianz der Laufzeiten. Wir können darauf antworten: Verstanden, das mussten wir schon einmal für Sprach- und Videoübertragung lösen, jetzt lösen wir es für die Industrie. Wenn die Lösund da ist, wird sie getestet, ‚geprooft‘, abgenommen und steht dann zur Verfügung. Das klingt jetzt nätürlich einfacher als es ist und dauert seine Zeit, aber im Grunde funktioniert es so.

Schauen wir in die Zukunft: Nach OPC UA und TSN hört man immer mehr von Künstlicher Intelligenz und Blockchain. Wo stehen wir in einem Jahr?

Hahnrath: Für alle diese Technologien gilt, dass wir mehr konkrete Anwendungen sehen werden. Das Thema Blockchain haben wir zum Beispiel mit der Firma Bosch zusammen adressiert, auch IBM spielt da eine Rolle. Dabei handelt es sich allerdings um eine Hyperledger-Version von Blockchain, also eine Enterprise-Ausgabe. Daraus muss man jetzt erst einmal Use-Cases entwickeln. Weiterhin werden wir viel mehr Lösungen sehen, wie sich die Randprozesse einer Fertigung unterstützen lassen. Denn auch wenn sie Ihre Maschinen angebunden haben und die Echtzeitfrage via TSN gelöst ist, haben Sie noch keine smarte Fabrik. Es werden immer noch Material, Werkzeuge und Menschen bewegt, die im digitalen Abbild hinterlegt sein müssen. Die Techniken zum Tracken von Mensch und Material via Bluetooth Low Energy (BLE), WLAN, GPS, RFID und so weiter werden uns noch lange beschäftigen. All das muss ja wieder auf einer Datenplattform zusammengebracht und verwaltet werden. Dabei ist auch die Frage, wer all diese Dinge überblickt, wer sie konfiguriert und neue Teilnehmer implementiert. Ab einer gewissen Komplexität brauchen Sie dafür Automatismen. Dazu kommt, dass wir Mechanismen brauchen, um im Fall von defekten Elementen sicherzustellen, dass zentrale Abläufe in Prozess und Software weiterlaufen. Dafür werden die Hersteller noch enger als bisher zusammenarbeiten müssen. (ppr)