Die Anforderungen an Zulieferbetriebe der Automobil-Hersteller sind hoch – in der Regel werden Prozessstrukturen gemäß TS-16949 verlangt. Da die IT-Systemlandschaft der AGA Zerspanungstechnik in Gera die Einführung solcher Abläufe kaum unterstützen konnte, entschied das Unternehmen, eine umfassende Unternehmenssoftware einzuführen und durch eng integrierte Zusatzmodule zu ergänzen.
Der Automobilzulieferer AGA Zerspanungstechnik Gera GmbH wurde im August 2012 von der Samag Saalfelder Werkzeugmaschinen GmbH übernommen und in die Samag Group integriert. Das Unternehmen aus dem thüringischen Gera produziert in Serienfertigung Dreh-, Fräs- und Räumteile für den Dämpferbereich sowie den Motor und Achsstrang in Automobilen der Mittel- und Oberklasse. Ende 2013 entsteht eine weitere Fertigungshalle, in der ausschließlich für Daimler produziert wird. Zurzeit erwirtschaften etwa 110 festangestellte Mitarbeiter, sieben Auszubildende und durchschnittlich sechs Leiharbeiter einen jährlichen Umsatz von rund zwölf Millionen Euro. Die IT-Landschaft des Unternehmens war früher durch das Nebeneinander von Insellösungen geprägt und konnte inzwischen nicht mehr alle Anforderungen der Abnehmer abdecken.
Raik Möller, Leiter Einkauf, Logistik und IT, erläutert: „Wir hatten zwar eine Zertifizierung nach ISO 9001, aber keine TS-16949-Zertifizierung, wie sie der Automobilstandard erfordert. Dazu gehört, dass Prozesse stabil organisiert sind und sicher ablaufen. Ohne ein modernes Enterprise Resource Planning-System (ERP) ist das aber heute nicht mehr möglich.“ Daher unterzog Möller mehrere Softwareanbieter einem Auswahlverfahren, aus dem schließlich das Softwarehaus Psipenta sowie der Lösungsanbieter und Systemlieferant Berghof Systeme aus Königssee herausstachen. Ein wichtiges Kriterium war dabei auch der Verlauf des Angebotsprozesses: „Wenn jemand zurückruft und nach Details fragt, ist das etwas anderes, als wenn ich vorgefertigte Antworten bekomme. Durch die kooperative Art, auf uns zuzugehen, stach Berghof vom ersten Moment an heraus“, sagt Möller. Auf den Auswahlprozess folgte die Einführung der neuen Software in mehreren Projektschritten, so dass der Zulieferbetrieb nun auf den ERP-Standard von Psipenta zugreifen kann, der durch den Lieferanten um individuell programmierte Funktionen ergänzt wurde.
Mit Produktionsfeinplanung zu höherer Liefertreue
Für Möller hat sich seit der ERP-Einführung viel verändert. Dabei profitiert der IT-Leiter nun vor allem von den Veränderungen auf dem Feld der Datentransparenz: Auftragsabläufe lassen sich im ERP-System durchgängig abbilden, Mitarbeiter arbeiten mit den gleichen Datenständen ohne Schnittstellenprobleme oder doppelte beziehungsweise sogar dreifache Datenhaltung. Informationen zur Einkaufssituation oder Umsatzzahlen stehen stets zur Verfügung, Warenbewegungen werden dargestellt, sobald eine Buchung vorgenommen wurde. Umsatz-, Kapazitäts- und Materialplanungen werden dabei mit Zusatzwerkzeugen des Systemanbieters aus Königssee durchgeführt.
Für die Fertigungssteuerung kommt das Modul ‚Dynamischer Produktionsabgleich (DPA) zum Einsatz, das anhand des Auftragsvolumens und der verfügbaren Kapazitäten auf Basis der hinterlegten Arbeitspläne und Stücklisten eine Reihenfolgeplanung vornehmen kann. „Haben wir 2007 noch 30 bis 40 Wochenstunden für die Produktionsplanung gebraucht, erledigen wir das heute maximal in zehn Stunden“, erzählt Möller. Ein weiterer Effekt der Systemeinführung betrifft die Liefertreue: „Unsere Kunden brauchen die Teile an einem bestimmten Tag in einer bestimmten Stückzahl. Das müssen wir realisieren“, schildert Möller. Während 2007 die Lieferbereitschaft etwa 30 Prozent betrug, liegt das Unternehmen heute bei etwa 98 Prozent.
Von Leergutdisposition bis Dokumentenablage
Weitere Funktionen des neuen Systems unterstützen die Leergutdisposition des Fertigers, mit der sich Transportmittel verwalten lassen, die von den Abnehmern bereitgestellt werden. Der Planer kann aus dem System heraus den Bedarf ermitteln und automatisch auf ein hinterlegtes Bestellformular übertragen. Für den Zulieferbetrieb war zudem die Chargenverwaltung wichtig: „Wir unterscheiden nach Fertigungs- und Materialchargen. Heute sorgt ein kleines Tool dafür, dass in einer Lieferung keine Chargen gemischt werden“, erläutert Möller.
Die Software prüft, ob in einer Charge ausreichend Material für die zu produzierende Menge vorhanden ist. Ist das der Fall, wird der Auftrag generiert, andernfalls erzeugt das Tool einen zweiten Auftrag, der eine Chargentrennung vom Rohmaterial bis zum Fertigerzeugnis sicherstellt. „Eine weitere tolle Sache ist unser so genannter Dokumentenscan“, führt Möller aus. Werden klassifizierte Dokumente per Scanner eingelesen, können sie im ERP-System dem entsprechenden Vorgang zugeordnet werden. Optional informiert eine E-Mail die Mitarbeiter über die für sie hinterlegten Dokumente.
Lieferantenbewertungen automatisiert generieren
Um einen Beitrag zum reibungslosen Ablauf in der Lieferkette zu leisten, lassen sich Reklamationen an Lieferanten aufgrund von Qualitätsbeanstandungen ebenfalls im ERP-System verwalten. Ein Modul erfasst und speichert die Daten und generiert ein Reklamationsschreiben mit der beanstandeten Menge und etwa Fotos, die den Defekt belegen. Einstufungen von Lieferanten lassen sich ebenfalls über generierte Anschreiben an die jeweiligen Partner übermitteln. Das Schreiben enthält qualitative und liefertechnische Abweichungen, so dass die Einstufung nachvollziehbar ist. Weiterhin unterstützt die Lösung die Verwaltung von ‚Vendor Managed Inventory‘-Konsignationslagern (VMI). Hierfür übertragen Abnehmer geplante Lager-entnahmen per Electronic Data Interchange (EDI) an das ERP-System des Zulieferbetriebs. Über hinterlegte Schwellenwerte überwacht das System die Bestände und schlägt dem Disponenten erst dann einen Fertigungsauftrag vor, wenn der Wert unterschritten ist.
Einfachere Prozesse
Neben den Grundfunktionen des Systems eröffnen auch die Programm-Module des Dienstleisters dem Anwender Spielraum, seine Unternehmensprozesse zu verbessern. Dazu trägt etwa das Preislistenupdate bei, das elektronisch übermittelte Lieferantenpreislisten im System speichert – oder ein Werkzeug zum Prüfen übermittelter Rechnungen. „Wir haben unser Ziel erreicht, durch eine komplexe ERP-Lösung die betrieblichen Abläufe weiter zu optimieren und dem Mitarbeiter die Arbeit zu erleichtern. Er soll sich auf seine eigentlichen Aufgaben konzentrieren und nicht auf Datenverwaltung und Schriftverkehr“, erklärt Möller.
Nachträglich erwies sich nach Angaben des IT-Leiters die Entscheidung als richtig, die Zusatzmodule nicht über Schnittstellen einzubinden, sondern in das ERP-System zu integrieren. Daher sei auch die Herangehensweise empfehlenswert, Systemlieferanten früh in ein Projekt einzubinden. „Von der offenen Kommunikation haben beide Seiten profitiert und das gegenseitige Verständnis der jeweiligen Prozesse vertieft“, erläutert Möller.