Prozessdatenmanagement

Die Gesamteffektivität der Anlagen gesteigert

Der Messgeräte-Hersteller Mahr GmbH aus Göttingen hat den Anspruch, immer leistungsfähigere und genauere Produkte herzustellen. Die Erzeugnisse des Unternehmens werden dort eingesetzt, wo Präzision bis in den Nano-Bereich gefragt ist: Maschinenbau, Automobilindustrie, Luft- und Raumfahrttechnik oder Textilproduktion. Dabei war die Effektivität des Maschinenparks bis vor Kurzem nicht gerade berauschend. Das hat der Betrieb geändert, indem er durchgängiges Prozessdatenmanagement vom CAD-System bis an die Maschine einführte.

Bild: Coscom Computer GmbH

Schneller, schlanker, sicherer – diese Schlagworte hat sich der Hersteller von Messgeräten, Dosiersystemen und Kugelführungen Mahr auf die Fahnen geschrieben. Zwar hält der Konzern aus Göttingen eine starke Position in seinem Marktsegment, doch Innovationskraft und ein gutes Image alleine reichen nicht mehr aus, um dem wachsenden wirtschaftlichen Druck im globalen Markt nachhaltig standzuhalten. Immerhin geht es um die Zukunft und damit um die Arbeitsplätze von über 1.700 Mitarbeitern am Produktionsstandort Deutschland. Deshalb verordnete das Management seinem Unternehmen eine kritische Selbstanalyse von Grund auf: Unter dem Projekt-Slogan ‚Pro Mahr‘ wurden seit einigen Jahren sämtliche innerbetrieblichen Prozesse unter die Lupe genommen und bewertet, wo Verbesserungspotenziale in Aufbau- und Ablauforganisation, Produktion sowie IT liegen und wie diese erschlossen werden können. Manfred Jäger hat als Leiter der Produktionsplanung die Aufgabe, das Konzept ‚Pro Mahr‘ in seinem Verantwortungsbereich, der Fertigung, umzusetzen. In erster Linie geht es ihm darum, die Wertschöpfung innerhalb der komplexen Prozessnetzwerke von der Produkt- und Bauteilkonstruktion, über ihre Produktion in den einzelnen Fertigungsabteilungen, bis hin zur Wiederholteilfertigung zu optimieren.

Ressourcen effektiv einsetzen

„Uns interessiert in erster Linie, wie wir unsere Maschinen und Ressourcen möglichst effektiv einsetzen können“, sagt Jäger. Und das beginne nicht erst, wenn die Produktion startet, sondern im Prozess, schon lange vorher. „Das Thema ‚Änderungen an einem Bauteil in der Entstehungs- und Serienproduktionsphase‘ macht uns dabei besonders zu schaffen.“ Im Zeitraum zwischen Entwicklung und Herstellung erlebe fast jedes Produkt Modifikationen, zum Beispiel durch Verbesserungsvorschläge aus der eigenen Mannschaft heraus oder durch neue Anforderungswünsche unserer Kunden.“Wenn wir früher eine Änderung auf den Weg gebracht haben, hat deren Realisierung bis zu einem halben Jahr gedauert. Alle Bemühungen, diesen Prozess zu verschlanken, konnten nicht wirklich eine Verkürzung des Durchlaufes erreichen. Bauteiländerungen haben uns doch immer wieder ausgebremst“, sagt Jäger.

Noch bis Ende 2013 wurde im Unternehmen mit Änderungsmappen aus Papier gearbeitet, deren Dringlichkeit mithilfe von farbigen Umschlägen angezeigt wurde. Gelb bedeutete ‚Normaler Änderungsrücklauf‘, ‚Rot‘ hieß ‚Sofortänderung – möglichst schnell bearbeiten‘. Gerade die gelben Mappen lagen aufgrund anderer Prioritäten oft länger auf den Schreibtischen. Bis die Änderungen angegangen wurden, war es meist schon zu spät. „Dies hatte zur Folge, dass wir ungewollt Nacharbeit beziehungsweise Ausschuss produzierten und auf das Lager brachten, weil die Änderungen nicht mit den aktuellen Informationen abgeglichen werden konnten. Das senkte unsere Gesamtanlageneffektivität ganz erheblich.“ Jäger führt fort: „Die Fragen, die wir von Seiten der Produktionsplanung stellen, lauten: Gibt es eine Möglichkeit, Konstruktionsänderungen frühzeitig mit der Produktion abzugleichen beziehungsweise zu synchronisieren? Bevor wir mit der Produktion beginnen, müssen wir den aktuellen Änderungsstatus sehen.“ Heute wird das mithilfe einer digitalen Fertigungsmappe von Coscom in Echtzeit gelöst.

Vom CAD bis an die Maschine

Der Schritt zur digitalen Fertigungsmappe kam im Laufe der letzten Jahre. Die Verantwortlichen stellten ein Budget zur Verfügung, um ein durchgängig vernetztes Prozessdaten-Management vom CAD bis an die Maschine einzuführen sowie die Prozesse von CAD und CAM durchgängig zu koppeln. Zunächst wurde im Rahmen einer Evaluation mit Lasten- und Pflichtenheft die Durchgängigkeit einer CAD/CAM-Lösung definiert. Schwerpunkt im CAM-Prozess ist die 3D-Weiterverarbeitung von CAD-Daten bis hin zur 3D NC-Programmierung mit Maschinensimulation, Werkzeugverwaltung und einem Datenmanagement mit DNC-Funktionalitäten. Hier war ein einfaches, effektives und praxisorientiertes System verlangt, das den Fokus auf die Fertigung legt. Die Argumente für das Coscom-System waren die Flexibilität und Integrationsfähigkeit der Gesamtlösung, die den kompletten Fertigungsprozess bei Mahr abdeckte. Manfred Jäger sagt: „Industrie 4.0 definieren wir pragmatisch: Bestehende Insellösungen abschaffen, Prozesse durchgängig schnittstellenfrei vernetzen und im Kern eine einheitliche Datenbasis in der Fertigung schaffen.“ Die richtigen Informationen sollten jederzeit und überall bedarfsgerecht verfügbar sein. Das sei die Basis für einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess, so Jäger. „Und dafür suchten wir ein möglichst durchgängiges, leistungsfähiges Softwaresystem, mit dem wir auch für die Zukunft gerüstet sind.“

Philosophien abbilden

„Wir setzen heute auf ein innovatives Nullpunkt-Spannsystem sowie das SMED-Schnellrüst-Konzept. Diese beiden Philosophien müssen natürlich auch CAD/CAM-softwaretechnisch abgebildet werden“, sagt Manfred Jäger. Mit der Integration des zentralen Fertigungs- und Werkzeugdatenmanagements ‚Factory- und Tool Director‘ hatte der Fertiger zunächst ein Prozessdatenmanagement mit Vernetzung zum PLM-System Siemens NX Teamcenter realisiert. Die Coscom-Software liefert nicht nur Zeichnungen, NC-Programme, Spannpläne, Werkzeuglisten und Einrichtepläne, sondern sichert mit dem CAM-Änderungsdienst – mit einem Ampelsystem für Revisionsstände – den Freigabeprozess digital ab, um Ausschuss zu verhindern. Diese digitale Fertigungsmappe ersetzt Papier heute nahezu komplett und erhöht die Geschwindigkeit von der Entwicklung und Konstruktion bis hin zur Werkstatt und in die Fertigung. Mit Blick auf den OEE fasst Jäger den aktuellen Status zusammen: „Unsere Anlagen laufen heute mit einem OEE-Wert von größer 57 Prozent.“ Das sei für ein Maschinenbau-Unternehmen ganz ordentlich. „Früher lagen wir nur bei 35 Prozent im Durchschnitt, denn Nacharbeit und Ausschuss verringerten unseren OEE erheblich.“ Mit dem Ziel auf einen geschlossenen NC-Prozess implementierte Mahr im nächsten Schritt das CAM-System Profi CAM mit Maschinensimulation und koppelte das bestehende CAD-System mit der Fertigungsinfrastruktur.

Es war bei der Auftragsvergabe ein wesentlicher Baustein, sämtliche Prozessschritte von der Konstruktion der Bauteile bis zu ihrer Herstellung mit den notwendigen Informationen zu versorgen. Dazu gehören nicht nur die Daten aus dem CAD- oder CAM-System, sondern vor allem eine intelligente Verkettung der Prozesse, inklusive der Informationen aus der Fertigung und über die Werkzeuge aus den Toolmanagement Modulen. „Das CAD-System stellt nur die Form des Bauteils bereit, ganz gleich aus welchem Grundstoff dieses Bauteil besteht“, sagt Manfred Jäger. Erst durch die richtigen Zusatzinformationen wisse der Mitarbeiter, welches Material, welche Werkzeuge, welche Pläne bei der Produktion zu verwenden sind. Das Team der Produktionsplanung entscheidet, ob Mahr die Bauteile selbst fertigt oder als Auftrag an Zulieferer vergibt. Im Fall der Eigenproduktion beginnt die Verkettung der Prozesse bereits mit dem ERP-System und der PLM-Software, in der die Konstruktionsdaten gespeichert sind. Alle anderen fertigungsrelevanten Daten werden aus der Datenbank von Coscom bereitgestellt.

Zum einen aus dem Factory Director, der als zentrale Oberfläche für die Fertigung Daten aus den unterschiedlichen Systemen vereint und visualisiert, zum anderen aus dem Tool Director, der Werkzeug- und Technologiedaten bereitstellt, um Teile in der gleichen Qualität zu reproduzieren. Zudem sollten unproduktive Nebenzeiten weiter gesenkt werden. Zum einem waren die Rüstzeiten zu reduzieren, also mithilfe eines neuen Nullpunktspannsystems außerhalb der Maschine zu rüsten. So kann ein Auftrag bearbeitet und parallel bereits einen neuer Auftrag für diese Maschine eingerichtet werden. Außerdem wurde das ‚Single Minute Exchange of Die‘-Verfahren eingeführt, mit dem eine Maschine auf einen neuen Fertigungsprozess umgerüstet werden kann, ohne dass dabei der Fertigungsfluss gestört wird.

Virtual Machining

Die Mitarbeiter des Produzenten verlagerten weitere Prozesse durch die Verknüpfung der Software-Systeme in die virtuelle Welt. Hier bildeten das zentrale Datenmanagement und das CAM- und Simulationssystem Profi CAM mit dem Prozessplan, den Einrichteblättern, 3D-Werkzeugen, Vorrichtungen und anderem die Basis für den Virtual Machining-Einsatz. Damit gelang dem Team mit gesicherter Prozessdaten-Analyse bereits im Vorfeld der Produktion, den Fertigungsprozess virtuell zu simulieren und abzubilden. Für den Produktionsprozess bedeutete dies, dass sich die Zeiten für das Rüsten und Einfahren insbesondere bei Wiederholteilen deutlich verkürzten. Die Plausibilitätskontrolle im Virtual Machining erteilt Auskunft, ob sich das Bauteil überhaupt an der Maschine herstellen lässt. Jäger sagt: „Die Wertschöpfung entscheidet sich schon vor der Produktion – im Prozess, in der Logistik, in der Struktur, nicht erst mit dem Potenziometer an der Maschine. Mit dem Prozessdaten-Management und effizienter CAD/CAM-Kopplung haben wir schon den Weg Richtung Industrie 4.0 nicht nur eingeschlagen, sondern haben heute die Grundsteine für unsere Smart Factory erfolgreich gesetzt.“





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