Online-Technologie am Werkerplatz

Web 2.0 für die Produktion

Soziale Netzwerke erfreuen sich in der Industrie nicht gerade hoher Beliebtheit. Facebook oder Twitter kommen zwar für Marketingaktivitäten zum Einsatz, am Arbeitsplatz werden die Online-Netzwerke aber weniger gern gesehen und gelten sogar als Produktivitätsbremse. Doch durch den Einsatz von Online-Technologien lassen sich Werkzeuge schaffen, die Fertigungsunternehmen Geschäftsvorteile bringen können – etwa für den schnellen Zugriff auf produktionsnahe Informationen wie Schichtberichte, Instandhaltungstickets, Anlagenkennzahlen und Arbeitsanweisungen.



Bild: BMW

Das ‚Mitmach-Internet‘ oder Web 2.0 liegt voll im Trend. Facebook, Twitter, Wikipedia und iPhone Apps sind aus dem täglichen Leben kaum mehr wegzudenken. Weniger populär sind die sozialen Netzwerke allerdings im industriellen Bereich. Eine aktuelle Studie weist sogar darauf hin, dass die Produktivität durch den Konsum von Social Media-Diensten abnimmt. Doch durch den Einsatz aktueller Online-Technologien lassen sich im betrieblichen Umfeld Werkzeuge schaffen, die Fertigungsunternehmen echte Geschäftsvorteile bringen können: Etwa eine Plattform, die produktionsnahe Dokumente und Informationen, wie Schichtberichte, Instandhaltungstickets, Anlagenkennzahlen und Arbeitsanweisungen, im gesamten Firmennetzwerk anbietet – vom Werkerterminal bis hin zum Smartphone des Managers.

Der Einfluss des Internet auf Prozesse und Produkte steigt

Die hohe Reichweite moderner Internetplattformen ist durchaus bemerkenswert. Allein in Deutschland vermeldet beispielsweise das Online-Netzwerk Facebook, über 20 Millionen Mitglieder zu verfügen, weltweit wird die Mitgliederzahl derzeit auf 700 bis 750 Millionen geschätzt. Eine private Geburtstagsankündigung erreicht so schnell über 1.000 Adressaten. Doch den öffentlichen Netzwerken fehlen Organisation und Verbindlichkeit. Zudem werfen die beinahe täglich vermeldeten Einbrüche in die IT-Systeme von Firmen und Organisationen Fragen zur Sicherheit von Nutzer- und Unternehmensdaten in der externen Cloud auf. Die prominente Liste der Betroffenen reicht von Google und Sony über Visa und Mastercard bis hin zu Sicherheitsanbietern wie RSA. Trotzdem beeinflussen Internet-Dienste und Cloud-Computing unsere Methoden, Prozesse und Produkte immer entscheidender und nachhaltiger. Vielfach treten hier große IT-Unternehmen als Antreiber auf, die sich neue, umsatzstarke Märkte versprechen. Gleichzeitig bieten Webtechnologien aber auch kleinen, innovativen Unternehmen die Chance, ihre Lösungen weltweit zu platzieren. Gute Beispiele hierfür sind Doodle, das sich gerade zum weltweiten Standard für Terminfindung entwickelt oder aber auch Writely, mittlerweile aufgegangen in Google Docs.

‚Wiki‘-System für die Fertigung

Dabei bieten sich das Web 2.0 und Technologien wie Cloud Computing oder Kommunikationsnetzwerke, mit deren Hilfe Anwender Inhalte maßgeblich mitgestalten können, auch für den Einsatz in der Produktion an. Dazu hat der Software-Anbieter DE Software & Control GmbH Anfang des Jahres 2010 eine Web 2.0-Plattform für sein unternehmensinternes Wiki-System eingeführt und bildet seitdem verschiedene Bereiche der Business Intelligence über diese Lösung ab. Dabei zeigt sich, dass die größte Herausforderung und der höchste Aufwand nicht in der technischen Umsetzung des Datenimports aus verschiedenen IT-Systemen liegt, sondern im Verständnis der neuen Handhabung.

Bisher arbeitete das Unternehmen mit einem klar strukturierten und hierarchisch organisierten Informations- und Datenfluss. Dieses System wurde nun so erweitert, dass Anwender auf typische ‚Wiki‘-Funktionen wie Versionierung, Diskussionen, Volltextsuche und Verschlagwortung zugreifen konnten. Im täglichen Umgang mit dem System zeigte sich, dass durch diesen Ansatz das Auffinden relevanter Informationen wesentlich vereinfacht und die Qualität der dokumentierten Informationen deutlich verbessert wurde. Auf Basis dieser Erfahrung hat das Entwicklungsteam des Softwarehauses Lösungsszenarien für Produktionsunternehmen entwickelt und das fertige System unter dem Namen ‚Industrial Wiki‘ als neues Modul in sein Manufacturing Execution-System (MES) .Desc integriert.

 

Nachgeschlagen: Wiki

Ein Wiki (hawaiisch für „schnell“) ist ein Hypertext-System für Webseiten, deren Inhalte von den Benutzern nicht nur gelesen, sondern auch direkt im Browser geändert werden können. Die bekannteste Anwendung ist die Online-Enzyklopädie Wikipedia, welche die Wiki-Software Mediawiki einsetzt. Die Grundidee bei Wikis ist das gemeinschaftliche Arbeiten an Texten, gegebenenfalls ergänzt durch Fotos oder andere Medien. Das Ziel ist häufig, die Erfahrung und den Wissensschatz der Autoren kollaborativ auszudrücken. Die ersten Wikis wurden Mitte der 1990-er Jahre von Software-Designern zur Produktverwaltung in IT-Projekten entwickelt. Heute kommen Wikis in einer Vielzahl von Anwendungen zum Einsatz. In der Wirtschaft dienen Wikis häufig zum Wissensmanagement, mit den Zielen, erhöhte Transparenz des vorhandenen Wissens herzustellen, Prozesse zu optimieren und Fehler zu vermeiden. Der finanzielle Aufwand ist meist niedriger als bei herkömmlichen Systemen der Wissenskonservierung.

www.wikipedia.de

Piloteinsatz in der Automobilindustrie

Das erste Pilotprojekt für die industrielle Anwendung der Lösung wurde in Zusammenarbeit mit einem Zulieferer aus der Automobilbranche durchgeführt. Das Unternehmen entwickelt und fertigt hochwertige Kunststofferzeugnisse für die Automboilindustrie und beliefert Personen- und Nutzfahrzeughersteller gleichermaßen. Dazu wurde das Störmeldesystem des MES so erweitert, dass die täglichen Schichtberichte automatisch in der Wiki-Anwendung generiert und abgelegt werden. Dabei fließen in die Wissenssammlung über eine Schnittstelle zu den Maschinen auch Produktionsdaten aus der Automatisierung ein. Die so erzeugten Schichtberichte dienen als Basis für den kontinuierlichen Verbesserungsprozess im Unternehmen. Neben den Prozessdaten werden zugehörigen Erklärungen und die daraus abgeleiteten Verbesserungsmaßnahmen durch die Mitarbeiter dokumentiert und verfolgt. Dabei werden beispielsweise strukturiert vorliegende Daten wie ein Störmeldeprotokoll mit unstrukturierten Daten wie Besprechungsnotizen und der Formulierung von Maßnahmen zusammengeführt. So entsteht eine Wissensbasis für eine effektivere Instandhaltung.

Steigende Compliance-Anforderungen abbilden

Die Reduzierung der ungeplanten Stillstandszeiten ist jedoch nur ein Aspekt der aktuellen Herausforderungen für die Produktion. Der Markt ist so schnelllebig und anspruchsvoll geworden, dass dies nur mit einer Vielzahl von Produktvarianten, die dann oft auch noch hoch komplex sind, beantwortet werden kann. Aber gerade weil die Produktlebenszyklen immer kürzer werden und sich dadurch die Produktqualität immer weniger evolutionär verbessert, gilt es für produzierende Unternehmen immer mehr rechtliche Vorschriften hinsichtlich der Produkt- und Prozessdokumentation zu erfüllen.

Die lückenlose Dokumentation und effektive Rückverfolgbarkeit ist darüber hinaus ein entscheidender Wettbewerbsvorteil, da dadurch der Aufwand von Rückrufaktionen merklich reduziert werden kann. Ebenso rückt die Mitarbeiterqualifikation immer stärker in den Vordergrund, was an den gesellschaftspolitisch geführten Diskussionen zum demografischen Wandel, Fachkräftemangel und zur Zeitarbeit deutlich wird. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird der europäischen Industrie in den nächsten Jahren Know-how verloren gehen, obwohl die Qualifikationsanforderungen ständig steigen. Eine aktuelle Studie der Prüfungsgesellschaft Pricewaterhouse-Coopers zeigt in diesem Zusammenhang auf, dass die etwa 450.000 Ingenieure, die bis 2020 in den Ruhestand gehen, nur durch rund 400.000 Jungingenieure ersetzt werden können. Das entspricht einem zu erwartenden Fachkräfte-Rückgang von mehr als 11 Prozent.

IT-System als Know-how-Speicher

Das Beispiel einer klassischen Arbeitsanweisung für Produktionsmitarbeiter zeigt, wie der Einsatz eines Industrial Wiki Unternehmen helfen kann, WIssensverlust im Betrieb entgegen zu wirken. Eine Arbeitsanweisung wird heute üblicherweise mit traditionellen Textverarbeitungsprogrammen erstellt und gepflegt, gut erstellte Dokumente sind mit Bildern angereichert. Nach dem zwingend vorgeschriebenen Freigabeprozess, auf Papier dokumentiert, wird die Arbeitsanweisung ebenfalls in Papierform in der Produktion verteilt und entsprechend geschult. Diese Vorgehensweise bringt einige gravierende Nachteile mit sich: Die verschiedenen Arbeitsanweisungen sind meist unterschiedlich aufgebaut und präsentieren die Information nicht einheitlich. Die Verteilung der Dokumente verlangt einen hohen organisatorischen Aufwand, und Änderungen zur Vorgängerversion sind schlecht nachvollziehbar. Die Dokumentation der Mitarbeiterqualifikation wird häufig nur ungenügend durchgeführt und im schlimmsten Fall führen Mitarbeiter sogar Arbeiten aus, die nicht den aktuellen Prozessen entsprechen oder für die sie nicht einmal qualifiziert sind. Hohe Ausschussquoten und Nacharbeitskosten können die Folge sein, schlimmstenfalls drohen Rückrufaktionen.