So geht IT 4.0

Offenheit statt Datensilos

Geschlossene MES-Anwendungen könnten es schwer haben, in der vernetzten Industrie 4.0 ihr Zukunftsversprechen einzulösen. Auf dem Shop Floor ermittelte Daten bergen schlicht zu viel Verbesserungspotenzial, um es in Datensilos schlummern zu lassen. Einen anderen Weg gehen Manufacturing Operating Systems, die das Open API-Prinzip unterstützen. Diese Lösungen können Betriebsdaten über offene Schnittstellen an jene Systeme im IT-Verbund weiterreichen, die den größten Nutzen daraus ziehen.

Bild: Forcam GmbH
Bild: Forcam GmbH

In Deutschland haben sich seit den 1990er-Jahren hunderte Anbieter von Manufacturing Execution-Systemen etabliert. Das Produktversprechen lautet, für eine lückenlose Betriebsdatenerfassung in den Fabriken zu sorgen. Das Ziel war und ist, den Weg zur schnelleren und effizienteren Produktion zu ebnen. Dabei blieb MES stets ein weitgehend deutsches Phänomen. In der zunehmend global und digital vernetzten Welt treiben zahlreiche Technologien und IT-Ansätze den Wandel in allen Bereichen der Wirtschaft voran. Gerade das Internet of Things sowie die digital vernetzte Industrie 4.0, die vierte industrielle Revolution, verleihen der digitalen Transformation derzeit einen enormen Schub.

IT und Produktion verzahnt

Das Bundeswirtschaftsministerium definiert die neue Epoche so: „In der Industrie 4.0 verzahnt sich die Produktion mit modernster Informations- und Kommunikationstechnik. Nach Dampfmaschine, Fließband, Elektronik und IT bestimmen nun intelligente Fabriken, sogenannte Smart Factories, die vierte industrielle Revolution. Technische Grundlage hierfür sind intelligente, digital vernetzte Systeme. So können intelligente Wertschöpfungsketten entstehen, die zudem alle Phasen des Lebenszyklus des Produktes mit einschließen.“ Die Definition heißt im Umkehrschluss: In der digitalen Ära werden fertigende Unternehmen smart produzieren müssen – oder sie scheitern. Intelligent produzieren heißt aber auch, alle Unternehmensanwendungen mit offenen IT-Architekturen und Schnittstellen zu einem ‚digital vernetzten System‘ zusammenführen zu können, damit tatsächlich intelligente Wertschöpfungsketten entstehen. Dieser Anforderung muss sich das in Deutschland etablierte MES-Konzept stellen. Die produktionsnahen Anwendungen sollten in diesen neu entstehenden Systemwelten nicht die Gestalt eines Datensilos annehmen.

Der Lock-In-Effekt

Noch immer gibt es viele Systeme mit monolithischer Architektur, die nur dem Software-Anbieter vollen Zugriff auf die erfassten Produktionsdaten gewährt. Für das produzierende Unternehmen kann das bedeuten, mit der Installation seiner Maschinen- und Betriebsdatenerfassung einen technisch bedingten Lock-in-Effekt herbeizuführen. Dabei gilt es gerade sicherzustellen, dass allen Anwendungen der Zugriff auf Maschinen-, Betriebs- und Prozessdaten gewährt wird, der für ein modernes Shop Floor-Management mit Echtzeit-Integration von Daten aus Top und Shop Floor nötig ist. Betroffen sind häufig die nach VDI 5600 (siehe dazu Blatt 1) definierten MES-Anwendungsgebiete: Auftragsfeinplanung und Feinsteuerung, Betriebsmittel-, Material- und Personalmanagement, Leistungsanalyse und Qualitätsmanagement. In Bezug auf den Trend zur Verarbeitung großer Datenmengen wäre es noch unvorteilhafter, wenn die Zugriffsbarrieren einer geschlossenen MES-Systemwelt den Innovationen im Bereich des Smart Manufacturing im Wege stehen. Hierzu zählen Funktionen auf Basis von Big Data-Analysen, wie zum Beispiel die vorausschauende Wartung oder Predictive Maintenance, welche anhand von historischen Daten und Resonanzanalysen Ausfälle prognostiziert, bevor die Fehler tatsächlich auftreten. Auch dürfen keine neuen Technologien und Konzepte für vernetzte Wertschöpfungsketten blockiert werden, nur weil verschiedene MES-Lösungen innerhalb von Lieferketten selbst untereinander keine Daten austauschen können. Das würde die Rückverfolgbarkeit aller Prozesse innerhalb von Wertschöpfungsketten (Supply Chain Traceability) und eine übergreifende Fertigungsplanung und -steuerung in der ganzen Lieferkette verhindern.

Manufacturing Operation Systems als Datendrehscheibe. Bild: Forcam GmbH
Manufacturing Operation Systems als Datendrehscheibe. Bild: Forcam GmbH

Anwendungen ausgesperrt

Bei der Wahl einer MES-Anwendung sollten produzierende Unternehmen bedenken, dass sie in Sachen Shop Floor Management fest an ihren Software-Partner gebunden sind, sobald die Maschinen- und Betriebsdatenerfassung digital abgebildet wurde. Betriebsdaten stehen erst einmal in der jeweiligen MES-Welt zur Verfügung. Oft kommuniziert die Produktion IT-seitig nur über sehr wenige Schnittstellen nach außen, etwa zum ERP-System für die Rückmeldung von Fertigungsaufträgen. Eine Datenbank, aus der Anwendungen ausgesperrt sind, wird oft auch als Datensilo bezeichnet. Ob sich diese IT-Architektur in der Fertigung für Anwenderunternehmen rechnet, müssen diese individuell entscheiden. Dabei gilt zu berücksichtigen, dass die Einbindung weiterer Anwendungen im Werk meist technisch aufwendig und somit kostspielig ist, wenn sie nicht auf die im MES erfassten Daten zugreifen können. Oft heißt es, MES-Lösungen benötigten keine offenen Schnittstellen, da sie alle erforderlichen Funktionen zum Fertigungsmanagement mitbringen. In diesem Fall sollte die Leistungsfähigkeit der MES-Funktionen gründlich auf den Prüfstand gestellt werden.

Zeitfresser Auftragsplanung

Ein Beispiel liefert die Auftragsfeinplanung: In vielen MES-Anwendungen können Fertigungsplaner viel Zeit vor der Plantafel verbringen, das Planungsszenario mit diversen Varianten simulieren und das Ergebnis nach verschiedenen Parametern optimieren. Wenn das System nur mit Durchschnittswerten arbeitet, kann sich das Planungsszenario am Ende deutlich von der Realität unterscheiden. Falls eine Planung schon nach kurzen Zeitintervallen hinfällig ist, müssen Planungsläufe wiederholt werden. Von einer zeitgemäßen Feinplanung kann jedoch erwartet werden, über die nächste Schicht hinaus Stabilität und Planungssicherheit sicherzustellen.

Öffnen für Web-Technologie

Angesichts des internationalen Marktdruckes, dem viele fertigenden Betriebe ausgesetzt sind, müssen gerade die produktionsnahen Systeme wettbewerbsfähig sein. Das betrifft insbesondere die Möglichkeit zur Vernetzung, also die Offenheit der Lösungen. Geschlossene, rein produktionsbezogene IT-Architekturen könnten künftig inkompatibel zu den Anforderungen der industriellen Revolution mit der Versionsnummer 4.0 werden. So kann eine unzeitgemäße MES-Anwendung sogar zu Wettbewerbsnachteilen führen. Der Trend zum Einsatz von Internettechnologien auf Werksebene hält international seit mehr als zehn Jahren an. Fertigungsunternehmen sollten daher Expertise für Shop Floor Management aufbauen und so auch die Attraktivität für talentierte Nachwuchskräfte erhöhen.

In zukunftsfähigen Produktionsnetzwerken können offene Manufacturing Operation Systems dafür sorgen, dass sich etwa Industrieroboter und mobile Endgeräte leicht und flexibel anbinden lassen. Bild: ©Nataliya Hora/Fotolia.com, ©stocknroll/Istock.com
In zukunftsfähigen Produktionsnetzwerken können offene Manufacturing Operation Systems dafür sorgen, dass sich etwa Industrieroboter und mobile Endgeräte leicht und flexibel anbinden lassen. Bild: ©Nataliya Hora/Fotolia.com, ©stocknroll/Istock.com

End-to-End-Betrachtung

Dem Prinzip Manufacturing Operations Management gemäß werden Produktionsprozesse einer End-to-End-Betrachtung unterzogen. Dabei werden wertschöpfende Abläufe von Anfang bis Ende sichergestellt. Digitale Systembrüche quasi am Werkstor sind oft nicht hinnehmbar. Betriebsdatenerfassungen, die nach diesem Prinzip ausgerichtet sind, sogenannte Manufacturing Operating Systems (MOS), stellen Ressourcen in Form von offenen Programmierschnittstellen zur Verfügung. Man spricht hier von Open API, kurz für Application Programming Interface, also Schnittstellen zur Anwendungsprogrammierung. Auf der Homepage der Open API Initiative (www.openapis.org) finden sich zahlreiche namhafte amerikanische Softwareunternehmen. Diese Unternehmen wollen es Anwendern mit verfügbaren offenen Schnittstellen erleichtern, integrierte Systemwelten einzurichten, selbst wenn dafür Daten mit den Lösungen Dritter ausgetauscht werden müssen. Open API auf MOS-Anwendungen zu übertragen heißt, alle Anwendungen greifen auf dieselbe Programmierschnittstelle zu. Kein IT-Unternehmen hat privilegierten Zugang zu den erfassten Daten. Das macht es produzierenden Betrieben einfacher, alle Anwendungen innerhalb des bestehenden IT-Umfeldes mit den erforderlichen Betriebs- und Prozessdaten zu versorgen.

Zugang zu Hightech sichern

Wichtige Anwendungen in Produktion und Planung profitieren von einheitlich verfügbaren Betriebsdaten im MOS. Die Integration der Betriebsdaten sowohl für mehrere Fabrikstandorte als auch für die übergeordnete Unternehmensplanung im ERP-System wird möglich. Das ist eine wesentliche Voraussetzung, um die Produktivität kurzfristig zu erhöhen und mittelfristig positive Effekte bei Kosten, Sicherheit und Umwelt zu erzielen. Darüber hinaus lässt sich bei offenen Shop Floor-Systemen auch zukünftige Spitzentechnologie für Smart Manufacturing integrieren. Bei der Auswahl dieser Anwendungen kann sich jeder Betrieb für die für ihn am besten geeignete Lösung entscheiden – die Herstellerbindung muss nicht zum Lock-in-Effekt führen. Anwender eines offenen MOS können Betriebsdaten über Schnittstellen mit jeder proprietären oder freien Anwendung analysieren. Damit stehen die produktionsnahen Daten für die Technologien bereit, die dem Leitbild einer Smart Factory entsprechen:

  • • Schnelligkeit: Echtzeitverarbeitung durch In-Memory Computing
  • • Transparenz: Technologie zur Auswertung und Analyse
  • • Flexibilität: Anschluss aller Maschinen und Software-Elemente
  • • Konnektivität: Eine Plattform für alle Systeme (SAP/ERP, PLM, CAQ, TDM)
  • • Mobilität: Ortsunabhängige Kommunikation auf mobilen Endgeräten
  • • Globaler Systemeinsatz: Unterschiedliche Sprachen, Zeitzonen und Rechneruhren lassen sich berücksichtigen

Flexibilität für die Industrie 4.0

Seitdem sich der Begriff MES in den 1990er-Jahren etablieren konnte, hat sich technisch viel verändert. Alle Anbieter industrieller Lösungen müssen daran arbeiten, ihre Systeme auf dem neusten Stand zu halten. Wenn veraltete Technologie im Fertigungsbetrieb an Grenzen stößt, ist der Rechtfertigungszwang und Vertrauensverlust oft nicht weit. Dem tragen MOS-Anwendungen mit offenen Schnittstellenkonzepten Rechnung und unterstützen damit die Weiterentwicklung im hiesigen Mittelstand. Eine Betriebsdatenerfassung mit einem MOS auf Basis von Open API begleitet Fertigungsunternehmen hervorragend auf ihrem Weg zur Smart Factory und zu intelligenten Wertschöpfungsketten der Industrie 4.0.