IT&Production: Wovon hängt die Geschwindigkeit ab, mit der Normen und Standards in Deutschland vorangetrieben werden?

Zühlke: Mit der Geschwindigkeit haben wir in Deutschland durchaus ein Problem. Das hängt auch mit der Vielzahl an Instituten und Verbänden zusammen, die Sichtweisen ihrer Mitglieder in die Diskussion einbringen. Der OPC UA-Standard ist weltweit unangefochten und ein gutes Beispiel: Um die Entwicklung insgesamt zu beschleunigen, sollten sich einige der Anbieter zusammensetzen und mit verbindlichen Standards vorangehen, damit andere nachziehen können. Denn es gibt nur wenige Anbieter, die ihre Lösungen ohne Berücksichtigung existierender Standards erfolgreich vermarkten können.

IT&Production: Was bewegt Ihre Industrie-Partner dazu, sich als Konkurrenten in gemeinschaftlichen Forschungsinitiativen zu engagieren?

Zühlke: Ganz einfach: Die Vision Industrie 4.0 ist eine Netzwerkvision; sie ist nur im Netzwerk erreichbar. Wir sehen uns hier gut aufgestellt, um ein entsprechendes Industrie-Netzwerk zu bilden. Das belegt der deutliche Mitgliederzuwachs, den der eingetragene Verein Smartfactory-KL im Vorfeld der Hannover Messe verzeichnete. Eine Grundlage für den Erfolg der Zusammenarbeit bildet die Vereinsstruktur, in der Unternehmen als stimmberechtigte Partner zusammenkommen. Zwar gibt es da und dort insbesondere bei der internationalen Zusammenarbeit Diskussionsbedarf etwa beim Aushandeln von Verträgen. Der Gewinn aus der Zusammenarbeit wird insgesamt jedoch höher eingestuft, als die zu bewältigenden Probleme. Ich bin sehr stolz drauf, wie sich dieses Modell entwickelt hat und auch darauf, dass wir nun aus der Phase der Prototypen heraus sind und auf der Hannover Messer erste Produkte zeigen konnten.

IT&Production: Manche Ihrer Partner sind parallel zu Ihrem Engagement in Deutschland in internationale Forschungsvorhaben eingebunden. Sind Synergien zu beobachten oder ziehen die Forschungsteams womöglich an zwei Enden des gleichen Seils?

Zühlke: Ich sehe das sehr positiv. Ein Beispiel dafür ist das Unternehmen Bosch, das auch im International Internet Consortium aktiv ist. Das ist eine gute Gelegenheit zum Erfahrungsaustausch. Wir haben auf diese Weise sehr viel darüber erfahren, wie innerhalb des Konsortiums gedacht wird und haben auch eigene Erfahrungen weitergegeben. In Kürze findet in den Vereinigten Staaten ein großer Kongress statt. Auch das ist wieder eine hervorragende Gelegenheit zum Austausch. Auf diesen sind wir hierzulande auch dringend angewiesen, da Deutschland zu klein ist, um den Weg zur Industrie 4.0 alleine zu bewältigen. Obwohl ich große Hoffnungen in die benachbarten Industrien des Euro-Raums gesetzt habe, können sie uns derzeit nicht weiterhelfen. Gerade in den Ländern Spanien, Italien und Frankreich ist derzeit Funkstille, was Industrie 4.0-taugliche Anwendungen und Produkte betrifft. Die Gründe dafür sind immer noch die finanziellen Probleme dieser Länder, die alles andere in den Hintergrund drängen. Zudem erhalten die Industrien wenig Unterstützung durch ihre Regierungen. Auf meinen Reisen durch das europäische Ausland bemerke ich, dass die dortigen Industrien den globalen Entwicklungen in diesem Bereich um gut zwei bis drei Jahre hinterherhinken. In meinen Vorträgen dort geht es daher noch um Grundlegendes.

IT&Production: Die Hannover Messe 2015 ist vorüber. Wie geht es für die Smartfactory-KL jetzt weiter?

Zühlke: Nach der Messe ist vor der Messe. Wir werden gemeinsam mit unseren Partnern das weitere Vorgehen planen. Es wird darum gehen, Schwachstellen zu identifizieren und zu beheben. Zudem gibt es viel zu tun, um die Durchgängigkeit von Enterprise Resource Planning-Lösungen bis hinunter auf die Steuerung herzustellen. Dafür braucht es Protokolle, die auf oberster Ebene ansetzen. Wir berücksichtigen in aktuellen Szenarien bereits Funktionen für Energiemanagement, Big Data-Analysen und Reporting, in Bezug auf die Durchgängigkeit der Informationsflüsse steht allerdings noch einige Arbeit bevor. Auch viele Fragen zur IT-Security müssen beantwortet werden. An diesen Herausforderungen arbeiten weiterhin die Arbeitsgruppen der Smartfactory-KL, die in ihrer aktuellen Form bestehen bleiben.