Durch die Simulation endformnaher Gussteile lassen sich beispielsweise vorgegossene Bohrungen ohne mechanische Bearbeitung erzeugen. Bildquelle: Magma GmbH

Weniger Schmelzmaterial im optimalen Gießsystem

Entscheidender als eliminierte Probegüsse ist jedoch die Entwicklung von optimal ausgelegten Gießprozessen für die Serienproduktion. Auf Basis der Simulationsergebnisse kann mit zusätzlichen Optimierungsalgorithmen unter zahlreichen Systemvarianten diejenige gefunden werden, die das Gussteil mit dem geringsten Materialeinsatz in der geforderten Qualität produziert. Die Gießerei der Heidelberger Druck AG in Amstetten etwa hat die Gießprozesse von 38 Teilen mit einem Produktionsvolumen von 32.000 Stück pro Jahr via Simulation überprüft und entsprechend modifiziert. Dadurch konnte sie 295 Tonnen Kreislaufmaterial bei einem Materialeinsatz von 1.300 Tonnen einsparen. Das Kreislaufmaterial besteht aus dem Teil der Schmelze, der nach dem Guss im Gießsystem oder in den ‚Speisern‘ verbleibt. Es kann zwar entfernt und wiederverwendet werden, muss aber zunächst mit Energieverbrauch erschmolzen werden, und auch die Wiedergewinnung kostet Energie.

Heidelberger konnte in den ersten 18 Monaten der Nutzung der Gießprozess-Simulation 100.000 Euro pro Jahr an Material- und Energiekosten einsparen. Konkret können mit der Simulation beispielsweise die Speiser reduziert werden. Wenn die Schmelze sich beim Abkühlen zusammenzieht, fließt Material aus den Speisern in die Form und verhindert so das Entstehen von Löchern – den ‚Lunkern‘ – im Gussteil. Je weniger Speiser benötigt werden, desto weniger Material muss zusätzlich eingegossen werden. Auch das Volumen des Gießsystems lässt sich mit Simulation verringern, so dass weniger Kreislaufmaterial in den Zuläufen erstarrt. Ford Köln konnte durch Optimierung die Gießtechnik für ein Druckgussteil von einer Einfachform auf eine Zweifachform umsetzen. Insgesamt sparte dies zwischen 25 und 40 Prozent, das größte Potenzial liegt in den reduzierten Energiekosten.

Wärmebehandlung und Teilequalität unter der Lupe

Viele Gussteile erhalten ihre Bauteileigenschaften durch eine Wärmebehandlung nach dem Gießprozess. Die optimale Prozessauslegung hängt dabei von der genauen Kenntnis des Gefüges im Bauteil ab, das durch Simulation vorhergesagt werden kann. Sicherheitszuschläge in den Behandlungszeiten können so drastisch reduziert werden. Die Reduzierung von Wärmebehandlungszeiten eines Windkraftteils von sechs auf vier Stunden resultiert bei 500 Teilen pro Jahr in einer Einsparung von 100.000 Kilowattstunden. Weitere Material- und Energieeinsparungen verspricht eine verbesserte Qualität der Gussteile, die sich durch Simulation erreichen lässt. So kann Ausschuss um bis zu zweistellige Prozentwerte gesenkt werden, energieintensive Nachbearbeitungen werden reduziert oder überflüssig.

John Deere konnte das Ausbringen eines Graugussteils auf diese Weise von 58 Prozent auf 64 Prozent erhöhen. Dies entspricht Kosteneinsparungen von 66.600 Dollar pro Jahr, der jährliche Ausschuss wurde um 66.936 Tonnen reduziert. Insgesamt ließ sich der Eisenbedarf um 195 Tonnen senken, die Energieeinsparung betrug 160.000 Kilowattstunden pro Jahr. Grundsätzlich lassen sich Metallteile auch mit spanenden Verfahren und Verbindungstechniken wie Schweißen oder Schrauben produzieren. Beim Gießen werden jedoch pro Tonne Material zwei Drittel weniger Primärenergie benötigt als für spanende Verfahren. Simulation macht es nun möglich, endformnahe Gussteile zu realisieren, die bislang nur Fräs- oder Schleifmaschinen produzieren konnten. So gießt Metabo Werkzeugteile mit vorgegossenen Bohrungen, die zuvor durch mechanische Bearbeitung eingefügt wurden. Die wenigen Cent Ersparnis pro Bauteil addieren sich dabei auf mehrere hunderttausend Euro pro Jahr.

Umwelttechnologie als Wettbewerbsvorteil

Die Gießprozess-Simulation gehört in vielen Gießereien zu den Standardtechniken. Vor allem Abnehmer in Automobilindustrie, Maschinenbau und Windkraftbranche verlangen von Zulieferern simulationsgetestete Produktionsprozesse und Gussteile. Die von der EU verfolgten Energie- und Klimaschutzziele sehen bis 2020 unter anderem eine Verbesserung der Energieeffizienz um 20 Prozent vor. Die Beispiele dokumentieren, dass bei konsequenter Nutzung von Simulation eine zehnprozentige Effizienzsteigerung möglich ist. Dies entspricht einem Einsparvolumen allein für die deutsche Gießerei-Industrie von bis zu 1 Milliarde Kilowattstunden oder 560.000 Tonnen CO2 pro Jahr. Vor dem Hintergrund der aktuellen Energiediskussion und der Möglichkeiten, mit Gießprozess-Simulation Energie und Material zu sparen, entwickelt sich der konsequente Einsatz von Software in möglichst vielen Gießereien auch zu einer klimapolitischen Forderung.





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