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Modular automatisieren

Plug-and-Produce rückt näher

Mit Dima hat Wago eine herstellerunabhängige Lösung für die Automatisierung modularer Anlagen vorgestellt. Sie soll das Engineering deutlich verkürzen und spätere Umbauten erleichtern. Im aktuellen Demonstrator lassen sich Module aufgrund ihrer detaillierten Beschreibung ganz einfach austauschen in weniger als zweieinhalb Minuten.



Bild: Wago Kontakttechnik GmbH & Co. KG

Produktionseinheiten, die sich ad hoc vernetzen, um im Verbund einen Produktionsauftrag zu bearbeiten, sind ein zentrales Industrie 4.0-Szenario. Aus gutem Grund: Der Wunsch nach individuellen Gütern führt zu einer höheren Variantenvielfalt – teilweise bis zur Fertigung von individualisierten Produkten. Die globale Verfügbarkeit von Waren sorgt für schwankende Auftragseingänge und sich regional verschiebende Absatzmärkte. Hinzu sind zunehmend kürzere Produktlebenszyklen gefordert: Angesichts knapper Liefertermine bleibt auch den Entwicklern immer weniger Zeit. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen produzierende Unternehmen diesen Veränderungen Rechnung tragen. Aktuelle Produktionssysteme stoßen hier an Grenzen. Um dem Industrie 4.0-Szenario der vernezten und sich selbst steuernden Produktion näher zu kommen, müssen die am Produktionsverbund beteiligten technischen Ressourcen wandlungsfähig sein − sich also an variierende Produktionsprozesse anpassen lassen. Um als Ressource mit den variierenden produktionsrelevanten Prozess- und Produktdaten abgeglichen werden zu können, müssen sie zugleich geeignet digital beschrieben werden.

Wandlungsfähige Produktionssysteme

Wandlungsfähige Fertigungssysteme lassen sich auf Basis modularer Produktionsanlagen realisieren. Bei dieser Herangehensweise werden Module unterschiedlicher Funktion an eine Infrastruktur oder Backbone gekoppelt. Durch An- und Abkoppeln von Modulen kann der Produktionsprozess schnell an den jeweiligen Bedarf angepasst werden. Die Möglichkeiten, die sich durch das ‘Zerschneiden’ heute noch monolithischer Anlagen in Module ergeben, sind vielfältig: Modulare Anlagen verkürzen das Anlagen-Engineering, indem sie Planung und Entwicklungsprozess einer Anlage in ein projektunabhängiges Modul-Engineering einerseits und ein zeitkritisches Anlagen-Engineering andererseits auftrennen. Sie erlauben die einfache Variation der Produktionsmenge, indem baugleiche Module in parallelen Produktionssträngen eingesetzt werden.

Scale-up entfällt

Gut konstruierte und dokumentierte Module erlauben auch, auf ein Scale-up der Prozesse aus dem Labor über das Technikum bis hin zu industriellen Produktionsprozessen zu verzichten. Der einmal im Labor entwickelte Prozess lässt sich schließlich durch ein Numbering-up auf die gewünschte Produktionsmenge anpassen. Mit modularen Anlagen können Produktionsmengen schnell an lokale Marktgegebenheiten oder auf politische Veränderungen im Produktionsland angepasst werden. Entweder durch die Verlagerung einzelner Module oder aber durch den Transfer der gesamten Produktionsanlage. Ein weiterer Vorteil ist, dass Test, Einfahren und Abnahme am Entwicklungsstandort organisiert werden kann, bevor die Anlage an den Produktionsstandort versendet wird. Entsprechend geschultes Fachpersonal ist am Produktionsstandort kaum noch erforderlich.



Aktuell arbeiten mehr als 30 Unternehmen daran, die Beschreibungsmethode MTP in den Bereichen Prozessführung, Visualisierung, Alarmmanagement und Diagnose zu standardisieren. Bild: Wago Kontakttechnik GmbH & Co. KG

Module automatisieren

Modulare Produktionsanlagen stellen hohe Anforderungen an die Automatisierungstechnik. Sollen unterschiedliche oder gleiche Module in einen Backbone gekoppelt, schnell wieder entfernt oder ausgetauscht werden, ist dies mit heutigen Prozessleitsystemen nur bedingt möglich. Ihre Programmier- und Visualisierungsumgebungen sind oft zu unflexibel. Die Automatisierungsmethodik sollte vielmehr ebenso modular wie die Anlage selbst sein. Im Idealfall entspricht das virtuelle Abbild einer Anlage im Prozessleitsystem stets der physikalischen Wirklichkeit. Kommt ein neues Modul hinzu, sollte es im Sinne eines Plug-and-Produce ohne Programmieraufwand im Prozessleitsystem abgebildet und nutzbar sein. Solchen Anlagearchitekturen muss ein neuer Ansatz für die Automatisierung zu Grunde liegen – nämlich der einer dezentralen Verarbeitungsintelligenz. Diesen Ansatz hat Wago mit der TU Dresden und der Helmut-Schmidt Universität Hamburg konkretisiert und im November 2014 Dima vorgestellt, kurz ‚Dezentrale Intelligenz für Modulare Anlagen‘. Das System verlagert große Teile der Steuerungs- und Regelungsintelligenz in die Module. Diese stellen ihre Funktion als Dienst zur Verfügung, welche andere Kommunikationsteilnehmer über eine vereinheitlichte Schnittstelle abrufen. Die Integration der autarken Anlagenmodule erfolgt über ein in Dima definiertes Datenmodell, welches auf einer diensteorientierten Architektur basiert.

Digitale Beschreibung

Der Vorgang der Bekanntgabe der Dienste und Bedienbilder basiert nicht auf proprietären Lösungen, sondern auf der vergleichsweise neuen Beschreibungsmethodik Module Type Package (MTP). Sie dient als digitale Beschreibung eines Anlagenmoduls und beinhaltet die Informationen, die zur Einbindung des Moduls in die Anlage und zur Bedienung erforderlich sind. Das umfasst die Beschreibung der Dienstleistung, die Variablen, die genutzte Kommunikationstechnologie für die Kommunikation zwischen der Prozessführungsebene und der Modul-SPS, eine Beschreibung der Bedienoberflächen des Moduls und weitere Inhalte wie die Dokumentation. Damit lassen sich für das anlagenweite Automatisierungssystem gänzlich unbekannte Module innerhalb weniger Minuten einbinden. Die Modellierung dieser Fähigkeitsbeschreibung ist der Kern von Dima. Die Prozessfunktion des Moduls − wie das Reagieren eines Reaktormoduls − wird als Service oder Dienst, also einer geschlossenen Funktion modelliert, die über seine standardisierte Schnittstelle angesprochen wird. Die Prozessführungsebene wird damit zum Dienstenutzer. Die Orchestrierung der Dienste aller an den Backbone angeschlossenen und durch einen MTP bekanntgemachten Module erfolgt im Engineering-Werkzeug der Prozessführungsebene. Die Abarbeitung des für diese Dienstleistung erforderlichen Programmcodes erfolgt im Modul selbst.

Die Verbände mit im Boot

Zur Namur-Hauptsitzung im November 2014 hat Wago den Dima-Ansatz vorgestellt. Im Frühjahr 2015 entschied der Verband der Prozessfertiger, den Dima-Ansatz zu übernehmen und gemeinsam mit dem ZVEI weiterzuentwickeln. 2016 arbeiten mehr als 30 Unternehmen in verschiedenen Verbänden an der Standardisierung des Module Type Packages. Sie wollen die Beschreibungsmethode in den Bereichen Prozessführung, Visualisierung, Alarmmanagement und Diagnose standardisieren. Wago hat das Konzept ebenfalls weiterentwickelt und prototypisch umgesetzt. In einem Anlagendemonstrator erzeugt die MTP eines Moduls eigenständig den Programmcode einer SPS. Der Modultausch selbst geschieht durch Einlesen des MTP in ein Prozessleitsystem – in weniger als zweieinhalb Minuten.


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