Professor Zühlke, Smartfactory-KL:

„Mit der Anlage die höchste
Flexibilitätsstufe erreichen“

Industrie 4.0 steht vor allem für die Forschung an der Fabrik von morgen. Und der Demonstrator der Smartfactory-KL repräsentiert wie kaum ein anderer den aktuellen Stand der Technik. Auf der Hannover Messe haben wir die Gelegenheit genutzt, mit Professor Zühlke, Vorstandsvorsitzendem der Technologie-Initiative Smartfactory KL, über das Projekt zu sprechen.

Bild: Technologie-Initiative Smartfactory KL / C. Arnoldi
Bild: Technologie-Initiative Smartfactory KL / C. Arnoldi

Im Vorgespräch sagten Sie, dass Sie auf Ihrem Stand hier auf der Hannover Messe viele Besucher aus anderen Kontinenten begrüßen. Mit welchem Vorwissen in Sachen Industrie 4.0 kommen diese Besucher?

Professor Dr.-Ing. Dr. h.c. Detlef Zühlke: Die Koreaner sind hier den Japanern noch voraus, was sicher auf die noch anhaltenden Probleme der Japaner rund um den Tsunami zurückzuführen ist. Sie holen jetzt dafür schnell auf. Beide Industrien sind sehr stark auf diesem Gebiet. Die meisten Besucher kommen aus China, denen es momentan aber noch an Grundwissen fehlt. Dort geht es mehr darum, fertiges Know-how einzukaufen, um es bei sich zu installieren und daraus zu lernen. Auf jeden Fall kommt das Hauptinteresse aus den Ländern Japan, Südkorea und China. Wenn wir auf die andere Seite des Atlantiks schauen: Die USA machen sehr viel auf diesem Gebiet, kommen allerdings ungern mit Fragen zu uns Deutschen. Wir haben zwar acht US-Unternehmen im Partnerkreis der Smartfactory-KL, aber an der Bedeutung der großen USA gemessen, steht die Kooperation aus meiner Sicht noch am Anfang.

Was ist neu an der Smartfactory-KL-Anlage, wie sie in diesem Jahr in Hannover zu sehen ist?

Zühlke: Zunächst haben wir die Anlage natürlich kräftig weiterentwickelt. Wir haben die relativ starre Struktur der Anlage aufgelöst und auf momentan drei Inseln aufgeteilt, es könnten allerdings durchaus auch noch mehr werden. Diese Inseln werden durch kleine mobile Roboter verbunden, die Werkstücke zwischen diesen Inseln transportieren. Damit können wir demonstrieren, dass unsere Produktion auch in verteilten Systemen funktioniert, denn dieser Roboter könnte natürlich auch ein Lastwagen sein, der zwischen Werken hin und her fährt. In Zukunft werden wir die Module noch weiter auseinanderziehen. Damit wollen wir zeigen, dass wir mit unserer Anlage die höchste Flexibilitätsstufe erreichen können. Das geschieht auf Basis der über das Jahr erarbeiteten Standards, damit alle Elemente zusammenpassen und auch sofort laufen, sobald wir etwas Neues dazu stellen.

Auf welche Standards konnten sie sich seit der letzten Hannover Messe einigen?

Zühlke: Wir fangen auf den unteren Ebenen mit den Ethernet-Standards an, setzen darauf dann auf die Kommunikation per OPC UA und auf den oberen Ebenen auf Webservices. Das ist der aktuelle Stand, der sich aber bald verändern wird, da wir jetzt auf den unteren Ebenen auf TSN, also Time Sensitive Networking, umstellen. Dazu haben wir auf der Messe den ersten TSN-Demonstrator bei uns am Stand gezeigt. Wenn im nächsten Jahr die entsprechenden Produkte verfügbar sind, können wir unsere Ethernet-Verkabelung dazu nutzen, Ethernet-TSN in der kompletten Anlage einzusetzen. Damit sind wir dann auch über Ethernet realtimefähig. TSN wird einen sehr starken Umbruch für die Automatisierungstechnik bringen, da viele der heutigen Feldbusse obsolet würden. Vielleicht noch nicht die einfachen wie AS-I oder I/O-Link, aber so etwas wie Profibus schon. Denn es macht schon Sinn, eher auf die Ethernet-Technologie zu setzen, die meist bereits in den Unternehmen vorhanden ist und aufgrund des Massenmarktes auch preisgünstigere Lösungen erlaubt.


„Mit TSN sind wir realtimefähig und das würde für die Automatisierungstechnik natürlich einen sehr starken Umbruch bedeuten, denn dann würden viele Feldbusse obsolet werden.“
Professor Dr.-Ing. Dr. h.c. Detlef Zühlke


Über OPC UA hört man viel Gutes und kaum Schlechtes. Bei TSN sieht es etwas anders aus. Gerade Automatisierer scheinen das kritisch zu sehen. Es heißt schon mal, TSN sei zwar eine interessante Technologie, die sich jedoch nicht flächendeckend einsetzen lasse.

Zühlke: Das ist verständlich, denn man hat in die heutige Technik viel investiert und möchte daher neue Investitionen vermeiden. Wir erinnern uns auch noch sehr gut an den sogenannten Feldbuskrieg und den Wirelesskrieg. Jetzt möchte man erst mal Ruhe an der ‚Front‘ haben und sagen: Okay, wir haben einen gewissen Satz an Bussystemen, damit können wir gut leben. Wir haben Profinet, Ethercat und alle möglichen anderen Busse, also lasst uns das doch bitte so halten. Jedoch glaube ich nicht, dass sich dies so durchhalten lässt. Ich persönlich bin der Meinung, dass mit der Verfügbarkeit von Ethernet-TSN diese auf vergleichbarer Ebene arbeitenden Busse obsolet werden und an Bedeutung verlieren.

Lassen Sie uns über Software sprechen – was tragen die Software-Spezialisten unter Ihren Partnern gerade zum Demonstrator bei?

Zühlke: Wir werden noch viel im Bereich der MES und ERP-Systeme arbeiten müssen, denn auch die modulare Fertigung muss letztlich geplant und gesteuert werden. Es muss ein System existieren, das sagt, wann ein Modul ausgetauscht werden sollte, um ein neues Produkt zu fertigen. Unsere Partner arbeiten derzeit an den dafür erforderlichen neuen Ansätzen für MES und ERP-Systeme.

Professor Zühlke und sein Team experimentieren mit der Mensch-Technik-Interaktion für industrielle Einsätze. (Bild: Technologie-Initiative Smartfactory KL / C. Arnoldi)
Professor Zühlke und sein Team experimentieren mit der Mensch-Technik-Interaktion für industrielle Einsätze. (Bild: Technologie-Initiative Smartfactory KL / C. Arnoldi)

Was muss an den Anwendungen verändert werden?

Zühlke: Die heutigen Systeme planen noch sehr starr, sie gehen von nur einer festen Anlage aus. Künftig müssen diese Systeme quasi in Echtzeit prüfen, wann eine Rekonfiguration der Anlage sinnvoll ist und etwa ein anderes Produkt in kleinerer Stückzahl produziert werden sollte. Hier muss auch der Umrüstaufwand berücksichtigt werden, damit in der Praxis auch produziert wird und nicht nur Module hin und her geschoben werden. Das können die Systeme heute noch nicht und daran arbeiten unsere Partner.

Was hat es mit diesen Modulen auf sich?

Zühlke: Module sind gekapselte Objekte, die eine bestimmte Funktionalität sowie Dienste anbieten. Das lässt sich vergleichen mit Legobausteinen, nach außen standardisiert aber innen individuell kombinierbar. So lassen sich Anlagen immer wieder an neue Produkt- und Prozesseigenschaften anpassen. Einiges davon haben wir schon vor zehn Jahren entwickelt und können nun auf erste Produkte am Markt verweisen. Wir arbeiten daran, dass man irgendwann „Bausteine“ für eine Maschine oder Anlage erwirbt, die ähnlich einem Drucker zuhause per Plug-&-Play eingesteckt und einfach benutzt werden können. Dafür müssen wir vermeiden, bei jeder Änderung auf die Kabelebene heruntergehen zu müssen.


„Die Firma Harting hat beispielsweise die Micas entwickelt, die den Aufbau industrietauglicher und smarter Netzwerkknoten ermöglichen sowie Daten im direkten Umfeld von Maschinen und Anlagen zwischenzuspeichern, auszuwerten und zu verarbeiten. Diese setzen wir in unserer Anlage ein. „
Professor Dr.-Ing. Dr. h.c. Detlef Zühlke


So sinnvoll es erscheint, den Demonstrator auf die kleinstmöglichen Funktionseinheiten herunterzubrechen – wo endet die Aufgabe der Smartfactory-KL und wann übernimmt der Markt?

Zühlke: Zunächst einmal bringen wir viele Partner zusammen, die etwas gemeinsam anbieten können. Denn zum Schluss bleibt es ein Netzwerkthema, da nicht nur alle Module miteinander sprechen müssen, sondern auch die smarten Sensoren und Aktoren innerhalb der Module. Damit das funktioniert, bringen wir Hersteller und Nutzer an einen Tisch, sodass alle voneinander lernen können Am Ende sollen Produkte von unterschiedlichen Unternehmen entstehen, die zueinander kompatibel sind. Bis jetzt hat das gut funktioniert, wobei die Frage ist, ob wir nicht irgendwann einmal ausgedient haben. Das kann noch ein paar Jahre dauern. Wir entdecken ständig Dinge, die wir angehen müssen, beispielsweise das Thema Security. Auch haben wir gerade ein neues Safety-System bekommen, welches die speziellen Anforderungen solcher Modulsysteme endlich erfüllt. Wir werden noch viele nicht technische Fragen zu klären haben z.B. solche der Produkthaftung. Was ist, wenn Sie Module aus Bausteinen zusammenstellen und nach dem Softwareupdate eines Bausteins die ganze Anlage nicht mehr funktioniert? Damit es dann nicht mit den Schuldzuweisungen losgeht, wird man sich noch viele Gedanken machen müssen. Im Moment werden sich wenige Firmen trauen, einzelne Module zusammenzukaufen, da die Frage nach dem Systemverantwortlichen ungeklärt ist. Es braucht ein Ökosystem, das den Umgang mit Software und Service von bausteinartigen Systemen regelt. Diese Dinge kommen spätestens zur Sprache, wenn die technischen Probleme gelöst sind. Hier ist es an der Smartfactory, dazuzulernen und sich auch einmal von der technologischen Ebene zu entfernen. (ppr)







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