Mehr Aufwand, weniger Gewinn?

Komplexitätsmanagement als zentrale Herausforderung

Das Geschäft wächst. Mehr Produkte und mehr Varianz sind vermeintlich probate Mittel, um gegen Wettbewerbs- und Preisdruck zu bestehen. Die üblichen Marker wie Umsatz, Anzahl von Neukundenprojekten oder Rohertrag senden deutliche Erfolgssignale. Doch der Gewinn entwickelt sich schlechter als erwartet oder ist gar rückläufig. Was führt ein Unternehmen in die Komplexitätsfalle und was sind mögliche Lösungsansätze?

Bild: Photobank / Fotolia

Durch den zunehmenden Wettbewerbsdruck erfährt die Reaktionszeit auf Anfragen immer mehr an Bedeutung. Wer zuerst liefert, verkauft zuerst. Auf der anderen Seite erhöht sich die Reaktionszeit erheblich durch Produktkomplexität, die das Ergebnis von Differenzierung in Nischen ist. Viele Produkte mit vielen Baugruppen und Komponenten verursachen einen hohen Aufwand. Ein konkretes Beispiel mag dies verdeutlichen: Unternehmen A verfügt über 76 Endprodukte gegenüber Unternehmen B, das es lediglich auf 46 bringt. Der Verhältnisfaktor beträgt damit 1,7. Allerdings greift Unternehmen A auf 4.524 Teile zurück, um 76 Endprodukte zu fertigen, während Unternehmen B nur 995 Teile für 46 Produkte benötigt. Diesmal beträgt der Faktor 4,5. Damit erfährt das Unternehmen A einen deutlichen Wettbewerbsnachteil durch dessen Aufwand für Komplexität.

Drei Wirkungsrichtungen

Ansätze zur Beherrschung lassen sich trotz vielfältiger Möglichkeiten in drei Haupt-Wirkungsrichtungen unterscheiden. Erstens ‚quer‘ über die verschiedenen Varianten: Erfolgreiche Unternehmen sind in der Lage, die Marktbedürfnisse mit weniger Varianz zu befriedigen. Dies kann mit Hilfe der Klassenbildung sowie Skalierungsmethoden erreicht werden. Der Erfolgsfaktor ist eine intelligente, vorausschauende Produkt- und Leistungspolitik. Dabei empfehlen sich diese Punkte zur Orientierung:

  • Im Kern steht der Baukasten, der aus standardisierten Bauteilen besteht und in der Lage ist, alle vorgeplanten Varianten ohne Neukonstruktion zu ermöglichen.
  • Nicht alle möglichen Varianten können immer verfügbar gehalten werden. Deshalb ist innerhalb dieses Kerns ein Standard-Vorzugsprogramm aus den wichtigsten Hauptvarianten zu identifizieren. Nur diese stehen auch für Kleinstbestellungen zur Verfügung.
  • Auf den Baukasten aufsetzend kann jede Kundenlösung appliziert werden, wenn sie sich zu vollen Prozesskosten attraktiv realisieren lässt. Dies wird in der Regel mit einem dedizierten kundenspezifischen Projekt realisiert und dort auch kostenseitig gesteuert.

Die zweite Hauptwirkungsrichtung ist ‚längs‘ entlang der Wertschöpfung: Varianten sollen möglichst am Ende der Prozesskette erzeugt werden. Der sogenannte Order Penetration Point (OPP), an dem die kundenanonyme Vorproduktion endet und die kundenspezifische Ausprägung beginnt, soll möglichst weit in Kundenrichtung geschoben werden. Der OPP trennt zwei Teilprozesse:

  • Up-Stream: Links vom OPP – also in Fertigungsrichtung – wird kunden- und auftragsanonym produziert. Je besser der Normierungsgrad und die Baukastenstruktur ausgeprägt sind, desto besser ist es in dieser Phase möglich, Komponenten und Baugruppen vorzufertigen und Nivellierungstechniken zu nutzen.
  • Down-Stream: Rechts vom OPP – in Kundenrichtung -darf nur noch auftragsbezogen produziert werden; das Endprodukt sollte dann schnellstmöglich fertiggestellt und ausgeliefert werden.

Im Bild:Dr. Andreas Rükgauer, Inhaber der Unternehmensberatung Intent.Consult.

Die dritte Wirkungsrichtung: verläuft entlang der Zeitachse des Produktlebenszyklus: Auch hier gilt: Je früher, desto besser. Dementsprechend lassen sich folgende Maßnahmen von der Produktentstehung bis zum Produktende gruppieren:

  • Vorbeugen beziehungsweise Vermeiden durch ein intelligentes Produktprogramm sowie eine
  • durchdachte Produktstruktur während der Produktdefinition.
  • Beherrschen und Abbauen durch schlagkräftige Normierungs- und Freigabeprozesse sowie durch regelmäßige Bereinigungen und systematisches Ausphasen während der Produktlebenszeit.

Prozesskosten decken

Prozesskosten sind immer schon da. Bei genauer Analyse entfalten sie erhebliche Wirkung: Wenn ein typischer Auftragsvorgang zum Beispiel 200 Euro kostet, müssen selbst bei einem Deckungsbeitrag von 65 Prozent mindestens 308 Euro Umsatz pro Auftrag erzielt werden, um die Prozesskosten zu decken. Wenn der Auftragswert darunter liegt, führt dies am Ende zum Verlust. Nimmt dazu noch die Produktvarianz zu, werden die Auftragsprozesskosten auf immer kleinere Mengen umgelegt; die Folge ist eine Verteuerung der Produkte und eine Einbuße der Wettbewerbsfähigkeit. Unternehmen sollten daher die Aufwandskosten für die Auftragsabwicklung gründlich ermitteln. Eine qualifizierte Prozesskostenrechnung ist die Grundlage, die erfahrungsgemäß mit einem externen Berater effektiver umzusetzen ist. Zur Herangehensweise haben sich diese Schritte etabliert:

  • Hauptbedarfsträger identifizieren und gruppieren
  • Anhand eines Prozessmodells, das die Vielfalt mit ausreichendem Detaillierungsgrad abbildet, die Verbrauchsfunktionen ermitteln
  • Anschließend sind die Kostenstrukturen zuzuordnen und die entsprechenden Kostenfunktionen zu ermitteln
  • Bereitstellung eines prozessorientierten Kalkulationsschemas für jeden Bedarfsträger

Fehlende Ressourcen

Komplexitätsmanagement ist ein sehr gut erforschtes Gebiet mit vielfältigen methodischen Ansätzen. Dennoch verfügen klein- und mittelständische Unternehmen selten über das Know-how und die Ressourcen, diese Methoden konsequent und effektiv umzusetzen. Qualifizierte Fachberater können von Portfolio- und Prozesskostenanalysen bis hin zu konkreten Entscheidungsvorlage im operativen Bereich gewinnbringend unterstützen. Durch spezielle Bundes- und Landesprogramme sind die Leistungen oftmals förderfähig.





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