Der Autor Dr. -Ing. Harald Hoff ist Geschäftsführer der HIR Hoff Industrie Rationalisierung GmbH.

Die Balance zwischen Standard und Systemanpassung finden

Dem RFP-basierten Auswahlverfahren folgt sinnvollerweise eine Vorort-Präsentation der zwei bis drei favorisierten Anbieter. Dieser Teil wird gern auch als ‚Beauty-Contest‘ oder Schönheitswettbewerb bezeichnet. Je besser hier die Vorbereitung und die Vorgaben seitens des Projektteams in Hinblick auf zu präsentierende Inhalte sind, je eher ist die Vergleichbarkeit der Anbieter- und System-Präsentationen gewährleistet. Dabei sollte insbesondere die Erfüllung von ‚K.O.-Kriterien‘ kritisch hinterfragt und vom Anbieter demonstriert werden, um damit Verständnis- und Interpretations-Missverständnisse zu vermeiden. Allzu oft erweist sich dabei die im Lasten- beziehungsweise Pflichtenheft bestätigte Erfüllung zwar als prinzipiell korrekt, aber für den speziellen Anwendungsfall vor Ort als wenig praxistauglich. In diesem Fall steht das Projektteam am Scheideweg. Kann keiner der Anbieter das geforderte Funktionspaket befriedigend umsetzen, stehen dem Betrieb nur zwei Optionen offen: Entweder werden Neuprogrammierungen beauftragt, oder die eigenen Prozesse müssen bis zu einem gewissen Grad an den Standard angepasst werden.

Dabei sollten die Beteiligten klare Prioritäten legen. Bietet der eigene Ablauf keine Vorteile im Hinblick auf Produktionszeit, Ressourcenaufwand und Prozesssicherheit, ist der Griff zum einfacher zu implementierenden Standard vielfach die bessere Alternative. Ein Beispiel hierfür kann die vereinfachte Erfassung von Maschinendaten für die Alarmierung und Datenauswertung darstellen. Trägt eine Funktionalität hingegen unmittelbar zur Wertschöpfung bei – etwa, indem eine bestimmte Prozesskette bei der Planung, Steuerung und Freigabe von Fertigungsaufträgen und -dokumenten genutzt wird – kann sich eine Anpassung lohnen. Im besten Fall hinterlegt der Anbieter solche Änderungen als Konfiguration im System, sodass die Sonderlösung auch bei späteren Updates zuverlässig funktioniert. Schlagworte hierbei lauten etwa ’serviceorientierte Architektur‘ oder ‚objektorientierte Programmierung‘.

Das System auf dem Laufsteg: Es geht nicht nur um ‚Hardfacts‘

Darüber hinaus gelten bei einem Beauty Contest für Manufacturing-Systeme durchaus vergleichbare Regeln wie bei einem klassischen Schönheitswettbewerb: Gefühle und ein wenig Irrationalität sind erlaubt und normaler Bestandteil des Auswahlprozesses. Schließlich geht es bei einer Zusammenarbeit neben der funktionalen Abdeckung von Anforderungen auch um ‚Softfacts‘ wie Vertrauen in den Anbieter, Sympathie oder Antipathie für eine Benutzeroberfläche, persönliche oder arbeitsplatzbezogene Prozessänderungen, mehr oder weniger Arbeitsaufwand für die Anwender vor Ort und weitere, mögliche Akzeptanzhürden. Hier können frühzeitig wesentliche Hindernisse oder positive Fakten für eine erfolgreiche Systemeinführung hervortreten, wenn ihnen entsprechender Raum gelassen wird. Vor diesem Hintergrund sollten die rationalen ‚Hardfacts‘ bei den zur Präsentation eingeladenen Anbietern bereits anhand des RFP weitgehend geklärt sein, mit Ausnahme des verbindlichen Richtangebots. Ein seriöses, belastbares Richtangebot wird ein MES-Anbieter erst nach einem intensiven Workshop erstellen können, in dem auch die Projektplanung, die konkreten Projektinhalte und die Projektorganisation besprochen und abgestimmt wurden. Wenn bis hierhin alles richtig gemacht und nach Möglichkeit auch der Referenzkunden kontaktiert oder gar besucht wurden, steht erfolgreichen Vertragsverhandlungen und einem guten Projektstart wenig entgegen.







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