Konstruktion des Airbus A350 XWB

Innovationen Flügel verleihen

In der Vergangenheit reichte es aus, Fluggäste sicher zu befördern. Heute erwarten Fluggäste mehr: Günstiger, umweltfreundlicher, nachhaltiger, entspannter, leiser und angenehmer sollen Flugreisen sein. Das ergab eine Befragung von Airbus, an der 20.000 Menschen teilnahmen. Bei der Entwicklung und Fertigung des Großraumflugzeuges A350 XWB setzte der Hersteller alles daran, diese Forderungen umzusetzen. Dabei half die Entwicklungsplattform 3DExperience von Dassault Systèmes.



Installation elektrischer Kabelbäume für die A350 XWB. Bild: Airbus

Den gestiegenen Erwartungen der Reisenden an ihre Transportmittel trägt Airbus mit der A350 XWB – für eXtra-Wide Body – Rechnung. Das neueste Airbus-Langstreckenflugzeug will konsequent auf die Vermittlung eines positiven Flugerlebnisses setzen und kommt damit bei den Fluggesellschaften an. Sie orderten mittlerweile 700 A350 XWB-Maschinen. Um die ehrgeizigen Terminpläne und die Innovationstiefe halten zu können, setzte Airbus von der Konstruktion bis zur Fertigung auf die 3DExperience-Plattform von Dassault Systèmes.

Kundenwünsche von der Kabine bis zur Unterhaltung

Die Konstruktion des Fliegers orientiert sich an Kundenwünschen – von der Kabinenergonomie bis zum In-Flight-Entertainment. Zudem verbindet die A350 XWB die Fortschritte bei der Konstruktion aerodynamischer Tragflächen mit einer Flugzeugstruktur in Leichtbauweise. Die Rumpf- und Flügelstrukturen – also mehr als die Hälfte des gesamten Flugzeugs – bestehen aus Kohlefaser. „Die A350 XWB ist das erste Flugzeug, bei dem dieses leichte Material so umfassend zum Einsatz kommt, was wiederum maßgeblich für die Senkung des Treibstoffverbrauchs ist“, sagt Didier Evrard, Executive Vice President und Leiter des A350-XWB-Programms bei Airbus. „Die innovative Flügelkonstruktion macht die XWB zu einem besonders leisen und aerodynamischen Flugzeug.“ Bei der Konstruktion war Airbus eine Entwicklungsplattform wichtig, die eine globale Zusammenarbeit über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg unterstützt und stetig aktuelle Daten vorhält.

IT-Umgebung für die Konstruktion

Der Erfolg des Produktdesigns hängt auch mit der Qualität der eingesetzten Software zusammen. „Mit der 3DExperience-Plattform konnten wir die Qualität und Effizienz der Konstruktion erheblich verbessern“, schildert Evrard. „Die Flugzeugstruktur, die Installationssysteme, die Rohrleitungen, die Verbundwerkstoffe und die elektrischen Systeme haben wir mit Catia vollständig in 3D konstruiert“, erläutert Antoine Scotto, von 2007 bis 2011 Leiter des PLM-Programms für das Großraumflugzeug. Beispielsweise hat das Unternehmen ein neues Verfahren zur Dimensionierung und Installation der hydraulischen und elektrischen Systeme erfunden.

Mit der durchgängigen Harmonisierung des Kabelbaus konnten zudem Kosten sowie Vorlaufzeiten gesenkt und die Serienreife der Maschine verkürzt werden. Da die Auslieferungsziele ehrgeizig waren, musste Airbus bei der Entwicklung des Großraumflugzeugs weltweit sicherstellen, dass alle internen und externen Beteiligten eine hohe Qualität liefern und eng zusammenarbeiten. Dies unterstützt die Entwicklungsplattform, auf der Mitarbeiter und Zulieferer in Echtzeit gemeinsam an einem digitalen Mockup beziehungsweise digitalen Prototypen arbeiten können.

Zusammenarbeit als Innovationsstrategie

Die Zusammenarbeit ist ein wichtiger Pfeiler der PLM-Strategie des Flugzeugbauers. „Zum Programmstart“, sagt Evrard, „mussten wir daher zunächst Verfahren und Werkzeuge entwickeln, die sich von denjenigen des A380-Programms grundlegend unterscheiden. Damit wollten wir sicherstellen, dass alle an der Entwicklung beteiligten Techniker auf derselben Konstruktionsplattform arbeiten und zudem in einer einzigen Umgebung miteinander kommunizieren.“ Im Rahmen des A350 XWB-Programms sind nun täglich bis zu 4.000 Personen mit der Plattform verbunden, 85 Prozent davon stammen aus der Logistikkette. „Bei den bisherigen Programmen besaß jeder Standort sein eigenes Digital Mock-Up (DMU) und jeder arbeitete separat“, schildert Scotto.

Die fehlende Kommunikation führte zu längeren Konstruktionszeiten und auch zu Fehlern, die die Kosten nach oben trieben. „Diesmal brachten wir unsere Entwicklungsplattformen unter ein Dach – nämlich Enovia – und eröffneten den internen und externen Mitarbeitern von Airbus den Zugang zu diesen Datenbeständen. So brauchen wir für die Synchronisation nur noch wenige Minuten statt wie früher mehrere Tage“, sagt Scotto. Durch die Überarbeitung der Entwicklungsprozesse konnte Airbus eine durchgängige Zusammenarbeit in der Konstruktions- und Entwicklungsphase bis hin zur Produktion realisieren.

Aktuelle Produktdaten für alle Beteiligten

Da alle Beteiligten auf der Grundlage genauer und aktueller Produktdaten in der Wertekette zusammenarbeiten, konnte der Konzern die Anzahl technischer Änderungen erheblich reduzieren und eine hohe Erstflugreife erzielen. „Die Techniker konnten die nötige Zeit zur Aktualisierung eines Einbauplans um 50 Prozent verkürzen und die Anzahl der Konstruktionsänderungsanträge bei der Erstellung manueller Zeichnungen um 25 Prozent verringern. Alles wurde bereits vorab virtuell installiert, eingepasst und verifiziert“, schildert Scotto. Wenn Fehler auftraten, ließen sie sich noch vor der physischen Installation beheben.

Von der Konstruktion direkt in die Fertigung

Über das DMU war die Fertigung mit der Konstruktionsabteilung vernetzt. „Jede konstruktive Änderung wurde in Echtzeit an die Fertigung weitergegeben. Dadurch verkürzt sich die Zeit zur Werkzeugherstellung erheblich“, so Scotto. Damit ließ sich eine Qualität der Konstruktion erzielen, die eine Fertigung praktisch ohne Überarbeitung gestattete. Mit Simulia führten die Techniker realistische nichtlineare Analysen durch. So prognostizierten sie früh im Konstruktionsprozess die Festigkeit und das Verhalten der Flugzeugstruktur. „Wir erstellten sehr große Simulationsmodelle auf Basis der Konstruktionsdaten aus Catia und führten vollständige nichtlineare Struktursimulationen durch“, erklärt Scotto. Auf diese Weise konnte von einer ungefähren linearen Analyse auf eine genauere nichtlineare Analyse umgestellt werden. Damit verstanden die Konstrukteure das Verhalten der Struktur in einer gegebenen Situation besser als zuvor.

Delmia setzte der Flugzeugbauer beim Fertigungs-Engineering und bei der Ablaufplanung in den Werken ein. Die Software trug dazu bei, Programmvorlaufzeiten zu verkürzen und die Fertigungsfähigkeit des Flugzeugs sicherzustellen. Mit dem System ließen sich zudem die Fertigungsabläufe verbessern – von den Montagestationen bis hin zu einzelnen Montagevorgängen. Bei der A330 betrug die Taktzeit in der Endmontage etwa vier Monate. Durch frühen Beginn der Kabineninstallationen verkürzte Airbus den Montageprozess bei der A350 XWB um 30 Prozent im Vergleich zu früheren Entwicklungsprojekten.

Datenzugriff für den Kundendienst

Neben dem Engineering und der Fertigung griff auch der Kundendienst in seinen nachgelagerten Prozessen auf die zentralen DMU für die A350 XWB zurück. In der Vergangenheit stützte sich der Support auf manuell erstellte 2D-Zeichnungen. Mit der konsequent eingesetzten Entwicklungsplattform ließen sich auch im Service digitalisierte Prozesse einrichten, die auf den Systemdaten der Plattform aufbauen. So konnte Airbus beispielsweise mit 3DVia ein Structural Repair and Maintenance-System (SRM) implementieren, das Zugriff, Abfrage und Navigation innerhalb des DMU ermöglicht. So können Beschädigung und mögliche Reparatur von strukturellen Teilen beurteilt werden. Das macht es leichter, Teile zu identifizieren und manuelle Arbeiten zur Erstellung von 2D-Zeichnungen und Skizzen zu vermeiden.

Erstflug und Zukunftsperspektiven

Die 3DExperience-Plattform ist für Airbus ein strategischer Faktor im A350-XWB-Programm geworden. Der Moment der Wahrheit kam mit dem Jungfernflug der A350 XWB am 14. Juni 2013. „Alle Erwartungen konzentrierten sich auf diesen Tag“, sagt Evrard. „Ausgehend von den ersten Entwurfsskizzen liefen alle Herausforderungen auf diesen Augenblick zu.

Der Erstflug war ein Erfolg, ebenso wie die 270 Flugstunden, die wir mit dem neuen Flugzeug in den darauf folgenden zwei Monaten zurückgelegt haben.“ Bis zur nächsten Herausforderung für das Projektteam war es nicht weit: Im Anschluss an den Erstflug ging es um die Beschleunigung des Produktionsanlaufs in Zusammenarbeit mit der Lieferkette. Nur so kann Airbus seine Lieferzusagen einhalten. Auch hier nutzt der Hersteller seine IT-Plattform, um dem richtigen Mitarbeiter den Zugriff auf das DMU zu ermöglichen und die Kommunikation zu erleichtern.

Es gilt, Entscheidungen schnell zu treffen und Probleme zu lösen. „Aufgrund der Komplexität des Programms und der Anzahl der externen Beteiligten hat uns die Entwicklung der A350 XWB vor große technische, technologische und organisatorische Herausforderungen gestellt“, sagt Evrard. „Unsere Entwicklungsplattform sorgte dabei für das Zusammenspiel unserer Programme, Verfahren und Werkzeuge.“ Die so gesparte Zeit könne der Konzern in weitere Innovationen investieren.





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