Komplexe Systeme planen und überblicken

Vielfach kommen von der ersten funktionalen Beschreibung eines Produkts bis zum letzten Leitungsstrangdetail Systeme mit unterschiedlicher Detaillierung zum Einsatz. Häufig wird zudem in verschiedenen Bereichen und mit unterschiedlichen Tools geplant. Hier den Überblick zu behalten und Datenkonsistenz zu gewährleisten, ist eine der zentralen Aufgabe des ‘Systems Engineering’.

Bild: Aucotec

Besonders bei komplexen, hochpreisigen Systemen mit hohen Anforderungen an Technologie und Sicherheit − wie in der Luft- und Raumfahrt − wird der Top Down-Ansatz des Systems Engineerings angewendet. Aber auch beim Entwurf von kompakten, integrierten Systemen ist diese Vorgehensweise üblich. So werden beispielsweise medizintechnische Geräte wie Röntgen- oder Kernspin-Apparate oder Digital Printer für die Druckindustrie, Geld- und andere Handhabungs-Automaten ebenfalls hierarchisch strukturiert geplant und dokumentiert. Ihnen gemeinsam ist der Umstand, dass sie eher Elektronik-Komponenten enthalten als klassische Elektrotechnik, also in der Regel keinen Schaltschrank benötigen. Die Verkabelung läuft über interne Leitungsstränge, ähnlich wie in Fahrzeugen.

Hierarchie-Stufen durchgängig aufbauend planen

Die Aucotec AG aus Hannover bietet mit ihrem Software-System Engineering Base (EB) eine Lösung an, um die hierarchische Struktur des Top Down-Designs konsequent zu unterstützen. Dabei hält das System Daten in hoher Konsistenz vor, da von der ersten Vorplanung bis zur detaillierten Verkabelung alle Informationen im Anlagenmodell der Datenbank durchgängig navigierbar zur Verfügung stehen. Einmal erstellte Objekte lassen sich sowohl für die Detailbearbeitung in einer Untereinheit als auch für neue Projekte wiederverwenden. So werden Irritationen bei den Prozessübergängen und Fehleingaben vermieden und logische Beziehungen, vom Einstrichschema bis zur Detailverdrahtung, sind nutzbar. Jeder Stecker, jede Leitung ist von Anfang bis Ende verfolgbar. Das System lässt den Anwendern dabei die Wahl, ob sie grafisch oder alphanumerisch arbeiten oder beide Ansichten kombinieren möchten. Das klassische Systems Engineering gliedert sich in vier Bereiche: Angefangen bei der Definition der Systeme und Subsysteme über die baulichen Infrastruktur und die Festlegung der Verdrahtungsinformationen bis zum Design der mechanischen Details des Kabelstrangs. In der Software bauen die Informationen eines jeden Bereichs auf den zuvor erarbeiteten Daten auf, was unnötige Doppeleingaben vermeidet.

1. Systeme und Subsysteme

Bei der Systemdefinition geht es um die Übersicht der einzelnen, funktionellen Einheiten einer Anlage oder Teilanlage, noch nicht um konkrete Geräte. Hier erfolgt die Einordnung der unterschiedlichen Funktionsbausteine in die hierarchische Struktur. Dabei kann sich der Planer aussuchen, ob er die verschiedenen Einheiten − etwa Kontrollsystem oder Elektronik − grafisch per funktionalem Blockdiagramm oder lieber alphanumerisch über den Objektbaum aufbaut. Außerdem hat der Ingenieur die Möglichkeit, Daten aus externen Werkzeugen, etwa einem Requirements Management Tool, zu importieren. In diesem Fall können auch vorgegebene, funktionale Strukturdaten in das Projekt übernommen werden.

2. Bauliche Struktur

Im zweiten Schritt werden die Funktionsbausteine mit den erforderlichen Geräten bestückt. Auch die zugehörigen Leitungsstränge und Stecker werden an dieser Stelle festgelegt. Die physische Platzierung der sogenannten Bauräume mit ihren Boxen oder Montagetafeln steht im Fokus. Das geschieht entweder grafisch im ‘physical block diagram’ oder alphanumerisch im hierarchischen Objektbaum oder in den Arbeitsblättern. So ist etwa die Hierarchie eines Steuergerätes innerhalb einer Box innerhalb eines Bauraums zu erkennen oder ein Kabel innerhalb eines Systems oder Bauraums inklusive Stecker. Auch an dieser Stelle können externe Daten zum Beispiel aus dem Product Lifecycle Management-System (PLM) importiert und verwaltet werden.

3. Verdrahtungsinformationen

In dieser Planungsphase werden die Verbindungsdetails entweder in unterschiedlichen Ansichten der Verdrahtungspläne grafisch festgelegt oder alphanumerisch in Listen. Dazu hat der Softwareanbieter einen Assistenten entwickelt, welcher das konsistente Erarbeiten und Dokumentieren der gewünschten Verbindungen und Logiken unterstützt. Auch hier bestimmt der Nutzer, ob er grafisch oder in Listenform arbeiten möchte. Dabei lässt sich die symbolische Darstellung an viele gängige Normierungen anpassen. Die Belegung der Leitungen sowie Drähte und Stecker lassen sich relativ schnell definieren, weil die Geräte und ihre Platzierungen bereits in der Vorphase festgelegt wurden. Auch hier ist es alternativ möglich, Verdrahtungsinformationen aus anderen Lösungen zu importieren.

4. Kabelstrangdetails

Am Ende des Systems Engineering-Prozesses steht die Verknüpfung der physischen 3D-Leitungs-Daten mit den 2D-Leitungsstrang-Informationen. Dazu sendet die Lösung die Geräteinformationen an das 3D-System. Dort werden Kabelbündel und Stecker platziert. Einzelne Leitungen in einem 3D-System zu verlegen, kann sehr viel Aufwand bedeuten. Daher gibt der Mechanik-Fachmann in der Regel die Kabelstrangstruktur samt Topologie zurück an das Engineering-System, das dann Kabelwege und -längen routet. Dabei berücksichtigt die Software auch mögliche Konflikte, so dass etwa Antriebs- und Steuerungskabel nicht im selben Kanal verlegt werden. Schließlich gibt das System die Durchmesser der verschiedenen Kabelbaum-Segmente an das 3D-Modell zurück. In beiden Planungssystemen lassen sich überdies die Kabelstrang-Pläne mit mechanischen Halteteilen oder Schutzzubehör wie Tape oder Rohren vervollständigen. Wo sie angelegt werden, steht den Anwendern frei, in jedem Fall muss die Vervollständigung nur einmal gemacht werden, da das jeweils andere System die Informationen übernehmen kann.

Dokumentorientiertes Freigabemanagement

Mit seinem Freigabemanagement kann die Egineering-Lösung Informationen zu Leitungssträngen in einzelnen Paketen zur Archivierung an das PLM-System übergeben. Abgesehen von Zeit- und Ressourcen-Ersparnis durch weniger Aufwand für das Systems Engineering verspricht dieser Lösungsansatz auch Qualitätsgewinne, da die erarbeitete Elemente gleichzeitig Ausgangspunkt für die nächste hierarchische Stufe sind. So lassen sich Missverständnisse und langwierige Abstimmungen zwischen den Planungsbeteiligten vermeiden, was zu einer merklichen Verringerung der Fehlerquellen führt. Projekte in Industriebetrieben aus den Bereichen Luft- und Raumfahrt sowie Schiffbau haben gezeigt, dass in diesen Branchen besonders der dokumentenorientierte Freigabeprozess, die sichere Einbindung der Software in Unternehmensprozesse sowie Durchgängigkeit geschätzt werden. Das Einlesen von Pinbelegungen zum Beispiel − das auch für andere Industrien relevant ist − wird in der Software über eine Schnittstelle zu den Elektronikbaugruppen abgewickelt, wobei jede Änderung automatisch hervorgehoben wird. Die Nutzung der Boxen als einzelne Verdrahtungseinheiten unterstützt beispielsweise den effizienten Aufbau komplexer Sonarsysteme.

Unabhängige Teilprojekte zur Wiederverwendung

Zudem kann das Gesamtsystem durch den Einsatz einer offenen Software über alle Projektschritte hinweg in unabhängigen Teilprojekten erarbeitet und freigegeben werden. Bei der Wiederverwendung solcher Teilprojekte müssten nur Verknüpfungen angepasst werden. Der für die Systembetreiber konzipierte ‘Mechatronik Explorer’ fasst am Ende dann praxisgerecht alle Einzelprojekte durchgehend und navigierfähig zu einer kompletten Endkunden- Dokumentation zusammen.