Kollaboratives Arbeiten

Projektmanagement setzt auf Dialog

Der Elektroauto-Hersteller Streetscooter entwickelt Fahrzeuge mit Unterstützung einer kollaborativen Projektmanagement-Software. Bei Problemen im Ablauf reagiert die Anwendung mit der Benachrichtigung der betroffenen Mitarbeiter, anstatt den Projektplan automatisch neu zu berechnen. Die anschließend im Dialog erarbeiteten Lösungen kommen oft mit kleinen Änderungen oder Anpassungen aus.

Bild: Streetscooter

Während viele Automobilhersteller derzeit daran arbeiten, die Reichweite ihrer Elektro-Fahrzeuge zu vergrößern, hat sich das Unternehmen Streetscooter in Aachen auf eine Nische spezialisiert: Als Spin-Off der RWTH Aachen hat die junge Firma ein Elektroauto entwickelt, das explizit für Kurzstrecken ausgelegt ist. „Strecken unter 40km werden am häufigsten gefahren”, begründet Geschäftsführer Professor Dr.-Ing. Achim Kampker die Entscheidung. Er ist auch der Inhaber des Lehrstuhls ‘Produktionsmanagement’ an der RWTH Aachen und ergänzt: „Für solche Strecken gibt es längst marktreife Batterie- und Antriebstechnologien − aber noch keine Fahrzeuge in Serienproduktion.” Derzeit arbeiten 20 Ingenieure, meist Absolventen des Instituts, gemeinsam mit etwa 80 mittelständischen Unternehmen und zahlreichen Forschungseinrichtungen daran, den fertigen Prototypen des ‘Streetscooter’ in die Vorserien- und Serienproduktion zu überführen. Die Zeit drängt, denn ab Juni 2013 will die Deutsche Post DHL Briefe und Pakete erstmals mit E-Fahrzeugen aus Aachen ausliefern. Ende des Jahres sollen insgesamt 50 Elektromobile für den Paketzusteller unterwegs sein.

Projektplanung im Dialog statt algorithmen-gesteuert

Spätestens ab dem Auftragsabschluss stand das Unternehmen vor der Aufgabe, die internen Prozesse zu professionalisieren. Besonderes Augenmerk lag dabei auf der Produktenstehung, also Fahrzeugentwicklung und Planung der Produktionsprozesse. Kamen hier im Projektmanagement anfangs noch verschiedene Software-Anwendungen nebeneinander zum Einsatz, so suchten Kampker und sein Team im Sommer 2012 nach einer einheitlichen Projektmanagement-Lösung, welche die verschiedenen Phasen der Produktentstehung darstellen und verzahnte Prozesse integrieren sollte. „Um effizient und qualitativ hochwertig entwickeln zu können, brauchen wir einen durchgängigen Informationsfluss zwischen allen Beteiligten und den richtigen Mix aus stabilen Strukturen und möglichst viel Flexibilität”, sagt der Geschäftsführer. Nach Prüfung der Kriterien wurde schließlich die Projektmanagement-Software RPLAN des Münchener Entwicklers Actano eingeführt.

Die Anwendung arbeitet nach dem Prinzip des ‘kollaborativen Projektmanagements’: Projekte werden hierbei nicht hierarchisch, mit algorithmischer Berechnungslogig und Verknüpfungen durchgeplant. Das kollaborative Projektmanagement setzt stattdessen auf ein ‘dezentrales’ Planen, bei dem Termine und Prozessschritte miteinander vernetzt sind. Das Konzept folgt dabei der Leitlinie: so viele Strukturen wie nötig bei so vielen Freiheiten wie möglich. Davon können insbesonders Projekte profitieren, an denen viele verschiedene Entwicklungspartner beteiligt sind, die unterschiedliche Projektwelten und Vorgehensweisen in Einklang bringen müssen − wie das bei Streetscooter der Fall gewesen ist.

Mithilfe des kollaborativen Projektmanagements sollen die Beteiligten aktiv in die Projektarbeit eingebunden werden, um eine einheitliche, durchgängige sowie funktionsübergreifende Produktentwicklung zu ermöglichen. Die beteiligten Fachbereiche − von den ‘Lead Engineering Groups’, die für die einzelnen Komponenten des Fahrzeugs zuständig sind, über den Einkauf und die Produktion bis hin zu Marketing und Vertrieb − lassen sich per Software über den aktuellen Stand der Projektdaten und den Produktentstehungsprozess informieren. Dabei sendet das Programm bei Verzögerungen in den Planungsabläufen oder bei Konflikten zwischen unterschiedlichen Bereichen entsprechende Hinweise an die zuständigen, von der Änderung betroffenen Mitarbeiter.

Auf diese Weise soll das System den Dialog zwischen den Beteiligten fördern, anstatt den Projektplan automatisch neu zu berechnen. „RPLAN zwingt die Projektverantwortlichen quasi dazu, sich auszutauschen um den Konflikt gemeinsam auzuräumen. Dabei lassen sich oft Lösungen finden, die nicht zu Verzögerungen führen, sondern für die lediglich Abläufe angepasst oder Prioritäten verschoben werden müssen. Wesentlich ist, dass jeder für seinen Projektbereich nicht nur verantwortlich ist, sondern hier auch Gestaltungsspielraum hat. Entscheidungen können auf Basis von Fachkompetenz getroffen werden und werden nicht einfach vom Systemalgorithmus vorgegeben”, beschreibt Markus Lipinsky, CEO bei Actano, das methodische Konzept hinter der Software.

Der Einsatz der Projektmanagement-Software unterstützt derzeit die Aachener Autobauer von Streetscooter dabei, die Herstellungsprozesse ihres Elektromobils in die Vorserien-Tauglichkeit zu überführen. Die Prozesse lassen sich bei Bedarf auch vollständig in der Cloud-Version der Anwendung abbilden. Bild: Actano

Volle Prozessabbildung innerhalb der Cloud

Der junge Automobilhersteller nutzt die inzwischen verfügbare Cloud-Version der Projektplanungssoftware. Dabei spielten der vergleichsweise günstige Aufwand für Aufbau und Betrieb der Lösung eine wichtige Rolle. Aber auch die Kosten für das Startup- Unternehmen sowie die Möglichkeit, das Projektmanagement schrittweise zu modernisieren, spielte im Entscheidungsprozess eine Rolle. „Die Cloud-Lösung ist für uns ideal, weil wir uns auf unsere Kernkompetenz konzentrieren können und keinen Aufwand mit dem Betrieb eines IT-Systems haben”, sagt Dipl.-Ing. Dipl.-Wirt.-Ing. Tobias Reil, Projektleiter bei Streetscooter. Nachdem die Entscheidung für den Einsatz der Software im August 2012 gefallen war, konnte der Aufbau der Systemumgebung innerhalb von zwei Tagen durchgeführt werden. In diesem Zeitfenster ließ sich der Produktentstehungsprozess des E-Fahrzeugs in der Cloud-Lösung abbilden.

Heute laufen Projektplanung und Projektsteuerung des Unternehmens komplett über die Software des Münchner Entwicklers. Dabei steht aktuell die Herausforderung im Fokus, wie sich die Industrialisierungsprozesse an die Erfordernisse einer Serienproduktion anpassen lassen. Neben der Planung eines Produktionskonzeptes gehören hierzu die Werkzeugund Anlagenplanung genauso wie die Realisierung und der Aufbau der Produktionsmittel und die Vorbereitung des termingerechten und prozesssicheren Serienstarts. Mit Blick auf den herausfordernden Auftrag der Deutschen Post DHL kann sich das Unternehmen keine Verzögerungen erlauben. Reil und sein Team haben daher bereits eine Erweiterung des Softwareeinsatzes in Planung: „Wir wollen unsere Partner und Zulieferer in die Cloud-Lösung einbinden, damit sie ihre Prozesse ebenfalls einheitlich und in Abstimmung miteinander planen können. Davon versprechen wir uns einen erheblichen Effizienzschub.”