IT-Unterstützung in der Lohnfertigung

Papierlose NC-Produktion

Wenn pro Schicht drei oder mehr unterschiedliche Bauteile auf einer CNC-Maschine gefertigt werden, bleibt viel Zeit für die Informationsweiterleitung und -verarbeitung auf der Strecke. Um diese unproduktive Zeit zu minimieren, entschied sich ein auf die Herstellung von Prototypen und Vorserien spezialisierter Lohnfertiger für die Einführung eines spezialisierten IT-Systems zur Unterstützung der Fertigungsabläufe.

Bild: Stangl & Co. Präzisionstechnik

Bei der 1988 von Hans Stangl und Stefan Kulzer gegründeten Stangl & Co. Präzisionstechnik GmbH entstehen aus allen zerspanbaren Materialien Prototypen und Vorserien für die Automobilindustrie, die Elektronik und Elektrotechnik, den Maschinenbau sowie für die Medizintechnik und den Werkzeug- und Formenbau. Dafür bietet das in Roding ansässige Unternehmen, das 180 Mitarbeiter beschäftigt, mit Drehen, Fräsen, Rund-, Flach- und Profilschleifen, Honen, Draht- und Senkerodieren, Laserbeschriften und Baugruppenmontage eine große Fertigungstiefe. Hergestellt werden außerdem Teile und Werkzeuge für den Roding Roadster. Diesen zweisitzigen Mittelmotor-Sportwagen mit Carbonfaserchassis baut die Roding Automobile GmbH, die ebenfalls von Hans Stangl und Stefan Kulzer gegründet wurde.

Breites Teilespektrum in Lohnfertigung

Das sehr breite Teilespektrum führt dazu, dass bei dem Lohnfertiger drei und mehr verschiedene Werkstücke pro Schicht auf einer CNC-Maschine bearbeitet werden. Dies stellt hohe Anforderungen an die Fertigungssteuerung. „Wir arbeiten schon immer mit einem Produktionsplanungssystem, aber die gesamte Fertigungssteuerung erfolgte manuell. Die Aufträge wurden händisch angelegt und von den Mitarbeitern von einer Bearbeitungsstation zur anderen getragen. Das war sehr zeitintensiv, verursachte lange Rüstzeiten und die Maschinenauslastung war nicht optimal. 2007 haben wir dann ein Volumen erreicht, das wir ohne effiziente Fertigungssteuerung nicht mehr bewältigen konnten“, erzählt der geschäftsführende Gesellschafter Hans Stangl.

Hohe Praxisorientierung als wichtiges Kriterium

Um die Fertigung optimal zu organisieren, machte man sich bei Stangl & Co. auf die Suche nach einem passenden Softwaresystem. Die Auswahl fiel schließlich auf das Manufacturing Execution-System (MES) MR-CM der Reinhausen CAM, einem Geschäftsfeld der Maschinenfabrik Reinhausen (MR). Diese für Windows-Server zertifizierte Softwarelösung wurde von der MR, einem in Regensburg ansässigen, mittelständischen Unternehmen aus der Hochspannungstechnik, zunächst für die Steuerung der eigenen NC-Fertigung mit rund 50 Maschinen entwickelt. „Dass die MR selbst mit dem System arbeitet, war für uns eines der ausschlaggebenden Kriterien. Denn dadurch wird MR-CM immer weiter entwickelt und auf den aktuellen Fertigungsbedarf angepasst. Außerdem ist MR-CM sehr praxisorientiert“, begründet Hans Stangl die Entscheidung für das System aus Regensburg. „Ein weiterer Vorteil war, dass wir uns während der gesamten Projektlaufzeit mit den Mitarbeitern von MR auf kollegialer Ebene austauschen konnten“, erläutert Florian Dürr, Projektverantwortlicher bei Stangl & Co. Präzisionstechnik.

Vernetzung von 40 CNC-Maschinen

Die IT-Lösung wird als Webserver in die NC-Fertigung integriert und ermöglicht die informationstechnische Vernetzung sowohl mit dem übergeordneten Enterprise Resource Planning- und Produtkionsplanungssystem (ERP/PPS) als auch mit den direkt am Produktionsprozess beteiligten ‚Akteuren‘ – also NC-Programmierung, Werkzeugverwaltung, Einstellgeräte, Werkzeuglagersystem, CNC-Maschinen und Qualitätssicherung. Dadurch können die Steuerungen aller am Fertigungsprozess beteiligten Systeme per Browser bi-direktional in Echtzeit kommunizieren. Das wiederum gestattet einen durchgängigen elektronischen Workflow ohne manuelle Datenweitergabe oder -eingabe. „Das spart nicht nur Zeit, sondern schließt auch die Gefahr von Fehleingaben und die damit verbundenen Kollisionen aus“, sagt der Geschäftsführer. Bei der Stangl & Co. Präzisionstechnik sind 40 CNC-Maschinen mit Heidenhain- beziehungsweise Sinumerik-Steuerung sowie CAM-NC und WOP-NC-Programmierung, NC-Verwaltung, Einstellgerät, Werkzeugdatenbank, Qualitätssicherung und das PPS-System an die IT-Lösung angebunden. „Da sich die Steuerung jeder unserer CNC-Maschinen in Nuancen unterscheidet, musste MR-CM jeweils entsprechend angepasst werden. Das hat sehr gut funktioniert“, berichtet Florian Dürr.

Herausforderung Werkzeugdatenbank

Eine der größten Herausforderungen des Projekts stellte die Strukturierung und Befüllung der Werkzeugdatenbank dar. Dafür mussten die rund 5.100 vorhandenen Werkzeugelemente geometrisch und technologisch beschrieben sowie erfasst werden. Die Einführung des Systems bei Stangl & Co. erfolgte im laufenden Betrieb. „Da wir mit unseren Kunden meist kurzfristige Liefertermine vereinbaren, war es sehr wichtig, dass das normale Tagesgeschäft durch die Umsetzung des MES nicht beeinträchtigt wurde“, erklärt Hans Stangl. Gelungen ist dies durch eine exakte Abstimmung zwischen den Mitarbeitern von Stangl und der MR, wann welche Maschine für die Implementierung zur Verfügung steht.

Um einen effizienten Werkzeugumlauf zu unterstützen, erfolgt am Einstellgerät online eine aktuelle Brutto-/Netto-Berechnung mit der ausgewählten NC-Maschine. Diese Daten dienen als Basis für das anschließend automatisch erzeugte Lagerentnahme- und Einstellprogramm. Bild: Stangl & Co. Präzisionstechnik

Effizienter Datenfluss ohne Papier

Gesteuert wird das MES durch die Mitarbeiter der NC-Fertigung. Dazu zählen CAM-NC- und WOP-NC-Programmierer, Meister, Lagerist, Werkzeugeinsteller, Maschinenbediener und Qualitätssicherer. Das System bietet dafür aufgabenbezogene, einfach durch Touchscreen zu bedienende Oberflächen auf den Bildschirmen der jeweiligen Maschinen und Systeme. Nachdem durch das PPS der Auftrag für ein Werkstück generiert wurde, erstellt das MES aus dem NC-Programm die erforderlichen Werkzeuglisten und stellt sie in Dateiform zur Verfügung. Der Start des Fertigungsauftrages durch den Meister bringt das System dann zum Laufen. Dabei informiert das System den Meister, an welcher Maschine die wenigsten Werkzeuge zu beladen sind. „Durch diese direkte Kommunikation mit den Magazinen der Maschinen lassen sich die Rüstzeiten minimieren“, erläutert der Geschäftsführer. Basierend auf den Werkzeugedaten erzeugt das MES einen Arbeitsvorrat für den Einstellraum, den der Mitarbeiter am Bildschirm abrufen und der Meister priorisieren kann. Die zur Werkzeugvoreinstellung erforderlichen Daten werden passend zum Softwarestand des Einstellgeräts vollständig generiert und übertragen, sowie automatisch das Lagerentnahmeprogramm erzeugt. Nach der Werkzeugmontage, werden die Werkzeuge automatisch vermessen. Anschließend generiert das MES den Werkzeugdatensatz passend zur NC-Maschine und überträgt diesen an die jeweilige Zielmaschine. Für die Rüstung stellt das System alle erforderlichen Informationen im Display der Maschinensteuerung dar. Nach Abschluss aller Schritte geht eine Information an das PPS.

Minimierung nichtwertschöpfender Zeit

„Durch die automatische Datenübertragung können sich die Mitarbeiter jetzt viel besser auf ihre eigentlichen Aufgaben konzentrieren. Die Leute sind an ihren Maschinen und tragen keine Datenblätter mehr durch den Betrieb“, beschreibt der Geschäftsführer die Situation seit der Einführung des MES. Daneben liefert das integrierte Statistikportal konkrete Informationen zu den Fertigungsabläufen. „Die nicht wertschöpfende Zeit wurde durch MR-CM so stark reduziert, dass die Produktivität um rund 30 Prozent höher ist“, sagt Hans Stangl. Gleichzeitig profitiert das Unternehmen von gesunkenen Kosten, unter anderem durch einen reduzierten Werkzeugaufwand, sowie einer höheren Maschinenauslastung.