IT in der Motorenherstellung

Wie an einer Perlenkette

Beim Motorenhersteller Deutz AG steigt die Anzahl der Varianten und damit der unterschiedlichen Teile am Band ständig. Das Unternehmen stieg daher auf eine bedarfssynchrone Materialsteuerung nach dem Perlenkettenprinzip um. Die eigens entwickelte Software-Lösung wird in einem werksinternen Mietmodell betrieben.

Bild: ©Richard Läpple

Jede Variante ab Lösgröße 1 nach Kundenwunsch zu fertigen und innerhalb kürzester Zeit zu liefern – das ist die Philosophie der Deutz AG in Köln/Porz. Das Produktportfolio des Unternehmens kennt etwa 10.000 Varianten, Tendenz steigend. Dass diese Zahl immer rascher zunimmt, hat zwei Gründe: Zum einen nehmen die Sonderwünsche der Auftraggeber zu, zum anderen verlangen die gesetzlichen Rahmenbedingungen für Verbrennungsmotoren regelmäßig konstruktive Anpassungen im Bereich der Abgasnachbehandlung. Große Dieselmotoren für den Industriebedarf, für Land-, Bau- und andere Schwermaschinen unterliegen einer ähnlichen Schadstoffgesetzgebung wie PKW-Motoren. Während hier die Euro-4- oder Euro-5-Normen üblich sind, spricht man dort von Tier-3- oder Tier-4-Motoren.

Als im Jahr 2008 der Tier-4-Motor vor der Einführung stand, war den Fertigungsverantwortlichen in Köln/Porz klar: Die Handhabung der neu hinzukommenden Teilenummern würde Investitionen für Hallenfläche und automatische Materialbereitstellungssysteme erfordern. „Wir waren an einem Punkt angelangt, wo ein geordneter Materialfluss nur noch mit Mühe aufrecht zu erhalten war“, sagt Alexander Colombo, Abteilungsleiter Technik. Ein enormer Teilebestand wurde in der Montagehalle gelagert, jede Motorvariante befand sich sozusagen in Fächern und Kisten in der Nähe des Montagebandes. Colombo erläutert: „Dieses System kostete teuren Platz in der Montagehalle und vor allem auch Zeit. Die Monteure mussten die benötigten Bauteilgruppen selbst zusammenstellen und dafür teilweise längere Wege in Kauf nehmen, denn nicht jedes Teil befand sich in unmittelbarer Griffweite.“ Ein Monteur soll aber montieren, das heißt Wertschöpfung betreiben, nicht Zeit für die Bauteilbeschaffung aufwenden. Der Griff nach Bauteilen im Umfeld des Montagebandes birgt überdies eine gewisse Fehlerquote. Nicht immer liegen die richtigen Teile am vorgesehenen Ort, nicht immer greift die Hand ins richtige Fach.

Sequenz-Center legt Material an die Kette

Die Produktionsplaner ermittelten einen zusätzlichen Flächenbedarf von 4.500 Quadratmetern, unter anderem für moderne Hochregale und Paternoster, um längerfristig nach dem bisherigen System arbeiten zu können. Zum größten Teil hätte man dafür Gebäude abreißen müssen. Diesen aufwändigen Weg mit allen bekannten Nachteilen für die Produktivität wollte das Unternehmen nicht gehen. Die Zeit schien reif, die interne Logistik völlig neu zu organisieren – nach dem Perlenkettenprinzip. Inzwischen kommissioniert ein neues Sequenz-Center im Vorfeld das Material in der Verbrauchsreihenfolge der einzelnen Montageaufträge beziehungsweise Motoren. Eine solche festgelegte Reihenfolge nennen die Produktionsspezialisten ‚Perlenkette‘. Innerhalb der Ketten sind auch Verzweigungen möglich.

Eine Stückliste enthält Unterstücklisten für diverse Komponenten, beispielsweise Turbolader oder vormontierte Kurbelgehäuse. Diese bilden eigene Unterketten. Colombo erklärt: „Unsere Perlenketten sind definierte Szenarien, wie wir in den nächsten 15 Stunden produzieren möchten. Wir halten heute nicht mehr jede Motorvariante in der Montage vorrätig, sondern versorgen das Band aus dem Sequenz-Center bedarfssynchron mit Material.“ Material mit größerer Bestandsreichweite lagert darüber hinaus in einem konventionellen Lager. Die Lieferanten beliefern sowohl das Sequenz-Center wie auch das Warehouse.

Im Falle des Sequenz-Centers erfolgt die Anlieferung tagesgenau, das heißt just in time (JIT). Für die Zukunft ist die Anlieferung just in sequence (JIS) direkt ans Band geplant. Das neue Materialfluss-Prinzip erforderte auch die Anpassung des vorhandenen Manufaturing Execution-Systems (MES). Mit Schnittstellen zum Unternehmenssystem sowie zu den Maschinen und Anlagen in der Produktion ist das System zentraler Teil eines umfassenden Manufacturing Operations Managements (MOM). Mitarbeiter des IT-Anbieters HP sind zur Betreuung und Weiterentwicklung des Systems bei Deutz präsent, die Lösung wird damit als hausinternes Software-as-a-Service-Modell betrieben.





  • Innovationstreiber Thin[gk]athon: Kollaborative Intelligenz trifft auf Industrie-Expertise

    Der Thin[gk]athon, veranstaltet vom Smart Systems Hub, vereint kollaborative Intelligenz und Industrie-Expertise, um in einem dreitägigen Hackathon innovative Lösungsansätze für komplexe Fragestellungen…


  • Flexibel bleiben im Baukastenprinzip

    Viele Unternehmen bauen die Digitalisierung und Automatisierung ihrer Logistikzentren und Produktionsstätten aus. Doch nicht jedes dieser Systeme lässt sich bei kurzfristigen Marktveränderungen…


  • ERP-Studie nimmt KI und Cloud in den Fokus

    Die Studie ’ERP in der Praxis’ ist in ihre 12. Runde gestartet. Seit 2004 fordern die Analysten der Trovarit AG Anwender von…


  • Mit KI und Plattform-Ansatz Potenziale heben

    Flexibilität wird im Qualitätsmanagement immer wichtiger. Der Zertifizierungsdruck steigt weiter an und Lieferkettenprobleme erfordern häufiger die Qualifizierung alternativer Zulieferer. Digitale QM-Plattformen können…


  • Datenpunkte in der Batteriezellfertigung setzen

    In der Batteriezellfertigung erzeugen heterogene Quellen enorme Datenmengen. Um die Produktion mit Digitaltechnik aufzurüsten, müssen die verschiedenen Datenquellen an die IT-Systeme in…