Intelligente Assistenzsysteme: ‚Comfort by Design‘

Mobilität von Qualitätsprozessen

Diskurse zum Thema Industrie 4.0 basieren auf enger Kooperation von Mensch, Maschine und Prozess. Als ‚Akteure‘ sollen Personen, Produkte und Anlagen in einem intelligenten Netzwerkverbund kommunizieren. Dass Informationstechnologie die Grundlage dafür bildet, wirkt schlüssig. Doch damit IT alle Teilnehmer in Qualitätsmanagement und Produktion umfassend unterstützen kann, müssen deren Aufgaben, Arbeitsweisen und Kommunikationsbedürfnisse berücksichtigt werden – etwa durch den Einsatz mobiler Assistenzsysteme.

Zwischen App und Virtualisierung: Einfache Informationsdienste – etwa zur Alarmierung bei Qualitätsproblemen oder für die Abfrage von Kennzahlen – lassen sich vergleichsweise gut auf kleinen Displays per ‚App‘ darstellen. Der Blick auf komplexe Produktionspläne oder -anlagen kann es hingegen erforderlich machen, virtuelle Desktop-Infrastrukturen für den Zugriff auf das Kernsystem vorzuhalten. Bild: Guardus.

In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat sich das Mitarbeiterbild im Qualitäts- und Produktionsumfeld stark gewandelt. Die traditionelle, zentrale Qualitätskontrolle transformierte sich durch die Einführung etwa von Werkerselbstprüfungen, Laufkontrollen oder integrierten Laborprüfungen zum prozess- und planungsorientierten Qualitätsmanagement. Die Philosophie ‚Qualität erprüfen‘ wandelte sich über die Jahre zu ‚Qualität produzieren‘, wobei die Kennzahlen- und Prozessanalysen eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses (KVP) heute die gesamte Supply Chain umfassen können – national und international. Aus der korrespondierenden IT-Unterstützung, die sich aus Erfassungssystemen und Auswertetools rekrutierte, entwickelten sich ablauffokussierte Manufacturing Execution-Systeme (MES) mit starker Integration in die umgebende EDV-Landschaft. Eine ähnliche Entwicklung durchlief der Shopfloor: Aufgrund der Ausdehnung der Qualitätsverantwortung in die Fertigungsbereiche hinein wurden die Arbeitsprozesse des Werkers an der Maschine deutlich komplexer. Aus technologischer Sicht verschwand das alleinstehende BDE-Terminal nach und nach von der Bildfläche und Betriebs-, Maschinen- und Qualitätsdaten verschmolzen zu einer integrierten MES-Datenbasis. Begleitet wurde diese Metamorphose durch Verbesserungen in der Automatisierungstechnik und Anlagensteuerung. Damit stellt sich nun die Frage nach Arbeitsprozessen und Informationsbedürfnissen im Qualitäts- und Produktionsmanagement vor dem Kontext einer Industrie 4.0.

Vom Software-Monolithen zum intelligenten Assistenzsystem

Bei der Überlegung, welche Rolle der Mensch in kommenden Industrie-‚Biosphären‘ einnehmen wird, stehen schnell die Kernelemente ‚Prozessfokussierung‘ und ‚Mobilität‘ im Raum. Das steigende Automatisierungsniveau echtzeitoptimierter Fertigungsverfahren dürfte dazu führen, dass sich der Mitarbeiter von morgen verstärkt als Erfahrungs- und Entscheidungsträger ins Geschehen einbringt. Gleichzeitig steigt mit einer Flexibilisierung des Produktionskreislaufs die Notwendigkeit, zu jeder Zeit und an jedem Ort schnelle und zugleich fundierte Entscheidungen auch im Qualitätsprozess treffen zu können. Für die unterstützenden Systeme hat diese Veränderung gravierende Auswirkungen hinsichtlich Prozessverständnis sowie Informationsaufbereitung.

Denn neben der benutzerfreundlichen Präsentation von Produkt- und Prozessdaten, wie sie unter dem Begriff Usability bekannt ist, sind intelligente Assistenzkonzepte gefordert, um dem Anwender exakt jene Informationen zu liefern, die er für seine Entscheidung oder Tätigkeit im Prozess benötigt – sei es ad-hoc oder in der täglichen Routine. Künftige Dreh- und Angelpunkte sind somit auch neue Formen der Anwenderunterstützung in Entscheidungsfindung und Prozesssteuerung. Im Zuge dessen halten vielerorts Multitouch-Endgeräte Einzug in den Arbeitsalltag. Die so genannten Smart Devices sollen Unternehmen in die Lage versetzen, neue Arbeitstechniken, Prüfverfahren und Qualitätsprozesse in der Produktion zu realisieren, welche sich in erster Linie durch standortungebundene Auskunfts- und Entscheidungsfähigkeit auszeichnen. Es geht nicht länger um Funktionen, sondern um kontextabhängige Informationen, die auf das Wesentliche reduziert dann bereit stehen, wenn der Anwender sie benötigt.



Andreas Kirsch, Vorstand Guardus Solutions AG, Leiter des DIN Arbeitskreises MES und Leiter der ISO Arbeitsgruppe für Manufacturing Operation Management.

Business App-Konzepte erreichen das Produktionsumfeld

Um diesem Trend Rechnung zu tragen, setzen MES-Hersteller zunehmend auf Business-App-Konzepte, deren Bedienkonzept auf Komfort hin ausgerichtet ist, damit Anwender eine klar umrissene Menge an Informationen schnell und oftmals in Echtzeit konsumieren können. Diese Mini-Programme konzentrieren sich in der Regel darauf, Entscheidungen zu beschleunigen und nicht, Funktionen dezentral bereitzustellen. Ein Beispiel: Die mobile Abfrage von Kennzahlen erlaubt eine schnellere Analyse von Ursache und Wirkung potenzieller Qualitäts- und Produktionsprobleme. Somit lassen sich vor allem kurzfristige KVP-Prozesse besser in die Wege leiten, indem Fehlleistungen begegnet wird.

Darüber hinaus haben viele Software-Schmieden Business-Apps zur dezentralen Qualitätsdatenerfassung, der Werkerselbstkontrolle oder der mobilen Anlagensteuerung in Entwicklung. Nichtsdestotrotz können nicht alle Funktionalitäten mit Miniaturprogrammen und Multitouchkonzepten befriedigt werden. Zugriffe auf komplexe Unternehmensanwendungen sollten deshalb mit umfassenden IT-Konzepten – etwa virtuellen Desktop-Infrastrukturen – realisiert werden. Beim Eintritt in diese neuen Welten der Informationsverarbeitung und -aufbereitung sollten Unternehmen jedoch die Sicherheit ihrer IT-Landschaft im Auge behalten. Hier kann der Einsatz umfassender Systemarchitekturen helfen, die neben der App-Erstellung auch Aspekte wie Sicherheit, Updates von Apps, Verwaltung von Devices und ähnliches berücksichtigen. Zudem sollten Entscheider Augenmerk auf die selbständige Verwaltung legen, um eine Abhängigkeit von externen App-Stores zu vermeiden. Schließlich gilt es zu bedenken, dass MES-Daten sensible Informationen darstellen, die viel über die Produktion eines Unternehmens preisgeben.