Integrierte Produktionssysteme

Fertigungscontrolling in der Sterilfabrik

Hameln Pharma setzt in seiner neuen Sterilfabrik auf integrierte Produktionssteuerung. Dabei kommt der Arbeit mit Kennzahlen ein hoher Stellenwert zu, um ungeplanten Stillstandszeiten entgegen zu steuern, latente Kapazitätsreserven aufzuspüren und Einflussfaktoren für die Effizienz der Produktionsmaschinen zu identifizieren.

Bild: hameln pharmaceuticals GmbH

Seit mehr als 50 Jahren stellt die Hameln Pharmaceuticals GmbH parenterale Lösungen und Suspensionen her. Das in der vierten Generation inhabergeführte Unternehmen blickt mittlerweile auf eine mehr als hundertjährige Firmengeschichte zurück. Die mehr als 350 Mitarbeiter fertigen für nationale sowie internationale Pharmaunternehmen flüssige Arzneimittel – aseptisch oder terminal sterilisiert und abgefüllt in Ampullen oder Vials. In 25 Monaten Projektlaufzeit hat das Unternehmen am Standort Hameln eine innovative Sterilfabrik errichtet.

Das Werk ging Anfang das Jahres 2008 in Betrieb und wurde ein Jahr später mit dem ‚Facility of the Year Award 2009‘ in der Kategorie ‚Operational Excellence‘ ausgezeichnet. Das Layout der neuen Sterilfabrik orientiert sich an Prinzipen des Lean Manufacturing: So folgt beispielsweise die Anordnung der Arbeitsbereiche dem Ablauf der einzelnen Fertigungsschritte – vom Eingang des Rohmaterials über Einwaage und Ansatz bis hin zu Abfüllung und Abtransport der befüllten Flaschen und Ampullen. Material- und Personalbewegungen innerhalb der Fabrik sind dadurch so effizient wie möglich organisiert. Dazu gehört auch, dass etwa die Abfülllinien nicht mehr linear, sondern in U-Form aufgestellt sind. Dabei wurden auch Etikettierung und Verpackung berücksichtigt. Die so genannte zweite Fertigungsstufe ist im Bestandsbau untergebracht und so an die neue Sterilfertigung angebunden, dass kurze Wege und reduzierte Zwischenlager realisiert wurden.

Vom Testsystem zur durchgehenden IT-Lösung

Für die Analyse von unter anderem Produktionsfortschritt und Maschinenverfügbarkeiten in der laufenden Produktion setzt der Pharmabetrieb eine durchgängige IT-Lösung ein. Dadurch stehen differenzierte Informationen aus der Fertigung nicht nur Produktionsmitarbeitern und Arbeitsvorbereitung, sondern auch Unternehmensbereichen wie dem Vertrieb zur Verfügung. Das gestattet jederzeit fundierte Auskünfte beispielsweise über Auftragsstatus und Auslieferung, erfordert aber die Integration in vorhandene Infrastruktur wie das WLAN-Netz des Bestandsgebäudes oder Reinraum-Terminals auf dem Shop Floor.

Zum Einstieg in die automatische Datenerfassung und um schnell praktische Erfahrungen zu sammeln, setzte Hameln Pharma das Produktivitätsmessgerät Easy OEE des Anbieters Fastec im Rahmen einer Mietstellung für einen Monat ein. Das Gerät kann schnell an Maschinen, Anlagen oder Linien installiert werden und liefert Kennzahlen zu Produktivitätsreserven einzelner Linien, darunter Verfügbarkeit, Leistung, Gesamtanlageneffizienz (OEE), Qualität sowie Informationen zu Stückzahlen, Stillstands- und Taktzeiten. „So zeigte sich zum Beispiel bei einer Anlage, dass sie in einer Schicht bis zu vier Mal zum Stehen kommt.

Bisher hatte keiner hier ein Störgefühl entwickelt. Doch vergegenwärtig man sich, dass diese Stillstände in allen drei Schichten erfolgen, kommt man zu dem Schluss, dass am Ende einer Woche möglicherweise eine halbe Schicht verloren geht“, berichtet Kai-Uwe Harms, Leiter Fertigung Verpackungstechnik und optische Kontrolle bei der Hameln Pharma GmbH. „Wir haben eine völlig neue Einschätzung unserer Maschinenperformance erhalten. Bislang gingen wir bei unseren Planungsansätzen von den Herstellerdaten aus. Doch das konkrete Prozessgeschehen führt teilweise zu erheblichen Abweichungen“, sagt Harms. Im Verlauf der Testphase entstand ein erstes Konzept für das spätere Kennzahlensystem und ein Anforderungsprofil, das später zur Auswahl der Manufacturing Execution-Lösung (MES) Fastec 4 Pro führte. Das Produktionssystem umfasst neben Modulen zur Maschinen-, Betriebs- und Prozessdatenerfassung, Prozessmeldung, Leitstand, Fertigungsinformationssystem, Instandhaltungsmanagement und Alarmierung auch weitere branchen- und anwendungsspezifische Bausteine.

Werkübergreifendes Kennzahlensystem

Schon aus den Ergebnissen des ersten Messgerät-Einsatzes ergaben sich Ansätze zur Produktionsoptimierung und erste Kriterien zum Erfassen und Auswerten der Gesamtanlageneffizienz. Hier entstand auch die Idee, das vorhandene Maschinenlogbuch durch ein papierloses Gegenstück abzulösen, das alle im System entstandenen Daten und Dokumente verwaltet. Darüber hinaus wurde festgelegt, wie die Bedienungsoberflächen auszusehen haben; entsprechende Screen- und Reportdesigner liefert der Softwareanbieter im Basismodul mit.

Aufgrund der Ablösung der papierbasierten Maschinenlogbücher und der damit verbundenen Dokumentationspflicht wurde eine Validierung des MES nach der amerikanischen ‚Current Good Manufacturing Practice‘-Methode (cGMP) erforderlich. Aufgrund des integrierten Audit Trails der IT-Lösung konnte die Aufgabe bereits im Vorfeld der Produktivsetzung des MES im Testsystem von Hameln Pharma durchgeführt werden. Im gleichen Zeitraum wurde parallel ein WLAN für die Anbindung im Bestandsbau eingerichtet. Zum Datenaustausch mit der Geschäftslösung des Pharmaunternehmens wurde zudem eine SAP-Schnittstelle für die MES-Lösung konfiguriert, um beispielswesie Produktionszeiten und Stückzahlen an das Leitsystem zu melden. Außerdem entstand das Maschinenlogbuch. Um eine gewisse Aussagefähigkeit der Kennzahlenauswertung über Unternehmensgrenzen hinaus zu erhalten, wurde eine eigene Projektgruppe gebildet. Der Auftrag des Teams bestand darin, einen OEE-Standard für Hameln Pharma zu definieren, der zu Vergleichen innerhalb der Pharmabranche herangezogen werden kann.

Die Herausforderung steckt im Detail

„Die Einführung war aufgrund des strategischen Vorgehens völlig unproblematisch, so dass das System nach knapp drei Monaten zur Verfügung stand. Aufwändiger, und das hatten wir vorher anders eingeschätzt, gestaltete sich unser Part in Bezug auf die Definition des OEE-Standards. Wir hatten ja unsere theoretischen Produktionszeiten, aber diese waren zum Teil stark abweichend von den nun ermittelten tatsächlichen Zeiten. Hinzu kommt, dass sie von der Verfügbarkeit und Leistung der jeweiligen Maschine abhängen. Von daher mussten die entsprechenden Parameter – die uns teilweise vorher gar nicht in dem Sinne bewusst waren – feinjustiert werden“, erläutert Kai-Uwe Harms.

„Anfangs wiesen einige Maschinen OEE-Werte von 100 Prozent aus. Diese Ergebnisse machten uns sehr nachdenklich, so dass wir diese Zeiten hinterfragten sowie deren Definition überprüften. Dabei handelt es sich unter anderem um Zustände, die entweder gar nicht oder der OEE-Berechnung falsch zugeordnet wurden. Diese Herausforderung wurde von uns in circa vier Wochen zufriedenstellend gemeistert, die Ergebnisse sind nunmehr nicht nur realistisch, sondern richtig.“ Innerhalb der Branche kursieren beispielsweise für den Verpackungsbereich OEE-Werte in der Größenordnung von 70 bis 80 Prozent, angesichts unvermeidbarer Stillstände allein durch Störungen, Wartungen, Format- und Chargenwechsel wirken höhere Werte unplausibel. Sobald diese Messgrößen unter 70 Prozent fallen, ist hingegen Handlungsbedarf angesagt.