Integrierte Manufacturing IT

Produktionsnahe Aufgaben über das ERP erledigen

Viele Fertigungsunternehmen nutzen SAP ERP und haben alle Hände voll zu tun, ihre Systemlandschaften zu harmonisieren. Um diesen Aufwand bei der Shop Floor-IT in Grenzen zu halten, lassen sich produktionsnahe Abläufe per Add-on direkt im ERP-System abbilden.



Bild: IGH Infotec AG

Bei vielen Fertigungsbetrieben übernimmt das Enterprise Resource Planning-System SAP ERP die Rolle des führenden Systems. Im Sinne einer homogenen Systemlandschaft spricht einiges dafür, die produktionsnahe IT ebenfalls im System abzubilden. Weniger Administrationsaufwand, keine externe Hardware, übersichtliche Systemabläufe und eine höhere Datendichte sind einige der Vorteile. In jedem Fall ist das eingesetzte ERP-System schon ohne großen Anpassungsaufwand breit im Unternehmen vernetzt. Für am Markt verfügbare MES-Lösungen wird häufig der Begriff ‚SAP integriertes System‘ verwendet, einheitlich definiert ist er allerdings nicht. Viele Hersteller von MES-Anwendungen meinen damit Systeme, die auf einem externen Server installiert sind und per Schnittstelle mit dem ERP Daten austauschen.

Es ist aber auch möglich, MES-Funktionen ohne separate Soft- und Hardware im ERP Central Component zu installieren. Diesen Ansatz verfolgt der Software-Anbieter IGH Infotec und spricht dabei von einem ‚vollständig integrierten System‘. Bei dieser Lösung sind die Shop Floor-Prozesse direkt im Unternehmenssystem des Walldorfer Softwareherstellers hinterlegt. Dabei macht sich das System zunutze, dass Strukturen wie Auftragsverwaltung, Stammdaten, Arbeitsplätze, Materialien (Chargen) oder Kostenstellen ohnehin im ERP-System existieren. Das lässt sich als Ausgangsbasis für weitreichende MES-Funktionen nutzen. Die produktionsnahe Lösung kann somit aus dem vorhandenen und aktuellen Datentopf im führenden System schöpfen.

Das ERP als Master

Im klassischen Bereich der Betriebsdatenerfassung erfolgt die Referenz auf den aktuellen SAP Auftragsvorrat. Je Arbeitsplatz und Vorgang erhalten Werker die notwendigen Informationen für ihre Arbeit. Funktionen wie eine Werkerführung mittels Zeichnungen oder die Erfassung von Chargen und Serialnummern gehören heute zum Standard eines SAP-integrierten MES-Systems. Da sich das System auf einer konsolidierten Plattform befindet, ist die Buchung von Materialbewegungen und die Bearbeitung von Prüflosen für das Qualitätsmanagement Bestandteil der integrierten Lösung der Infotec AG. Die Anbindung von Maschinen ist ebenfalls gelöst. Der Datenaustausch zwischen ERP und der Maschine per Signalwandler (Wago-Klemme, Advantec-Adam et cetera) oder OPC lässt sich einrichten. Die automatische Erfassung von Laufzeiten, Stückzahlen oder auch Energiewerten ist Bestandteil der Lösung. Auch die Bewertung von ’nicht produktiven Leistungen‘ ist mit dem Add-On ohne aufwendige Schnittstelle realisierbar. Im Zusammenhang mit dem ERP-Modul HR ist zudem eine Erfassung der Präsenzzeit möglich. Mit unabhängiger Hardware und einem Web-Dialog wird dazu der Stempelstatus im System registriert.

Auswertung und Reporting

Die erfassten Daten lassen sich ohne großen Aufwand für Auswertungen nutzen. Dazu bietet das ERP-System von SAP bereits einige Funktionen. Diese vorhandenen ‚GUI-Views‘ lassen sich weiter nutzen, wenn das MES Add-on installiert ist. Darüber hinaus bringt das integrierte MES eigene Tools zur Auswertung der Daten mit. Sie referenzieren unmittelbar auf die Systemdaten. Informationen zum Detailstatus am Arbeitsplatz, zum OEE, zur Verfügbarkeit, zu Stückzahlen oder -kosten sind voreingestellt. Gängige Parameter für einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess finden sich in den Auswertungen ebenfalls wieder. Zu beachten ist jedoch, dass die Bewegung großer Datenmengen die Performance beeinflusst. Ist z.B. der OEE eines Bereiches über einen langen Zeitraum zu ermitteln, kommt einiges an Datenbank-Traffic zusammen. Nicht unter jedem SAP ERP läuft eine schnelle Hana-Datenbank und somit kann es wichtig werden, dass eine Datenvorverdichtung in Form eines integrierten Datawarehouse vorhanden ist, um gewünschte Informationen zügig abzurufen.

Die Grenzen kennen

Ausgeklügelte Advanced Planning & Scheduling-Systeme (APS) à la ‚rückstandsfreie Einplanung neuer Aufträge‘ mit grafischer Simulation sind als integrierte Lösungen noch nicht zu finden. Jedoch existiert mit dem Produkt LMPC des Software-Anbieters SAP Consulting eine solide Lösung für nicht ganz so komplexe Planungsaufgaben. Im Blick behalten sollte man bei integrierten Lösungen die Verfügbarkeit, da sie unmittelbar von der Verfügbarkeit des ERP-Systems abhängt. Ohne ERP-System gibt es kein MES. Das gilt es insbesondere bei der Produktion rund um die Uhr zu berücksichtigen. In der Praxis zählen ERP-Systeme zu den höher verfügbaren Anwendungen in einem Unternehmen. Regelrechte Systemstillstände sind sehr selten. Im Gespräch mit dem EDV-Verantwortlichen eines großen österreichischen Stahlkonzernes wurde dieses Risiko mit einem ‚dann geht eh nix mehr‘ quittiert.

Lizenzmodelle

Die Lizenzierung eines integrierten Systems gegenüber SAP AG erfordert besondere Aufmerksamkeit. Die meisten Lösungen, die in deren Systeme integriert sind und die mit einem Web-Interface arbeiten, kommunizieren nicht über eine ‚Vordergrundtransaktion‘ mit den ERP-Kern. Jedoch gilt auch in diesem Fall laut Lizenzvertrag der Named-User, zum Beispiel Shop Floor-User oder Employee. Das gilt im Übrigen auch für ein Subsystem, das per Schnittstelle mit dem ERP kommuniziert. Die Erfahrung zeigt aber, dass die Auslegung, was ein Named-User ist, recht individuell von dem jeweiligen SAP-Vertriebsbeauftragten bewertet wird. Es kommt auf das Verhandlungsgeschick des Lizenznehmers an, wieviel er letztlich bezahlen muss.

Standard versus Individuell

Aufgrund der Struktur des Marktes für SAP-Beratungsleistungen sind Angebote zu integrierten Systemlösungen derzeit stark dienstleistungslastig. Heraus kommen oft Anwendungen, die auf standardisierten Grundbausteinen basieren und dann individuell angepasst werden. Anfangs bekommen Anwender hervorragend auf die Anforderung abgestimmte Funktionen, in Zukunft könnte das System indessen hohen Pflegeaufwand verursachen. Anwender von Standardsoftware müssen zwar häufig mit einigen Einschränkungen bei spezifischen Funktionen zurecht kommen, dafür partizipieren sie per Update an der Weiterentwicklung des Systems.