Im Bild: Thomas Rinn, Roland Berger Strategy Consultants

Große US-amerikanische IT- und Internetkonzerne steigen durch Aufkäufe verstärkt in den Industriesektor ein. Viele in Europa sehen darin eine bedrohliche Entwicklung. Werden in der Industrie 4.0 letztlich die IT-Unternehmen die Richtung bestimmen und auch die Produktion dominieren?

Rinn: Dass Softwarelösungen, Big Data und Social Media-Anwendungen in der Industrie wichtiger werden, ist nicht von der Hand zu weisen. Insofern ist der Einstieg von Google & Co. nur konsequent: Man trägt dazu bei, bessere Produktionsmöglichkeiten in der Industrie zu ermöglichen und besetzt wichtige Schnittstellen zum Kunden. Ich bin allerdings noch nicht davon überzeugt, dass die US-Firmen am Ende ein unbedingtes Interesse haben, Maschinen, Bleche und Autos herzustellen.

Kube: Es ist in der Tat für die nächsten Jahre nicht sehr wahrscheinlich, dass zum Beispiel die europäischen Autobauer von Softwarekonzernen geschluckt werden. Gleichwohl könnte die Entwicklung für Europas Firmen ungünstig verlaufen. Bleiben wir beim Automobilsektor: Wenn Software- und Internetlösungen künftig zu den entscheidenden Differenzierungsmerkmalen im Wettbewerb werden, gibt derjenige die Richtung vor und setzt die Standards, der hier das größte Know-how und die besten Leute hat. Die Vorstellung davon, wie das Auto und das Autofahren in Zukunft aussehen sollen, würde am Ende nicht mehr in München, Sindelfingen, Paris oder Turin entwickelt, sondern im Silicon Valley. Das kann den europäischen Marktführern nicht gefallen.

Wie könnte die Antwort der europäischen Industrie aussehen?

Kube:Jedes Unternehmen sollte jene Kerntechnologien selbst beherrschen, die bei den eigenen Produkten für den entscheidenden Wettbewerbsvorteil sorgen und somit den Großteil der künftigen Wertschöpfung ausmachen. In der Vergangenheit waren das in der Automobilindustrie oftmals klassische Produkt- oder Fertigungskompetenzen wie zum Beispiel die Fähigkeit, Leichtbaukarosserien in Serie herzustellen. Wenn sich in der Zukunft die Fahrzeuge vermehrt durch ‚virtuellen Komponenten‘ wie internetbasierte Dienstleistungen unterscheiden, liegen diese Kernkompetenzen außerhalb des klassischen Automobilbaus.

Rinn:Ich bin mir sicher, dass die europäischen Unternehmen in den verschiedenen Industrien reichlich Erfahrung mitbringen, wann es Zeit ist, bestimmte Kompetenzen in die Firma hineinzuziehen, und wann man weiterhin auf Zulieferung und Kooperationen setzen kann.

In den USA will die Obama-Regierung bis 2023 rund eine Milliarde US-Dollar in die moderne, vernetzte und digitale Industrie investieren. Wie könnte Europa seine Unternehmen stärken?

Kube: Europa sollte eine Qualifikations- und Bildungsoffensive starten und über Jahre ehrgeizig weiterverfolgen. Die Anforderungen an viele Arbeitsplätze in Entwicklung, Fertigung, Logistik werden durch Industrie 4.0 deutlich ansteigen. Wir müssen das interdisziplinäre, ganzheitliche Denken in Systemen auf allen Feldern schulen. Wobei wir nicht den Fehler machen sollten, nur auf akademisch geschulte Datenspezialisten zu setzen. Es werden auch Fachkräfte benötigt, welche die Praxis beherrschen und die Dinge an realen Objekten umsetzen. Kurz: Wir brauchen handwerkliche Könner zum Beispiel für Turbinenlaufräder oder Achsschenkel-Lenkungen.

Rinn: Ja, es bleibt zu hoffen, dass Europa diesen Qualifikationsmotor schnell anwirft. Genauso wichtig ist, dass der Wandel in der Industrie von echter Aufbruchsstimmung gerade in der Politik begleitet wird, die ich immer noch als sehr skeptisch wahrnehme. Vielleicht ist aber auch das Wissen über Industrie 4.0 noch nicht groß genug. Wir müssen dahin kommen, dass Industrie 4.0 verstanden und als riesige Chance begriffen wird, den Produktionsstandort als einen der wettbewerbsfähigsten weltweit zu positionieren.







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