Individualisierte Kapazitätsplanung

Der Mensch im System

Das Zukunftsprojekt ‚Industrie 4.0‘ wird die Arbeit der Menschen im Produktionsprozess voraussichtlich stark beeinflussen. Darum gilt es, der Interaktion des Mitarbeiters in ‚Cyber-Physical Systems‘ besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Dieser Aufgabe widmet sich das Forschungsprojekt Kapaflexcy, um sowohl die Kapazitätssteuerung zu verbessern als auch den Mitarbeitern im Gegenzug zu gestatten, Arbeit und Freizeit besser in Einklang zu bringen.

Bild: Bernd Müller, © Fraunhofer IAO

Kennzeichen der zukünftigen Form der Industrieproduktion sind die starke Individualisierung der Produkte unter den Bedingungen einer hoch flexibilisierten Fertigung, die weitgehende Integration von Kunden und Partnern in Geschäfts- und Wertschöpfungsprozesse und die Verknüpfung von Produktion und hochwertigen Dienstleistungen. Das ‚Internet der Dinge‘ wird auch im industriellen Umfeld verstärkt Einzug halten. Aufträge reservieren sich selber die Fertigungsressourcen, Werkstücke teilen der Maschine mit, wie sie bearbeitet und weitertransportiert werden möchten, und der Mensch bringt selbstorganisiert seine Fertigkeiten ein, um ein optimales Produkt zur richtigen Zeit am richtigen Ort bereitzustellen. Die deutsche Industrie hat jetzt die Chance, diese ‚Vierte industrielle Revolution‘ mitzugestalten. Mit dem Zukunftsprojekt ‚Industrie 4.0‘ will die Bundesregierung diesen Prozess unterstützen, um Deutschlands Zukunft als Produktionsstandort im internationalen Wettbewerb zu sichern.

Neue Arbeitsformen im Produktionsprozess

Industrie 4.0 ist aber vor allem nicht nur Technik, sondern wird auch die Arbeitsformen der beteiligten Menschen im Produktionsprozess stark beeinflussen. Denn der ‚menschliche Faktor‘ wird wesentlich über den Erfolg von Industrie 4.0 entscheiden. Darum gilt es, der Interaktion des Menschen in Cyber-Physical Systemen (CPS) besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Im Industrie-4.0-Teilprojekt ‚Kapaflexcy‘ wird eine Kapazitätssteuerung entwickelt, die es Unternehmen erlaubt, ihre Personalkapazitäten unter direkter Beteiligung der ausführenden Mitarbeiter hochflexibel, kurzfristig und unternehmensübergreifend zu steuern. Die selbstorganisierte Kapazitätssteuerung soll die Reaktionszeit bei schwankender Auftragslage verkürzen, unproduktive Zeiten vermeiden und den Aufwand für die Kapazitätssteuerung reduzieren. Die Mitarbeiter können dann eine transparente Personaleinsatzplanung erleben und ihre Einsatzzeiten untereinander abstimmen. Wenn sich dieser Ansatz in der Praxis umsetzen lässt, verspricht das für Mitarbeiter, dass der Ausgleich zwischen Arbeit und Freizeit besser gelingt – das wiederum kommt der Motivation zugute.

Schwankende Kapazitätsanforderungen abfangen

Kunden hingegen möchten ihre Produkte mittels Konfigurator so individuell wie möglich gestalten und dabei nicht mehr als für ein Serienmodell bezahlen. Hat der Kunde sich für ein Produkt entschieden, möchte er es auch zeitnah in den Händen halten, ohne große Wartezeit. Immer stärker individualisierte Produkte führen zu einer stark individualisierten Produktion zu den Konditionen einer Großserienfertigung. Diese individualisierte Produktion führt jedoch zwangsläufig zu einer schwankenden Produktionsauslastung, an die auch die Personalkapazitäten flexibel angepasst werden müssen, um fixe Kostenblöcke zu vermeiden. Ist die Auslastung zu gering, entstehen Kosten durch nicht ausgelastetes Personal. Im Gegenzug können Aufträge nicht angenommen oder termingerecht gefertigt werden, wenn zu wenig Personal zur Verfügung steht.

Vernetzung von Mensch und Maschine

Bereits heute ist die deutsche Industrie in Bezug auf Personaleinsatzplanung mit flexiblen Gleitarbeitszeiten und Arbeitszeitkonten oder dem Einsatz von Aushilfen und Zeitarbeitskräften für Spitzenlasten im internationalen Vergleich gut aufgestellt, um auf schwankende Nachfrage reagieren zu können. Ein erweiterter Lösungsansatz im Rahmen einer intelligent vernetzten Industrie ist die selbstorganisierte, flexible Personaleinsatzplanung. Die Vernetzung von Mensch, Maschine und Material ermöglicht einen vorhersehbaren Kapazitätsplan, um quasi an der Produktion beteiligte Ressourcen ‚on Demand‘ vorzuhalten. Was mit dem ‚Just-in-time‘-Prinzip in der Material-Logistik bereits bekannt und erprobt ist, könnte mit Umsetzung des Forschungsschwerpunktes dazu beitragen, Leerlaufzeiten oder Überbeanspruchung des wertvollen Faktors ‚Mensch‘ in der Produktion zu reduzieren.

Die heutige Personaleinsatzplanung wird überwiegend mit Tabellenkalkulationen wie Microsoft Excel und auf Zuruf vom Meister oder Schichtleiter organisiert. Hier besteht das Problem, dass für die Personaleinsatzplanung und Reaktion auf Ausnahmen ein sehr hoher permanenter Aufwand entsteht. Die am Fertigungsprozess beteiligten Mitarbeiter planen ihre Einsätze anhand des Bedarfs und der benötigten Fähigkeiten weitestgehend selbstständig, zum Beispiel mit Hilfe eines ‚Schicht-Doodles‘ – also eines im unmittelbaren Zusammenspiel der Beteiligten entwickelten Entwurfs. Nur bei Abweichungen, Konflikten und Eskalationen werden andere Abteilungen und Hierarchie-Ebenen mit einbezogen.

Hierbei muss die Planung nicht auf den eigenen Produktionsplatz beschränkt bleiben: Bei entsprechender Qualifikation des Mitarbeiters ist ein Einsatz beziehungsweise das Ausleihen auch in anderen Linien oder gar anderen Standorten denkbar. Heute ist dieses Vorgehen aufgrund mangelnden Überblicks und Interaktion zwischen den Abteilungen eher noch unüblich. Die direkte Beteiligung des Produktionspersonals an der Planung führt aber zu mehr Akzeptanz, zum Beispiel bei Mehrarbeit bei Auftragsspitzen, und erhöht gleichzeitig die Flexibilität jedes Einzelnen, um auf persönliche Arbeitszeitwünsche oder private Ereignisse reagieren zu können. Aus Sicht des Unternehmens können über ein vernetztes System auch Zeitkonten besser gesteuert werden, da zum Beispiel Mitarbeiter mit vollen Zeitkonten gar nicht erst für Sonderschichten angefragt werden. Auch die Integration von Teilzeitkräften, die in der Elternzeit oder bereits im Vorruhestand sind und die nur begrenzt zum Ausgleich von Spitzen oder bei spezieller Qualifikation angefragt werden, kann so aufwandsarm organisiert werden.

Online-Plattform für gegenseitigen Austausch

In einem „Schicht-Doodle“ wird der Schichtplan nicht zentral geplant und vom Schichtleiter verteilt, sondern die Mitarbeiter stimmen sich kooperativ – zum Beispiel mit Hilfe von Social-Media ähnlichen Funktionalitäten und anderen interaktiven Kommunikationstechnologien – untereinander ab, um die Produktionsziele auftragsgerecht zu erreichen und mit den eigenen Bedürfnissen nach Freizeit und Arbeitszeit in Einklang zu bringen. Stehen zum Beispiel, bezogen auf einen Auslieferungstermin für einen Kundenauftrag, die Maschinen und das Material zu einem bestimmten Zeitpunkt bereit, können vorab über eine interne Online-Plattform die benötigten Maschinenführer für die einzelnen Produktionsschritte gesucht werden. Jeder, der die benötigten Fähigkeiten besitzt, kann sich auf der Plattform nun zu dem Auftrag eintragen. Zum Produktionsstart hat sich dann ein abgestimmtes Team aus Mensch, Maschine und Material für den spezifischen Kundenauftrag zusammengefunden.

 

Forschungsprojekt für vernetzte Personaleinsatzplanung

Das Projekt ‚Kapaflexcy‘ wurde im Rahmen der von der Bundesregierung ausgerufenen Initiative ‚Industrie 4.0‘ als eines von drei Projekten zur Förderung ausgewählt, um Deutschlands Zukunft als Produktionsstandort im internationalen Wettbewerb zu sichern. Ziel ist eine selbstorganisierte Kapazitätsflexibilität in Cyber-Physical Systems. Das Softwarehaus Trebing + Himstedt, Anbieter von Produkten und Dienstleistungen für IT-Einsatz im Produktionsumfeld, entwickelt dazu in Zusammenarbeit mit Forschungspartnern wie SAP Research und dem Fraunhofer IAO sowie Partnern aus Automobil- und Hightech-Umfeld eine vernetzte, flexible und selbstorganisierte Kapazitätssteuerung.







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