Intelligenter Handarbeitsplatz

Flexibel produzieren

Die Industrie 4.0-Produktionsanlage des SmartFactory-KL-Partnerkonsortiums weist eine verbesserte Mensch-Maschine-Interaktion am Handarbeitsplatz auf. Dazu wurde dieser enger mit der IT-Struktur der Produktionsanlage vernetzt.

Bild: SmartFactory-KL/C.Arnoldi
Bild: SmartFactory-KL/C.Arnoldi

Bei den Begriffen Industrie 4.0 und smarte Fabrik denkt so manch einer sofort an Automatisierung der Produktion und die menschenleere Fabrik. Somit stellt sich die Frage: Schließen sich Industrie 4.0 und manuelle Arbeit nicht aus? Die klare Antwort lautet: Nein. Denn es gibt genügend Fälle, in denen der technische Aufwand der Automatisierung einer Produktionsanlage oder einzelner Teile davon viel zu teuer wäre oder technisch nicht möglich ist. Oder Szenarien, in denen Sachverstand und Fingerspitzengefühl des Menschen der automatisierten Bearbeitung überlegen sind. In diesen Fällen eignen sich Handarbeitsplätze mit Werkerassistenzsystemen sehr gut. Durch die integrierte manuelle Arbeit können somit individuelle und komplexe Produktvarianten gefertigt werden, im Schulterschluss mit der automatisierten Fertigung. In der gelungenen Mensch-Maschine-Interaktion spiegeln sich somit die Grundideen von Industrie 4.0 wieder: flexible, schnelle und einfache Anpassung der Produktionsanlage, um individuelle Kundenwünsche möglichst effizient zu bedienen.

Aufbau mit Augmented Reality

Um also zahlreiche Produktvarianten zuverlässig manuell weiter zu bearbeiten oder endzufertigen, muss sich der Mitarbeiter die Fertigungsschritte inzwischen weder merken, noch in einem Handbuch nachlesen. Die detaillierten Handlungsempfehlungen erhält er über die Assistenz-Systeme am Handarbeitsplatz der Technologie-Initiative SmartFactory KL e.V. Mit Hilfe einer Projektionslösung (Beamer) werden dem Ausführenden die Arbeitsschritte direkt auf der Arbeitsplatte angezeigt. Dies ist ergonomischer, als Inhalte auf einem an der Wand hängenden Bildschirm abzulesen, und ständig den Kopf zwischen Arbeitsfläche und Monitor hin- und herbewegen zu müssen. Ferner verfügt der Handarbeitsplatz über eine seitlich angebrachte Kamera, deren Livebild auf einem Monitor angezeigt und mit visuellen Arbeitsanweisungen überlagert wird. Dies ist eine Variante zur Assistenz, die sich für mobile Szenarien eignet, bei denen Informationen beispielsweise in einer Datenbrille oder auf einem Tablet angezeigt werden. Darüber hinaus verfügt der Handarbeitsplatz über eine oberhalb des Bedieners angebrachte Kamera, die Handbewegungen erfasst und somit passend zu den erfolgten Bewegungen und Tätigkeiten die Anzeige der neuen Arbeitsanweisungen auslöst.

Übersichtliche Oberfläche

Der Handarbeitsplatz der SmartFactory-KL ist in seiner weiterentwickelten Version enger mit der Industrie 4.0-Produktionsanlage vernetzt. So wird eine flexiblere Fertigung des vom Kunden individuell konfigurierten Produkts, des Visitenkartenetuis, ermöglicht. Wie alle Module innerhalb der Produktionsanlage kommuniziert auch der Handarbeitsplatz nun über das hersteller- und plattformunabhängige Kommunikationsprotokoll OPC UA. Dadurch können die regulären Produktionsmodule sowie der Handarbeitsplatz direkt miteinander verkettet werden. Physisch verbunden werden sie durch ein fahrerloses Transportsystem (FTS), das ein zu fertigendes Produkt je nach Bedarf flexibel zu den Anlagenteilen und dem Handarbeitsplatz transportiert – gemäß Produktionsplan sowie Maschinenverfügbarkeit. Am Handarbeitsplatz findet der Werker eine einfach zu bedienende Nutzeroberfläche vor. Auf dieser Oberfläche erhält er alle relevanten Informationen die für seine Arbeit erforderlich sind, beispielsweise eine Übersicht über zu fertigende oder sich in Arbeit befindliche Produkte, Informationen zum Kunden, zum Auftrag oder zur Anlage. Weiterhin erhält der Werker seine aktuelle Auftragsübersicht auf dem Bildschirm in sortierter Form dargestellt. Die IT-Schnittstelle dieses Assistenz-Systems wurde neu konfiguriert, um das ‚Andocken‘ des FTS am Handarbeitsplatz sicherzustellen. Der wissenschaftliche Mitarbeiter und Projektleiter in der SmartFactory-KL, Patrick Bertram, erklärt: „Durch die Integration des Handarbeitsplatzes in die IT-Struktur der Anlage kann der Mitarbeiter die Anlieferung neuer Produkte vom FTS überblicken und bestätigen oder aktiv die Abholung eines Produktes durch das FTS am Bildschirm anstoßen. Er wird somit befähigt, aktiv vom Handarbeitsplatz aus an der Auftragsabfolge mitzuwirken.“ Der Vorteil von diesem neuen Setup ist, dass nun flexibel und bedarfsgerecht gefertigt werden kann – voll automatisiert, teil-automatisiert/teil-manuell, vollständig manuell.

Blick durch eine Datenbrille: Mit Hilfe von Augmented Reality erhält der Mitarbeiter die nächsten Arbeitsschritte angezeigt. (Bild: Technologie-Initiative SmartFactoryKL e.V.)
Blick durch eine Datenbrille: Mit Hilfe von Augmented Reality erhält der Mitarbeiter die nächsten Arbeitsschritte angezeigt. (Bild: Technologie-Initiative SmartFactoryKL e.V.)

Plug&Play-Prinzip

Am Handarbeitsplatz werden diverse Bauteile zur Fertigstellung des individuell konfigurierten Visitenkartenetuis in fest zugewiesenen Behältern aufbewahrt. Hierbei handelt es sich um Elemente wie farbige Deckel und Haltefedern für die Visitenkarten oder Zusatzinlays wie Flaschenöffner oder USB-Stick. Dieses Behälter-System ist auf Wägezellen von Mettler Toledo aufgebaut, die jeweils mit einem cyber-physischen System (CPS) ausgestattet sind. „So kann an Hand des Gewichts eines jeden Behälters sein Füllstand automatisch berechnet werden“, beschreibt Eugen Schibli, Manager Industrie 4.0 beim Schweizer Unternehmen, den Vorteil. Die generierten Daten geben Aufschluss über die vorhandene Stückzahl und vereinfachen so die Lagerhaltung. Gleichzeitig können die Entnahme der korrekten Menge überprüft und folglich Fehler oder gar Diebstahl aufgezeigt werden. Jeder Behälter wurde ferner mit einem RFID-Chip zur Identifikation ausgestattet. Dies ist wichtig, denn hier wird das Plug&Play-Prinzip auf der Ebene der Wägezellen realisiert: Wird der Behälter in die Wägezelle eingesetzt, erkennt das System diesen automatisch an Hand seines RFID-Chips und passt den Produktionsablauf und die automatische Füllstandserkennung entsprechend des Behälters und seines zugewiesenen Inhaltes an. So ergeben sich viele Optionen für eine flexible Umgestaltung des Handarbeitsplatzes: Einerseits können die passenden Behälter für verschiedene Produktvarianten eingesetzt werden. Andererseits können die Arbeitsplätze auch aus ergonomischen Gründen umgestaltet werden. In beiden Fällen wird dank RFID-Chip-Technologie die individuelle Anordnung der einzelnen Behälter erkannt.

Einrichtung wird einfacher

„Gerade bei der Weiterentwicklung von Montage-Assistenz-Systemen für den Beschäftigten ergeben sich große Chancen, denn die Einrichtung eines Handarbeitsplatzes wird immer einfacher“, fasst Patrick Bertram zusammen. Ziel ist es, Assistenz-Systeme anzubieten, die der Werker intuitiv und ohne spezielle IT-Kenntnisse anwenden kann. Die dafür notwendige Konfiguration läuft automatisch im Hintergrund ab und bleibt dem Mitarbeiter verborgen. Der Einsatz modernster Technologie ermöglicht somit dem Nutzer eine einfache, schnelle Handhabung und Anpassung der Anlage im laufenden Betrieb. Das Ergebnis: Flexible Fertigung dank eines intuitiv bedienbaren Montage-Assistenz-Systems. Dass hier realer Bedarf seitens der Industrie besteht, zeigt sich an der Minitec Smart Solutions GmbH. Die aus der Zusammenarbeit von SmartFactory-KL und der MiniTec GmbH & Co. KG Anfang 2017 entstandene Ausgründung wird einen intelligenten Handarbeitsplatz auf den Markt bringen. Geschäftsführer Dr. Marius Orfgen erklärt: „Wir evaluieren den Handarbeitsplatz derzeit mit interessierten potenziellen Kunden. Die bisherige positive Resonanz überzeugt uns, dass der Bedarf nach einer smarten Lösung in der Industrie vorhanden ist.“ Die 18 Partnerunternehmen der SmartfactoryKL-Industrie 4.0-Anlage sind: Belden/Hirschmann, Bosch Rexroth, Cisco, Eplan Software & Service, Festo, Harting, IBM, iTAC, Lapp Kabel, Mettler Toledo, Minitec, Phoenix Contact, Pilz, Pro-alpha, TE Connectivity, TÜV Süd, Weidmüller und Wibu-Systems.