Mit dem geplanten Digitalen Binnenmarkt will die EU Vertragsvorschriften harmonisieren, gemeinsame Normen schaffen und die Industrie weiter digitalisieren. Welchen Nutzen können deutsche Unternehmen daraus ziehen?

Peltomäki: Der Plan der EU für den digitalen Binnenmarkt besteht aus einem Mix aus Gesetzesvorschriften und politischen Initiativen, um Bürgern und Unternehmen dabei zu unterstützen, den größten Nutzen aus der digitalen Ära zu ziehen. Er ziehlt darauf ab, die in der Onlinewelt existierenden Barrieren einzureissen und den Binnenmarkt der EU für das digitale Zeitalter aufzurüsten. Für deutsche sowie für alle europäischen Unternehmen ist die Schlüsselvariable für die digitale Wirtschaft die Größe. Umso größer der Markt ist, auf dem Unternehmen wirtschaften, umso stärker ist der Wachstumsimpuls. Außerdem können mehr Konsumenten von den Möglichkeiten profitieren, die zu einer breiteren Auswahl und billigeren Preisen führen. Ein funktionsfähiger Binnenmarkt – inklusive digitalem Binnenmarkt – stattet europäische Unternehmen mit einer potenziellen Kundenbasis von mehr als 500 Millionen Menschen aus. Das Größenargument wird in dem Maße wichtiger, wie sich auch die digitale Transformation unserer Gesellschaft beschleunigt. Heute ist jeder – vom Einzelhandelsunternehmen und Fahrzeughersteller über KMUs, Schulen, Krankenhäusern und Bibliotheken – davon abhängig, sich selbst digital zu transformieren. Während Europa sehr gut darin ist, neue Technologien und digitale Konzepte zu entwickeln, hadert es mit der kommerziellen Nutzung dieser Ideen. Ein funktionsfähiger digitaler Binnenmarkt könnte 415 Milliarden Euro pro Jahr zu unserer Wirtschaft beitragen und tausende neue Arbeitsplätzen schaffen. Das ist eine Chance, die sich Europa nicht entgehen lassen kann.

Im April wurde von der Europäischen Kommission ein Konzept für ein europaweites Netz von ‘Technologie-Exzellenzzentren’ vorgestellt. Können Sie das Vorhaben kurz skizzieren und aufzeigen, welche Möglichkeiten sich daraus für die Industrie ergeben?

Peltomäki: Als Teil unserer Strategie zur Digitalisierung der europäischen Industrie wird die Komission 500 Millionen Euro in Innovationszentren investieren, sodass jede Industrie, ob groß oder klein, hochentwickelt oder nicht, Zugriff auf Wissen und Testumgebungen der jüngsten digitalen Technologien erhält. Diese Exzellenzzentren würden in technischen Universitäten oder Forschungseinrichtungen platziert werden und sollten Unternehmen, speziell KMUs, mit dem Zugriff auf Räumlichkeiten ausstatten, wo sie sich weiterentwickeln können; Rat zu potenziellen Quellen der Finanzierung erhalten und Raum für Testverfahren und Experimente haben. Außerdem soll Mitarbeitern dabei geholfen werden, die nötigen Fähigkeiten und Trainings- sowie Weiterbildungsangebote wahrzunehmen. Die Kommission will digitale Entwicklungszentren dazu einladen, sich in Ausschreibungen über die nächsten fünf Jahre für EU-Förderung zu bewerben. Sie wird ebenfalls Mitgliedsstaaten und Regionen ohne angemessene Zentren oder Einrichtungen ermutigen, in solche zu investieren, speziell mit regionaler EU-Förderung. Synergien mit anderen Hochtechnologien werden ebenfalls unterstützt. Damit wollen wir sicherstellen, dass Unternehmen abhängig vom individuellen Innovationsbedarf zum richtigen Innovationszentrum finden.

In Deutschland wird angeregt über die Zukunft der Industriearbeit diskutiert. Da heißt es auch, dass zukünftig neue Anforderungen auf die Mitarbeiter der Industriebetriebe zukommen. Wie will die Europäische Union die Bürger der Mitgliedsstaaten darin unterstützen, diesen Anforderungen gerecht zu werden?

Peltomäki: Eine der tiefgreifendsten Auswirkungen der neuen industriellen Revolution betrifft die Jobs der Menschen und die Fähigkeiten, die sie dafür brauchen. Quer durch Europa entstehen neue Arten der Anstellung. Sie beeinflussen berufliche Standardmuster, transformieren die Beziehung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern gerade in Bezug auf die Arbeitsorganisation. Arbeitnehmer in Industrieunternehmen werden zunehmend Soft Skills wie Empathie, Kreativität, Reaktionsfähigkeit und Flexibilität benötigen, die nicht von Maschinen ersetzt werden können. Um in der neuen industriellen Revolution erfolgreich zu sein, muss unsere Industrie die besten verfügbaren Technologien benutzen, aber es braucht auch den Fokus auf den menschlichen Faktor. Arbeiter und Arbeitnehmer müssen einen neuen Platz in den Smart Factories finden und Unternehmen an diesem Wandel teilhaben, um zu sichern, dass sowohl Arbeitskraft als auch Arbeitsplatz bereit für die Zukunft sind. Antizipation und Adaption sind hier die Schlüsselwörter. Innovative Arbeitsplätze fördern nicht nur die Innovationskapazitäten der Arbeiter, sie erlauben auch Unternehmen innovativ zu bleiben und Veränderungen schneller und lückenloser zu adaptieren. Die ‘New Skills Agenda for Europe’ unterstützt Bürgern die benötigten Fähigkeiten für Innovation und Wettbewerbsfähigkeit zu erreichen.

Zum Schluss ein Ausblick: Wie sieht die europäische Industrie in zehn Jahren aus?

Peltomäki: Natürlich können wir die Zukunft nicht vorhersagen. Trotzdem können wir aufgrund der aktuellen Trends und der Geschwindigkeit des technologischen Wandels einen Ausblick auf die europäische Industrielandschaft in zehn Jahren wagen. Als erstes werden Konsumenten mehr und mehr ein Paket von Produkten und Dienstleistungen fordern, das auf ihre individuellen Bedürfnisse angepasst ist. Das traditionelle Modell von Besitz wird sich weiterentwickeln, während gesellschaftlicher und ökologischer Druck Menschen dazu ermutigt, mehr integrierte Produkte und Services zu fordern. Als ein Resultat daraus werden Herstellungsunternehmen und Dienstleister enger zusammenarbeiten, um solche Lösungen aufzubauen. Personalisierung, ermöglicht durch neue Produktionstechnologien wie Robotik und additive Herstellung, wird ein Hauptmotor für die Industrie. Zweitens werden regionale und lokale Personalisierung einen wesentlichen Einfluss haben. Vielfältige globale Märkte, verteilte Fertigung und eine wachsende informierte, globale Mittelschicht wird der Industrie einiges abverlangen. Der neue weltweite Markt muss die regionalen Vorlieben der Konsumenten bedienen – verschiedene Regionen benötigen oft besondere Produkte mit unterschiedlichen Features und Preispolitik.

Darauf muss die Industrie mit signifikanten Verbesserungen ihrer Marktanalyse-Fähigkeiten reagieren. Unternehmen werden ihre Waren und Dienstleistungen nach dem Prinzip Massenproduktion herstellen. Gleichzeitig werden sie auf lokaler Ebene arbeiten und ein Konsumenten-nahes Netzwerk aufbauen, um den lokalen Bedürfnissen entgegenzukommen und bei alldem ihre Kosten reduzieren. Dafür steht auch das Schlagwort Big Data. Daten werden das ‘neue Öl’. Immer komplexer und größer werdende Datensets, unterstützt von analytischen Tools, werden Fertigungsunternehmen in die Lage versetzen, alle Ebenen ihrer Wertschöpfungskette besser zu verstehen und zu optimieren, von Design zu Distribution, inklusive dem Lieferkettenmanagement, den Produktionsprozessen und dem Marketing. Unternehmen werden immer intelligentere Produkte entwickeln, basierend auf Cyber-physical Systems. Diese Produkte werden in Digital Factories hergestellt, wobei während jedem Schritt des Produktionsprozesses mit anderen Gliedern der Wertschöpfungskette kommuniziert werden kann. Diese kommen nicht ohne komplexe Logistiksysteme aus, die Produkte flexibel liefern, produzieren und verteilen können. Kurzum: Es wird effizientere Herstellungsprozesse geben, die gleichsam zügig auf Veränderungen reagieren können. (dom)