Entwicklung komplexer Produkte

Komplette Systeme modellieren und simulieren

Mit der zunehmenden Komplexität heutiger Produkte muss der Design-Prozess Schritt halten, um die sichere, effiziente und zuverlässige Integration komplexer Systeme, Teilsysteme und Komponenten sicherzustellen. Bei den wenigsten dieser Produkte ist dabei nur eine einzige physikalische Größe zu beachten, meist geht es vielmehr um multidisziplinäre Verhaltensweisen und Wechselwirkungen mit den entsprechenden und manchmal unvorhersehbaren Ursachen und Wirkungen. Daher benötigen Entwicklerteams spezifische Modelle, Simulationstools und Standards, die perfekt zusammenarbeiten, um eine stabile und kostengünstige Produktentwicklung sicherzustellen. Best-Practice-Prozesse reduzieren die Notwendigkeit für physikalische Tests und sorgen dafür, dass die Ergebnisse von globalen Teams gemeinsam genutzt und effizient für künftige Produktentwicklungen angewendet werden können.



Bild: Ansys Germany GmbH

Eine wichtige Technologie für die Entwicklung und Verifizierung elektrisch betriebener Systeme ist die Modellierung und Simulation physikalischer Systeme. Mit diesem virtuellen Systemkonzept ist die maßgebliche Systemdefinition in einem ‘lebendigen’ Modell enthalten, das ein gründliches Verständnis der Abhängigkeiten, Daten und Schnittstellen zwischen den verschiedenen Teilsystemen liefert – und nicht in dem herkömmlichen Satz von statischen textbasierten Design-Dokumenten. Die Modellierung und Simulation von Systemen stellt das Systemverhalten virtuell dar, sodass Produktentwicklungsteams die Wechselwirkungen in einem komplexen Mix von elektronischer Steuerungstechnik, Mechanik, Hydraulik, Elektromagnetik und thermischen Effekten verstehen, testen und optimieren können. Zweifellos ist gerade das Verstehen von Produkten im Hinblick auf die Wechselwirkungen im System von großem Wert für die Produktentwickler. Jedes komplexe Produkt muss als System entwickelt und optimiert werden. Die Systemmodellierung und -simulation gewinnt weiter an Wert, wenn die Entwicklerteams Informationen und digitale Elemente – zum Beispiel die Ergebnisse einer detaillierten physikalischen Simulation für eine Komponente oder ein Teilsystem – wiederverwenden oder für neue Zwecke bei der Analyse des Systemverhaltens verwenden.

Die Wiederverwendbarkeit wird durch wachsende globale Akzeptanz, die Entwicklung und Einhaltung von Standards und eingebaute Kopplungen mit anderen technischen Simulationsumgebungen gefördert, insbesondere in der 2D/3D-Physik-Simulation. So müssen beispielsweise Computer-Aided Engineering-Tools für 3D-Simulation und Analyse über eine ausreichende Tiefe und Breite verfügen, um realistische Ergebnisse hervorzubringen. Nur integrierte, fachspezifische Tools für Strukturen, Fluide, thermisches Verhalten, Elektronik (integrierte Schaltungen) und elektromagnetische Felder können die komplexen Interaktionen dieser physikalischen Größen aufzeigen. Traditionell separate und miteinander nicht in Beziehung stehende Modelle müssen so integriert werden, dass sie gemeinsam ein System exakt darstellen können. Die Einbeziehung von Embedded Software in den Mix fügt der Systemmodellierung und -analyse weitere Komplexität hinzu. Smarte elektrische Produkte verwenden eingebetteten Code zur Steuerung der Zusammenarbeit zwischen analogen und digitalen Komponenten. So gibt es beispielsweise in Kraftfahrzeugen eine Reihe von elektronischen Steuerungseinheiten, die viele Millionen Zeilen Code ausführen. Tools für die Entwicklung, Optimierung, Verifizierung und Generierung von Embedded Code müssen branchenspezifische Standards auf höchster Ebene erfüllen, besonders in sicherheitskritischen Anwendungen, von der Luft- und Raumfahrt bis zur Nukleartechnik. Weitere Enabler-Technologien sind bewährte offene Standards für die Verknüpfung der Modelle wie zum Beispiel das Functional Mock-Up Interface (FMI) sowie standardisierte Sprachen für die Verhaltensmodellierung wie VHDLAMS und Modelica.

Entwicklung auf Systemebene

Ein ‘optimales’ Design einzelner Komponenten und deren Zusammenfügen zu einem System oder Produkt führen noch nicht zu einem optimalen System. Es kann vielmehr unnötige und kostspielige Design-Durchgänge, Verzögerungen bei der Produkteinführung oder sogar Produkt-Rückrufe verursachen. Naturgemäß erfordert ein Produktdesign, dass Kompromisse gemacht werden. Wenn jedoch Änderungen vorgenommen werden, deren Folgen in anderen technischen Disziplinen nicht ersichtlich sind, kann dies weitreichende Konsequenzen haben. Die Entwicklungsteams müssen in der Lage sein, bei der Entwicklung in einem bestimmten technischen Bereich die benachbarten Bereiche, die sich letztendlich auf die Produktleistung auswirken, ebenfalls zu berücksichtigen. Die Entwicklung komplexer Produkte erfordert eine Denkweise auf der Systemebene, und dies nicht erst kurz vor Abschluss des Entwicklungszyklus. Das Systemdenken muss frühzeitig im Prozess als eine Disziplin erfolgen, die Informationen für das Detail-Design liefert und unliebsame Überraschungen beim Zusammenfügen der Komponenten vermeidet. Die Integration beginnt mit der Beurteilung von Konzepten und der Optimierung von Architekturen und stellt anschließend sicher, dass das kombinierte System die angestrebten Anforderungen erfüllt.



Der Designprozess muss mit der zunehmenden Komplexität heutiger Produkte Schritt halten, um die sichere, effiziente und zuverlässige Integration komplexer Systeme, Teilsysteme und Komponenten sicherzustellen. Bild: Ansys Germany GmbH


Globale Anwendungen im IoT

Produktentwicklungen in fast allen Branchen können von der Systemmodellierung und -simulation profitieren. Die mit steigender Komplexität verbundenen Probleme gelten nicht nur für die traditionellen Hersteller komplexer Systeme, sondern auch für die Öl- und Gasproduktion, alternative Energien, Gesundheitswesen, Industrieanlagen und Konsumelektronik. Neue komplexe Anwendungen sind elektrische Antriebe, selbstfahrende Kraftfahrzeuge und fortschrittliche Fahrerassistenzsysteme, elektromechanische Steuerungen und elektrische Rollwegsysteme für Flugzeuge sowie die Elektrifizierung von Bohr- und Förderanlagen für Öl und Gas. Die Elektrifizierung von Produkten ist eine Folge des industriellen Internet der Dinge (IIoT), das dramatische Veränderungen in Produktion, Energietechnik, Landwirtschaft, Verkehrswesen und anderen Industriebereichen hervorruft. Neben den grundlegenden Veränderungen der Arbeitsweise der Menschen durch neue Interaktionen zwischen Menschen und Maschinen ist es am bedeutendsten, dass die technologischen Änderungen beispiellose Chancen sowie auch neue Risiken mit sich bringen.

Das IIoT kombiniert die globale Reichweite des Internets mit der Fähigkeit zur direkten Kontrolle der physikalischen Welt mit Maschinen, Fabriken und Infrastrukturen, welche die moderne Landschaft bestimmten. All dies stellt eine Chance dar, die Wertschöpfungskette in der Produktentwicklung zu revolutionieren. So würden in einer idealen Welt Entwicklungsteams Systemmodelle mit maximalem Detaillierungsgrad und maximaler Realitätstreue erzeugen. Das Ergebnis ist jedoch unnötig komplex, und normalerweise reichen die Zeit oder die verfügbaren Informationen nicht aus, um die Modelle tatsächlich zu erzeugen. In der Praxis wenden die Entwicklergruppen eine Reihe von Systemmodellen an, um virtuelle Systemprototypen zu erstellen. Die Auswahl des richtigen Modells ist abhängig von den Fragestellungen, von den durchgeführten Analysen, vom Stadium im Entwicklungsprozess und von den verfügbaren Informationen. Detaillierte 2D- und 3D-Simulationen werden in großem Umfang im Detail-Design-Stadium der Produktentwicklung angewendet: Strukturanalyse, Fluiddynamik, Wärmeverhalten, elektromagnetische Hoch- und Niederfrequenzanalyse sowie Multiple-Physics-Simulation mit einer Kombination mehrerer physikalischer Disziplinen. Simulation mit der richtigen Software verkürzt nicht nur den Entwicklungszyklus und erhöht die Effizienz, sondern treibt auch die Innovation voran. Die Technologie verringert oder beseitigt physikalische Beschränkungen und ermöglicht simulierte Tests, die auf andere Weise oft nicht durchführbar sind. Sie unterstützt eine ‘What-if’-Denkweise, sodass die Entwickler problemlos verschiedene Design-Alternativen untersuchen können, um die optimale Lösung zu finden.

Embedded Software

Die Autorin Regina Hoffmann ist Marketingleiterin der Ansys Germany GmbH.

Beim Prozess zur Einbindung von Embedded Code für die Steuerung von Systemen bestehen ähnliche Zwänge: Verbesserung der Produktqualität, Reduzierung der Entwicklungskosten und Verkürzung der Entwicklungszeit. Die Verwendung von Embedded Systemen und Software wird zu einem wichtigen Unterscheidungsmerkmal in den meisten Produktindustrien. Jedoch erhöht die zusätzliche Verwendung von integriertem Code die Herausforderungen und die Komplexität im Produktdesign. Ein geeignetes Tool für die Modellierung und Generierung von Embedded Code muss sich mit Systementwicklungstools, der Erzeugung virtueller Prototypen und der Simulation mehrerer physikalischer Disziplinen verknüpfen lassen. Modellbasierte Entwicklungsmethoden ermöglichen es den System- und Softwareentwicklern, jede Funktion einzeln nachzubilden und anschließend in Zusammenarbeit mit verschiedenen Disziplinen sicherzustellen, dass das Modell spezifische Anforderungen erfüllt. Die verwendeten Tools müssen eine frühzeitige Verifizierung und Validierung des Codes ermöglichen, oft noch, bevor das Zielsystem überhaupt verfügbar ist.

Ausgereifte Entwicklung

Mit zunehmender Intelligenz, Vernetzung, Elektrifizierung und daher auch Komplexität der Produkte bietet die Systemmodellierung und -simulation die Technologie für eine ausgereifte und kostengünstige Produktentwicklung. Die modellbasierte Entwicklung kann außerdem dazu beitragen, die Entwicklungsqualität zu verbessern, die funktionale Sicherheit zu verifizieren und Design-Elemente mehrmals zu verwenden. Darüber hinaus können Unternehmen jetzt virtuelle Systemmethoden einsetzen, um die Einhaltung von Industriestandards nachzuweisen. Die erfolgreichsten Produktentwicklungsunternehmen wenden die Modellierung und Analyse von Systemen am Anfang des Prozesses an, um die Systemmodellierung und -simulation so früh wie möglich und während der gesamten Komponentenentwicklung einzubeziehen und die gewonnenen Informationen für das Gesamtsystem zu nutzen.