Enterprise-Anwendungen verzahnen
Basis für durchgängige Prozesslandschaften
Von einem durchgängigen Product Lifecycle Management ist zwar häufig die Rede, in der Praxis findet es sich aber kaum. Das liegt unter anderem daran, dass wichtige IT-Systeme in den meisten Unternehmen nicht miteinander verzahnt sind. Dabei kann sich eine Integration schon kurzfristig auszahlen – quantitativ und qualitativ.

Von der ersten Idee in der Entwicklung bis zur Entsorgung des Produkts – das Konzept des Product Lifecycle Management (PLM) sieht vor, dass Unternehmen ihre Produktdaten so bereitstellen, dass zu jeder Phase des Lebenszyklus alle Beteiligten mit den erforderlichen Informationen versorgt sind. Eine nahtlos integrierte Prozess- und Systemlandschaft mit vollkommener Prozessbefähigung aller involvierten Mitarbeiter im eigenen Unternehmen oder beim Zulieferer ist das PLM-Idealbild. Dass die meisten Unternehmen in der Praxis noch ein gutes Stück von diesem Zustand entfernt sind, liegt vor allem daran, dass leistungsfähige Einzelsysteme für die verschiedenen Wertschöpfungsschritte verbreitet sind, die untereinander nicht oder nur rudimentär verzahnt sind. Das behindert einen reibungslosen Datenaustausch und macht durchgängige Prozesse mehr oder weniger unmöglich. Besonders augenfällig wird dieser Missstand beim Zusammenspiel zwischen Abläufen in der Entwicklung auf der einen Seite sowie kaufmännischen, logistischen und produktionsnahen Prozessen auf der anderen Seite.
So ist es beispielsweise kaum machbar, die Konsequenzen eines Änderungsvorhabens umfassend und fundiert zu beurteilen. Nur wenige Unternehmen können mit Sicherheit sagen, dass sich eine Änderung von Produktkomponenten nicht unerwartet auf die Kosten, die Abläufe in Logistik und Produktion, den Service oder die Produktanforderungen auswirkt. Schwierig ist dies deshalb, weil die ursprünglichen Produktstrukturdaten meist im PLM-System liegen, während im Enterprise Resource Planning-System (ERP) alle anderen Produktdaten abgelegt oder dort konsolidiert werden. Das Fehlen durchgängiger Informationen erschwert es Unternehmen auch, eine immer größere Variantenvielfalt anzubieten und gleichzeitig in kleineren Losgrößen zu fertigen, die Entwicklungszyklen für neue Produkte zu verkürzen und global zusammenzuarbeiten. Die Ursachen für diese bis heute bestehende Trennung sind in der historischen Entwicklung und sehr unterschiedlichen Sichtweisen auf dasselbe Produkt zu finden.
Prozess- und Datensilos vermeiden
Unternehmen erkannten in den 1990er Jahren, dass sie nur mit einer durchgängigen IT-Lösung ihre Geschäftsprozesse effizient gestalten und die Lieferkette optimieren konnten: Das ERP war geboren. Nach dem Jahrtausendwechsel machten dann die enorm wachsenden Datenmengen, die zunehmende Komplexität der Produkte und der steigende Variantenreichtum eine weitere Unternehmens-Software erforderlich: Lösungen für PLM sollten helfen, den Überblick im immer anspruchsvolleren Innovations- und Produktentstehungsprozess zu behalten und eine globale Zusammenarbeit zu unterstützen. Heute leisten beide Enterprise-Anwendungen – mit ihren jeweiligen fachlichen Schwerpunkten und organisatorischen Zugehörigkeiten – einen signifikanten Beitrag zum Unternehmenserfolg.
Im besten Fall agieren dabei zwei hochoptimierte und unabhängig arbeitende IT-Systemverbünde, im ungünstigsten Fall heterogene Prozess- und Datensilos, welche die Produktivität massiv beeinträchtigen: Dann müssen Daten manuell synchronisiert werden und Anwender sind genötigt, Daten redundant über verschiedene Benutzeroberflächen einzugeben, manche Zuordnungen von Produktinformationen sind gar nicht möglich. Nicht selten müssen wichtige Entscheidungen unter Zeitdruck auf Basis einer unvollständigen und nicht aktuellen Datenbasis getroffen werden. Fehleinschätzungen sind damit eher die Regel als die Ausnahme und müssen in den nachfolgenden Prozessen mit teils unverhältnismäßig hohem Einsatz von Zeit und Geld korrigiert werden.
Produktentstehung IT-gestützt optimieren
Dabei kann eine konsequente Integration der Prozesse und Informationen aus PLM und ERP die Basis bilden, um innovative Produkte zu geringeren Kosten und in der geforderten Qualität entwickeln und am Markt einzuführen. In der Vision eines idealen Unternehmens ist es durch durchgängige Prozesse und synchronisierte Daten möglich, aus dem Blickwinkel der Entwicklung Lagerbestände von Produktkomponenten, laufenden Bestellungen oder geplante Fertigungsaufträge systemgestützt auszuwerten. Außerdem lässt sich – beispielsweise im Rahmen der Bewertung von Änderungsanträgen – aufzeigen, welche Auswirkungen sich aus Änderungsvorhaben auf Kundenanforderungen oder bestehende Verträge ergeben. Das ist der Traum all jener, die über die Freigabe eines Änderungsantrages entscheiden müssen. In einer Studie von Cimdata Research zu einer solchen PLM-ERP-Integration wurden folgende Nutzenpotenziale quantifiziert:
- 75 Prozent Reduzierung von Zeitaufwand, Kosten und Fehlern, indem wiederholte manuelle Dateneingaben vermieden werden
- 75 Prozent Reduzierung der durch fehlerhafte Stücklisten verursachten Kosten
- 15 Prozent Reduzierung der Bestandskosten, indem Designer und Ingenieure bereits verwendete Teile konsequent nutzen
- Acht Prozent Reduzierung des Ausschusses, der entsteht, weil bestellte oder gelagerte Materialien nicht mehr verwendet werden können
Bereichs- und systemübergreifende Prozesse
Um solche Potenziale zu heben, genügt es meist nicht, Integration als rein technische Aufgabe aufzufassen. Vielmehr müssen neben der IT insbesondere die Organisation und die Prozesse im Unternehmen in den Blick genommen werden.
- Verlagerung von Verantwortung: PLM- und ERP-Systeme unterstützen unterschiedliche Bereiche eines Unternehmens, die unterschiedliche Ziele verfolgen und in denen eigene Arbeits- und Denkweisen vorherrschen können. Integration bedeutet hier, sich mit diesen Unterschieden intensiv zu befassen und Lösungen zu erarbeiten, die von beiden Seiten akzeptiert werden. Im Zentrum der Betrachtung stehen dabei die Produktstrukturen oder Stücklisten und deren Änderungen. War dafür lange Zeit ausschließlich die Fertigung verantwortlich, erfolgt heute mehr und mehr eine Trennung in die Verantwortungsbereiche ‚Design und Funktion‘ sowie ‚Fertigung‘. Die initiale Verantwortung für Produktstrukturen verschiebt sich damit in die Entwicklung, einhergehend mit der Notwendigkeit, aktuelle Produktinformationen an die Folgeprozesse weiterzugeben. Als strategische und unternehmensweite Initiative erfordern ein umfassendes Product Lifecycle Management und eine PLM-ERP-Integration die Unterstützung auch des gehobenen Managements – auch und nicht zuletzt aufgrund des beschriebenen Kulturwandels.
- Unterstützung durch Automatisierung: Infrastruktur- und Technologiefragen hängen oft von den IT-Strategien der Unternehmen ab – in Deutschland oft mit Produkten des Software-Herstellers SAP verbunden. Für die Integration von PLM- und ERP-Systemen sind dabei Fragen nach den auszutauschenden Informationen und Objekten, der Art und Tiefe der gewünschten Integration sowie den Integrationswerkzeugen zu stellen. Grundlegend ist dabei der Austausch von Produktstrukturen und Stücklisten. Komplexer zeigt sich der Austausch von Änderungsinformationen, deren automatische Bereitstellung allerdings erforderlich sein kann, um Fehler durch veraltete Daten zu vermeiden. Weitere Informationen können Kosten- und Gewichtsdaten, Angaben zu Beständen oder Fertigungsprozessen, aber auch zum Status und zur Reife von Komponenten sein. Zusammen mit dem Integrationsumfang sollten auch Integrationslevel und Richtung des Datenflusses definiert werden: Hier bietet sich zur Abbildung der verschiedenen Anwendungsfälle in Unternehmen eine flexible Kombination aus Datenaustausch und Datenzugang – also der reinen Datenanzeige in der Benutzeroberfläche – an. Dazu ist Bidirektionalität erforderlich, damit Engineering-Informationen wie elektronische ‚Bill of Materials‘ (BOM) an das ERP-System weitergereicht werden können, aber auch kaufmännische Informationen – etwa Kostendaten zur Verwendung möglichst preiswerter Komponeten und Materialen – zur Verfügung stehen.
Übergreifende Denkweisen: Aus der Organisation des Unternehmens ergibt sich die spezifische Ausprägung einer PLM-ERP-Integration. Es geht dabei stets in gleichem Maße um die Integration von Prozessen und um den Austausch von Daten – übersichtlich, kontrolliert und nachvollziehbar. Bei der Anlage von Produktstrukturen ist zum Beispiel festzulegen, wer zu welchem Zeitpunkt welche Informationen pflegen beziehungsweise wen informieren muss. Betrachtet man den Änderungs-und Freigabe-Prozess, der zur Bewertung einer Änderung die Auswirkungen auf Funktion, Kosten, Beständen Beschaffungszeiten des Produkts erfordert, so zeigt sich deutlich, wie Prozesse über die Systemgrenzen von PLM hinweg in die ERP-Welt reichen. Der oft besprochene Nutzen des Änderungsmanagements basiert auf dieser übergreifenden Betrachtung. Prozess-Automatisierung spielt dabei eine wichtige Rolle, um Verschwendungen zu vermeiden.
Standards nutzen und Nutzerakzeptanz schaffen
Fachbereiche und Key User frühzeitig einzubinden und deren Akzeptanz sicherzustellen, hat sich im Laufe verschiedener PLM-ERP-Integrationsprojekte als zentraler Erfolgsfaktor erwiesen. Dies kann bereits während der Prozessanalyse erfolgen, mit deren Hilfe sich Ist-Prozesse identifizieren und Soll-Prozesse definieren lassen. Aus den Ergebnissen lässt sich dann ein Konzept für die Integration ableiten. Ein weiterer Erfolgsfaktor besteht darin, Erfahrungen zu nutzen – Erfahrungen mit den relevanten Prozessen, mit Integrationskonzepten sowie mit den zu integrierenden IT-Systemen. Weiterhin lassen sich häufig die Kosten bei der Umsetzung eines Projektes deutlich senken und die Einführungszeiten reduzieren, wenn auf Standardlösungen zurückgegriffen wird. Diese verfügen idealerweise über eine bidirektionale Prozessteuerung und lassen sich an spezifische Anforderungen anpassen.