Human Maschine Interfaces

Digitale Intralogistik mit Datenbrillen

In der digitalisierten Fabrik fließen die Daten – vor allem aber die Materialien. Dabei hat sich Assisted Reality zum etablierten HMI in Industrie 4.0-Anwendungen entwickelt. Der Werkzeughersteller Stahlwille setzt etwa in seinem Logistikzentrum eine Pick-by-Vision-Lösung zum Kommissionieren ein. So haben die Mitarbeiter dort die Systemdaten stets im Blick und gleichzeitig die Hände frei. Die 15.000 Werkzeuge täglich lassen sich so deutlich schneller picken als zuvor.

Bild: Picavi GmbH
Bild: Picavi GmbH

Um die Effizienz im Logistikzentrum am Stammsitz in Wuppertal ohne Baumaßnahmen weiter zu steigern, wurde beim Werkzeughersteller Stahlwille nach einem neuen Kommissioniersystem gesucht. Die 12.000 verschiedenen Werkzeuge, Ersatzteile und Geräte sollten sicherer zu Lieferungen zusammengestellt, verpackt und verschickt werden. Eine Ablösung des bisher eingesetzten Systems bestehend aus Terminals auf den Vertikalkommissionierern und Handscannern durch Pick-by-Voice schien dabei jedoch nicht sehr geeignet: Sprachansagen hätten bei dem zahlenlastigen System zu viel Aufmerksamkeit erfordert und eine zu hohe Fehleranfälligkeit gehabt. Die Logistikmitarbeiter sollten die Auftragsdaten immer wieder einfach einsehen können und gleichzeitig die Hände freihaben, um Zeit zu sparen. „Mit Pick-by-Vision lassen sich komplexe Logistikprozesse einfach darstellen und die Datenbrillen sind in die bestehende Systemarchitektur zu integrieren. Das hat uns damals überzeugt und heute wissen wir, dass wir mit Picavi die richtige Entscheidung getroffen haben“, sagt Andreas Putsch, Leiter der Logistik bei Stahlwille. Mit der Picavi GmbH hat man einen Partner gefunden, der sich mit Datenbrillen und der dazugehörigen Software auskennt. Denn mit dem richtigen Know-how ist die Technologie prädestiniert für den intralogistischen Einsatz, da sie flexibel an alle Eventualitäten angepasst werden kann. Und hat dadurch Potenzial auch andere Bereiche wie Warenein- und -ausgang, Inventur oder Retourenmanagement zu optimieren. So wurden Bedienung und Benutzeroberfläche von Picavi an die Eigenheiten und Anforderungen bei Stahlwille angepasst und das Pick-by-Vision-System konnte nach nur zwei Monaten Projektlaufzeit in den Echtbetrieb integriert werden. Schnell hatte man mit der W3logistics AG, dem Anbieter des Lagerverwaltungssystems (LVS) von Stahlwille, hierzu eine Schnittstelle für einen reibungslosen Datentransfer entwickelt – ohne kostenintensiv in die Systemarchitektur eingreifen zu müssen. Zu diesem Zweck wird das bereits vorhandene Funknetz genutzt.

Pick-by-Vision im Echtbetrieb

Seither sind elf Datenbrillen im Lager von Stahlwille im Einsatz – pro Vertikalkommissionierer eine. Beim einstufigen Multi-Order-Picking werden die Logistikmitarbeiter auf optimierten Wegen zu den Stellplätzen geführt, während ihnen über das Display ihrer Datenbrille alle Informationen ihres Auftrags angezeigt werden: wohin, was, wie viel – übersichtlich und reduziert auf die gerade wichtigen Angaben. Die Anzeige wird mittels Assisted Reality in etwa einem Meter Entfernung am Blickfeldrand eingeblendet, sodass Auftragsstatus und Umgebung gleichzeitig wahrgenommen werden. Zugleich wird der Prozessfortschritt kontinuierlich in Echtzeit an das LVS übermittelt.

15.000 Waren pro Tag

So picken die Logistikmitarbeiter bis zu 15.000 Mal am Tag zielsicher immer den richtigen Artikel und sparen dabei mit Picavi circa 400 Minuten Arbeitszeit täglich. Von winzigen Ersatzteilen bis hin zu großen Werkzeugen sitzt jeder Griff und sogar beim Einordnen der kleineren Teile in die Verpackungseinheiten hilft Picavi, indem die optimale Reihenfolge und Platzierung angezeigt wird. Jeder Prozessschritt gewinnt damit an Sicherheit: Zum einen haben die Logistikmitarbeiter ihre Umgebung wie etwa vorbeifahrende Kollegen stets im Blick, zum anderen wissen sie immer alles Nötige über ihren Auftrag – ohne langes Suchen. Und das Fehlerpotenzial sinkt noch weiter, da mittels Scan und Echtzeitverbindung zum LVS jeder Pick automatisch geprüft wird. Bei Fehlmengen oder Ähnlichem kann hier auch manuell eingegriffen werden. Das macht sich in einem optimierten Materialfluss und immer aktuellen Daten im LVS bemerkbar, vor allem aber für die Logistikmitarbeiter. „Die neue Bewegungsfreiheit und die einfache, an unsere Anforderungen angepasste Bedienung begeisterten die Kollegen schnell“, berichtet Putsch von der hohen Akzeptanz der neuen Technologie. Das ständige Rotieren des Oberkörpers – zum Terminal, zur Ware und zum Ablageort– wird deutlich minimiert, da der Werker die pickrelevanten Informationen stets im Blick hat. Das Arbeiten wird so ergonomischer und wesentlich effizienter.

Akku hält die Schicht durch

Damit die Logistikmitarbeiter ihren gesamten Arbeitstag über ihre Datenbrillen visuell geführt werden, kommt der Picavi Power Control zum Einsatz. Er vereint Akku und Bedienelement, versorgt die Wearables mit ausreichend Energie für mindestens eine Schicht und kann als Alternative zum Touchpad am Brillenbügel bedient werden – dank seiner großen Tasten sogar mit Handschuhen. Für Ausnahmefälle wie schwer zu erreichende Barcodes etwa in Bodennähe gibt es eine einfache Lösung: Die bereits vorhandenen Handscanner wurden problemlos per Bluetooth an die Datenbrillen angebunden.

Unabhängig vom Terminal

Das neue Kommissioniersystem führt durch seine Flexibilität zu einer deutlichen Verbesserung. Der Logistikmitarbeiter ist nicht mehr an ein Terminal gebunden; Picavi übermittelt jeden Auftrag und alle relevanten Daten direkt an die Wearables beziehungsweise zurück an das LVS. Bei der Kommissionierung und Kennzeichnung von kundenspezifischen Artikeln und Anbruchmengen ist man ebenfalls weniger ortsgebunden, da Picavi die Daten für den entsprechenden Etikettendruck per WLAN direkt an den Drucker am Vertikalkommissionierer schickt. Die erzielte Effizienzsteigerung hat Stahlwille dazu bewogen, noch einen Schritt weiterzugehen und nur noch mit den Datenbrillen – ganz ohne externe Scanner – zu arbeiten. Um dies zu ermöglichen, beriet Picavi den Werkzeughersteller auch bei der Etikettenwahl. Der traditionelle 1D-Barcode, der bei Stahlwille im Einsatz war und teils noch ist, kann zwar vom integrierten Scanner der Datenbrillen gut gelesen werden, noch schneller wird jedoch ein Data-Matrix-Code erkannt. Der Blick Richtung Code ist dabei zugleich der Scanvorgang, das funktioniert beim 2D-Code in einem deutlich erweiterten Erfassungsbereich als beim Strichcode. Selbst wenn ein Drittel fehlerhaft oder verdeckt ist, wird der Artikel eindeutig identifiziert und innerhalb kürzester Zeit vom System verifiziert. Der Werkzeughersteller möchte in einem nächsten Schritt auf diese Etiketten umstellen.







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