Digitale Fabrikstrukturen

„Lifecycle Management allein reicht nicht mehr“

Schlagworte für Software und IT-Systeme als verbindende Disziplin zwischen Engineering und Produktion gibt es viele. Angefangen von ‚Computer-Integrated Manufacturing‘-Initiativen der 70er-Jahre über die ‚Digitale Fabrik‘ bis hin zum aktuellen Schlagwort Industrie 4.0. Andreas Barth, Managing Director Eurocentral, Dassault Systèmes, gibt Einblicke in die fortschreitenden Entwicklungstrends für integrierte Lifecycle-Prozesse.



Andreas Barth, Managing Director EuroCentral, Dassault Systèmes: „PLM reicht im Zeitalter von Industrie 4.0 nicht mehr aus. Deshalb gehen wir jetzt den nächsten Schritt.“

Begriffe wie Industrie 4.0 oder CIM liegen im Trend. Gibt es einen Unterschied?

Andreas Barth: CIM, also Computer-Integrated Manufacturing, steht für den Einsatz der Automatisierungstechnik in der Produktion – das entscheidende Merkmal der letzten industriellen Revolution. Die Digitale Fabrik dagegen ist zwischen Industrie 3.0 und 4.0 angesiedelt. Sie entwickelte sich vor rund 15 Jahren und verfolgte das Konzept, die Fabrik virtuell abzubilden. Im Gegensatz dazu greifen bei der Zukunftsvision Industrie 4.0 über Cyber-Physical-Systems virtuelle und reale Fabrik ineinander.

Ist Industrie 4.0 eine realistische Zukunftsvision oder nur ein Hype?

Barth: Ich bin überzeugt davon, dass viele Elemente von Industrie 4.0 tatsächlich realisiert werden. Das Internet der Dinge zum Beispiel ist heute schon in einigen Unternehmen Realität. Welche Produktionssysteme auf Cyber-Physical-Systems umgestellt werden, wird sich noch zeigen. In der Elektronikindustrie mit hohen Stückzahlen etwa halte ich das für wahrscheinlich.

Werden entsprechende Initiativen auch im Ausland wahrgenommen?

Barth: Durchaus. Der Begriff Industrie 4.0 wird als deutsche Initiative betrachtet, aber an den Fragestellungen und Technologien wird international gearbeitet – zum Beispiel an der Dezentralisierung der Produktion. Sie erfordert globale Systeme – und diese benötigen wiederum neue Formen der IT-Unterstützung.

Welche Auswirkungen hat dies auf die Weiterentwicklung der Software?

Barth: Product Lifecycle Management reicht im Zeitalter von Industrie 4.0 nicht mehr aus. Mit der 3Dexperience Plattform gehen wir deshalb jetzt den nächsten Schritt: Wir stellen eine Business-Plattform bereit, welche globale Geschäftsprozesse abdeckt. Dazu gehören auch neue Kommunikationswerkzeuge oder Anwendungen zur Auswertung der ‚Datenflut‘. Vor diesem Hintergrund haben wir vergangenes Jahr Apriso, einen Anbieter von Manufacturing Operations Management Systems, akquiriert. Damit bieten wir Unternehmen die Chance, Produktionssysteme standortübergreifend zu planen – und dabei auch Zulieferer zu berücksichtigen. Neu ist auch die Möglichkeit, den Endkunden in die Entwicklung einzubeziehen. Mit einer weiteren Individualisierung der Produkte wird dies wichtiger denn je. All das war mit PLM allein nicht möglich. Hinzu kommt: Die Cloud wird in der Fabrik der Zukunft eine zentrale Rolle spielen und auch in der Interaktion zwischen Unternehmen und Endkunden. Ich glaube allerdings nicht, dass sie Unternehmensnetzwerke völlig ersetzen wird. Beide Technologien haben ihre Vor- und Nachteile.

Erwarten Sie davon Impulse für Fabrikplanung und -steuerung?

Barth: Um die steigende Komplexität zu bewältigen und flexibler zu agieren, werden Fabrikplanung, Produktentwicklung und Anlagensteuerung weiter zusammenwachsen müssen. Für den Mitarbeiter heißt das nicht, dass er nun alle Facetten der IT-Systeme beherrschen muss. Im Gegenteil: Es braucht Systeme, die ihm genau die Informationen und Funktionalitäten zu Verfügung stellen, die er benötigt und bewältigen kann. Aber auch die Konstruktion der Produkte wird sich ändern. Aus Kostengründen werden Unternehmen hoch individualisierte Produkte aus möglichst vielen Standardmodulen zusammensetzen. Auch wird ein stärkerer Rückfluss an Informationen aus der Produktion in Richtung Konstruktion nötig. Ein gutes Datenmanagement wird also noch wichtiger.

Wo stehen wir heute? Im Hinblick auf Industrie 4.0 kursieren Zeitpläne zwischen fünf und über 20 Jahren …

Barth: Die Industrie steht in manchen Punkten noch am Anfang, in anderen ist sie weit fortgeschritten: Das Internet der Dinge kommt bereits in Ansätzen zum Einsatz. Andere Komponenten werden in manchen Industrien in fünf Jahren realisiert werden, in anderen in 20. Am meisten zu tun ist noch im Zusammenspiel zwischen neuen Technologien, Arbeitsorganisation, Produktionssystemen und Softwaretechnologie. Hier ist enge Zusammenarbeit in Form strategischer Projekte notwendig. Nur so kann Industrie 4.0 ein Erfolg werden.