Der Weg zum schlanken Arbeitsplatz

Die atmende Fabrik

Die Lenord+Bauer & Co. GmbH aus Oberhausen ist ein Spezialist in den Bereichen der Bewegungssensorik und der integrierten Antriebstechnik. Aufgrund des Wachstums und dem dadurch entstehenden Platzmangel entschloss sich die Geschäftsführung zu einem Neubau in Gladbeck. Ziel war es, die Abteilungen Einkauf, Lager, Betriebsmittelbau und Qualitätssicherung direkt an die Produktion anzubinden.

Bild: Treston Deutschland GmbH

Der Neubau wurde von Beginn an unter den Aspekten der Produktionsflexibilität und der Lean Production geplant. Das 2012 fertiggestellte Gebäude ist, laut Achim Olkner, Leiter Produktion und Logistik bei Lenord + Bauer, eine sogenannte atmende Fabrik. Flexibilität lautet dabei das Stichwort: Diese beginnt bereits beim beim Fußboden. Die Bondenbelastungen wurden so ausgelegt, dass in der Elektronikfertigung auch mechanische Bearbeitungszentren aufgestellt und in der mechanischen Fertigung Elektronik gefertigt werden könnte. Darüber hinaus ist durchgehend ESD-leitender Boden – ESD steht für Electrostatic Discharge – verlegt. In beiden Bereichen herrschen die gleichen klimatischen Bedingungen. Außerdem gibt es im gesamten Produktions- und Logistikbereich eine gasbefeuerte Warmwasserfußbodenheizung. Dieses Konzept entstand, weil zum Planungszeitpunkt noch nicht abzusehen war, wie sich der Markt entwickelt beziehungsweise ob der Schwerpunkt in Zukunft eher im Mechanik- oder im Elektronikbereich liegen würde.

Schlanke Elektronikfertigung am neuen Standort

Auf 1.840 Quadratmetern befindet sich die Elektronikfertigung mit der Vor- und Endmontage. Etwa die Hälfte der 150 Mitarbeiter am Standort Gladbeck arbeitet in diesem Bereich, deren Arbeitsplätze in der Planung eine wichtige Rolle gespielt haben. Nach dem Umzug in das neue Werk sollte auf eine moderne Einrichtung nach ergonomischen Gesichtspunkten umgestellt werden, die auch anspruchsvollen Montageabläufen gerecht wird. Dafür sollte der Arbeitsplatzspezialist Treston Deutschland die bestehenden Arbeitsprozesse untersuchen. Auch die Abteilungen Entwicklung und Qualitätssicherung bezog man mit ein. Der gesamte Prozess – von der Analyse der Fertigungsabläufe am alten Standort bis zum Erarbeiten und Umsetzen der optimalen Lösung im neuen Werk dauerte rund ein Jahr. Die Lösungen wurden unter Lean-Production-Aspekten realisiert.

Neubau - Einblick in die Produktionsstätte der Lenord+Bauer & Co GmbH
Bild: Treston Deutschland GmbH

Trennung von Logistik und Montage

Ulrich Fröleke, Lean-Fachmann bei Treston, erläutert das Lean-Production-Prinzip: „In der Lean-Betrachtung kommt es immer darauf an, dass der Gesamtproduktionszusammenhang beachtet wird. Abteilungsübergreifende Lean-Projekte sind hocheffizient, weil kostenintensive Schnittstellen, an denen Verzögerungen entstehen, untersucht und beseitigt werden. Hand-in-Hand-Arbeiten ist gefragt.“ Im Zuge dieser Überlegungen wurde die komplette Halle in Rastern geplant, die auf den Maßen der Treston-Arbeitstische (2 x 0,75 Meter) basieren. Diese Arbeitstische wurden zu U-förmigen Inseln gruppiert. Falls nötig, können Umbaumaßnahmen für neue Arbeitsinseln so innerhalb von ein bis zwei Tagen vorgenommen werden. Spezielle Kundenwünsche können so schneller und flexibeler erledigt werden. Die prozessorientierte Anordnung brachte Vorteile: Die Trennung von Logistik und Montage, die gleichzeitige Einbindung in den neu gestalteten Produktionsablauf und einen transparenten Materialfluss.

Materialversorgung durch Materialzug

Die einzelnen Fertigungsinseln werden nun durch einen Materialzug mit Material versorgt. Dieser wird durch die Anwendung eines elektronischen Kanban-Prinzips bedarfsgerecht gesteuert. Während die Produkte früher mit etwa drei bis vier Tagen Durchlaufzeit gefertigt wurden – zum Beispiel erst das Kabel, dann das Messsystem, dann Montage und Endprüfung – ist das heute in einem oder eineinhalb Tagen erledigt. Kabel und Messsystem werden parallel gefertigt. Eine Roboterzelle übernimmt die Vorparametrisierung. Sie prüft, ob das Messsystem an sich funktioniert, danach kommt das Kabel dazu und die Mitarbeiter fügen alles zusammen.

Neubau
Bild: Treston Deutschland GmbH

Fokus auf der Elektronikfertigung

Die Elektronikfertigung gliedert sich in einzelne Fertigungsinseln – für Drehzahlsensoren, Einbaugeber, inkrementale Drehgeber, Stellantriebe, Controller, Sensoren und Kabelkonfektionierung. Daneben befinden sich noch eine Lackieranlage für Elektronikbaugruppen sowie ein Ofenraum für Temperaturtests und Aushärteprozesse in der Halle. Die Tischplatten der Arbeitstische sind alle mit ESD-Schutz versehen. Jeder Tisch ist mit Elektroanschlüssen, EDV sowie Druckluft und Absaugung ausgestattet. Weitere Möbel wie Schubladenblöcke, Industrieschränke oder Multiwagen ergänzen die Inseln.

Ein Mitarbeiter begleitet ein Werkstück

Innerhalb des U-Aufbaus gibt es für jeden Arbeitsschritt einen eigenen Platz, an dem nur das jeweils nötige Arbeitsmaterial zu finden ist. Gemäß dem Prinzip des One-Piece-Flow begleitet ein Mitarbeiter ein Werkstück durch die verschiedenen Bearbeitungsgänge bis zur Fertigstellung. „Gerade kleine Losgrößen und häufige Variantenwechsel, die ständiges Umrüsten nötig machen würden, sind die idealen Voraussetzungen für die Einrichtung einer One-Piece-Flow-Fertigung, wenn man die Materialversorgung clever strukturiert und alle nötigen Betriebsmittel und Materialien direkt an der Fertigungslinie vorhält. Was die Variantenwechsel angeht, können sich die Umrüstzeiten durch eine One-Piece-Flow-Fertigung deutlich reduzieren und damit auch Lieferzeiten verkürzen – eine gute Voraussetzung, um Marktanteile zu gewinnen“, erläutert Fröleke. Die Arbeitsplätze sind ergonomisch gestaltet. Die Tische sind individuell höhenverstellbar und Werkzeuge und Materialien, die für die einzelnen Arbeitsschritte nötig sind, werden mit der sogenannten MTM-Greifraumschablone angelegt. MTM (Methods-Time-Measurement) ist eine Art Messverfahren für typische Bewegungs- und Zeitabläufe am Arbeitsplatz. Zum einen werden sich wiederholende Arbeitsabläufe zeitlich besser berechenbar und der Arbeitsprozess dadurch planbar, zum anderen können körperliche Belastungen erkannt und durch verbesserte Bewegungsabläufe am Arbeitsplatz minimiert werden. In der Endmontage der Stellantriebe bedeutet das beispielsweise, dass häufig benötigte Teile im direkten Zugriff gelagert sind, während die Teile, die selten vorkommen, außerhalb des optimalen Greifkreises lagern. Leere Behälter werden dann über Rollen durch ein Regal geschoben und von einem anderen Mitarbeiter auf der anderen Seite wieder befüllt. Ein gewohntes Bild in der Elektronikfertigung sind die sogenannten Milkrun-Wagen. Die Aufträge werden im Lager kommissioniert und per Milkrun-Wagen zusammen mit dem Material an bestimmte Bereitstellungsplätze gebracht, auf die die Mitarbeiter Zugriff haben. Gleichzeitig werden erledigte Aufträge auf den Wagen gestellt und in regelmäßigen Abständen abgeholt.

Bild: Treston Deutschland GmbH

Von kundenneutral zu kundenspezifisch

Die Elektrofertigung muss mit einer großen Variantenvielfalt umgehen. Beispielsweise gibt es im Produktbereich der Messkabel bei Lenord+Bauer& Co. mehr als 400 Varianten in unterschiedlichen Ausführungen. „Das ist unsere Stärke“, so Achim Olkner, „auch wenn wir manchmal einen Spagat zwischen Kundenauftrag und der Beschaffung für sehr spezielle Teile hinlegen müssen.“ Die Lösung heißt hier: Vorkonfektionieren, Produktgruppen bilden und den Kundenentkopplungspunkt soweit wie möglich ans Ende der Prozesskette bringen. Etwa 80 Prozent der Aufträge liegen bei Lenord+Bauer & Co im Stückzahlenbereich von 1 bis 20. Je nach Dringlichkeit und Menge können für die Fertigung mehr Mitarbeiter eingesetzt werden. Wenn eine Insel beispielsweise zehn Arbeitsplätze hat, könnte eine Person nacheinander alle Stationen abarbeiten. Bei Bedarf nimmt man mehrere Mitarbeiter hinzu. Bei zehn Tischen mit vier Mitarbeitern kann man somit die Kapazität verdoppeln, indem vier Mitarbeiter dazukommen. Soll noch einmal verdoppelt werden, ist eine zweite Schicht denkbar. So arbeitet die Fertigung bedarfsgerecht, ohne eine Layout-Änderung vornehmen zu müssen.

Produktionskonzept zahlt sich aus

Durch das Produktionskonzept sieht sich Lenord+Bauer & Co. für die Zukunft gut aufgestellt: „Wichtig ist es, ein Gesamtkonzept zu haben. Die Märkte werden immer unüberschaubarer. Da muss ich ein Konzept haben, um schnell auf die Marktanforderungen reagieren zu können. Angefangen damit, wie wir die Halle geplant haben, über die Einrichtung der Arbeitsplätze bis hin zu den geschulten Mitarbeitern“, sagt Achim Olkner.