Cyber-Physical Systems

„Die Revolution mitgestalten“

Die Entwicklung der Fertigung in Richtung der ‚vierten industriellen Revolution‘ verspricht, neue Akzente im Produktionsumfeld zu setzen. Der Begriff beschreibt Entwicklungen, wie das Zusammenspiel von autonomen Systemen und Internet-Technologie, von denen langfristig ein massiver Umbruch für die industrielle Fertigung ausgehen könnte. Anlässlich der Gründung des Forums IT@Automation im Verband deutscher Maschinen- und Anlagenbau geben Rainer Glatz, Geschäftsführer des Fachverbands Software, und Forumsleiter Claus Oetter Einblicke in die Bedeutung dieser Entwicklung für Produktionsprozesse in der Fabrik der Zukunft.

Claus Oetter, Leiter des neu gegründeten Forums IT@Automation. Bild: VDMA

IT&Production: Der Einsatz von ‚Cyber-Physical Systems‘ wird nicht nur in Technologiedebatten als einer der Eckpfeiler der nächsten industriellen Revolution gehandelt – eine gewagte Aussage?

Claus Oetter: Wenn Sie heute in eine moderne Werkhalle schauen, sehen Sie an der technischen und personellen Ausstattung schnell die aktuellen Auswirkungen der steigenden IT-Durchdringung. Schon heute sind die technischen Grundlagen zur Hand, um Fertigungsprozesse hinsichtlich Flexibilisierung, Effizienz und auch ökologischer Problemstellungen umfassend zu unterstützen. Die Adaption dieser Technologien für die Werkhalle ist ein wesentlicher Schlüssel, um etwa Nutzungszeiten und Produktionsprozesse weiterhin zu optimieren. Bei der vierten industriellen Revolution geht es nun darum, eine entsprechende Prozessunterstützung nicht nur bezogen auf eine Fabrik, sondern auch fabrikübergreifend zu verfolgen. Dieser Ansatz betrifft die komplette Produktion genauso wie einzelne Maschinen oder Bauteile. Der Weg führt hin zu einer dezentralen Intelligenz von Produkten und Anlagen. Smarte Produkte, die selbst kommunizieren können, leisten dazu einen wesentlichen Beitrag. Wenn etwa eine Karosserie auf dem Weg durch die Werkhalle per RFID Informationen zur benötigten Konfiguration an die Anlage weitergeben kann, eröffnet das völlig neue Ansätze für flexible Fertigungsprozesse – das Produkt steuert dann die Produktion.

Rainer Glatz, Geschäftsführer des Fachverband Software im VDMA. Bild: VDMA

IT&Production: Welche Auswirkungen erwarten Sie von dieser Entwicklung auf die Gestaltung neuer Produktionsprozesse?

Rainer Glatz: Die Verbindung von physikalischen Systemen und Cyber-Technologie eröffnet sowohl für Geschäftsprozesse als auch Produkte neue technologische Anwendungsfelder. Dieses Zusammenspiel von IT und Automation lässt sich beispielsweise in der Fabrik nutzen, um logistische Prozesse standortübergreifend durch die Verbindung intelligenter Produkte mit dem ‚Internet der Dinge und Dienste‘ abzuwickeln. Gemeint ist hier in der Regel der Einsatz von Internet-Kommunikation und autonom agierender Systeme, bei dem Informationen am Werkstück entstehen und die Daten in einem digitalen ‚Produktgedächtnis‘ mitgeführt und verändert werden können – auch nach dem Verlassen der Werkhalle. Dadurch kann sich das Produkt parallel zu den Datenströmen bewegen. Solche ’smarten‘ Produkte sind eine Voraussetzung für die umfassende Umsetzung einer Smart Factory, was langfristig tiefgreifende Auswirkungen auf Menschen, Prozesse und Organisationsformen haben wird. Das betrifft die gesamte Wertschöpfungskette – und damit den Verbraucher genauso wie den Maschinenbediener. Inzwischen steht uns dazu Technologie aus dem IT-Umfeld zur Verfügung, die wir bisher nicht hatten. Dazu muss aber auch die IT-Branche die Herausforderung annehmen, übergreifende Lösungenund Services zur Verfügung zu stellen, die weit über den Einsatz in einem Werk hinausgehen. In dieser Diskussion gilt es aber zu bedenken, dass wir uns aktuell noch mitten in der ‚Dritten Revolutionen‘ befinden: Unternehmen setzen in der Produktion zwar vermehrt auf IT im Umfeld der Automation, doch die Ausprägung der Systeme fällt von Betrieb zu Betrieb sehr unterschiedlich aus. Genormte Schnittstellen und Architekturen werden daher zum entscheidenden Faktor.

IT&Production: Die breite Umsetzung solcher Konzepte dürfte noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Mit welchen Technologien sollten Betriebe sich schon jetzt auseinandersetzen?

Glatz: Entscheidend für die Unternehmen ist, sich mit den neuen Themenfeldern auseinander zu setzen und Anwendungsfelder mit strategischer Relevanz zu identifizieren. Mit dem Anfang März gegründeten Forum IT@Automation wollen wir unsere Mitglieder dabei aktiv begleiten. Über die Fachverbände Software und Elektrische Automation, die üblicherweise nicht direkt dem Maschinenbau zugerechnet werden, haben wir in den letzten Jahren die erforderlichen Technologiepartner in den VDMA integriert. Jetzt gilt es, die verfügbaren Kompetenzen fachverbandsübergreifend zu bündeln und die vierte industrielle Revolution aktiv mitzugestalten. Auch in den Unternehmen müssen entsprechende Strukturen und Prozesse zu Verbesserung der technologie- und disziplinübergreifen Zusammenarbeit geschaffen werden.

IT&Production: Das Thema wirft neben technologischen und strategischen Fragen auch die nach dem Aufbau der passenden Kompentenzen im Unternehmen auf …

Oetter: Gerade im Bereich Aus- und Weiterbildung wird sich in dieser Hinsicht einiges tun; vorzugsweise kommen hier Vorgehensmodelle aus der Informatik und Prozesswissen zusammen. Während der Ausbildung und an Hochschulen muss Fachkräften beigebracht werden, das Gefühl für eine Gesamtlösung zu entwickeln und nicht mehr in getrennten Disziplinen wie Informatik oder Elektrotechnik zu denken. Dabei geht es nicht mehr ’nur‘ um Wissen aus IT und Produktion. Für das Beherrschen komplexer Systeme, die ebenen- und unternehmensübergreifend arbeiten, muss auch in der Qualifizierung die Kluft zwischen virtueller Welt und realer Produktionswelt überbrückt werden. Das gilt auch für die Aus- und Weiterbildung in den Werken: Mitarbeiter müssen in die Lage versetzt werden, Prozesse und ihre Auswirkungen umfassend zu verstehen und neue Zusammenhänge schnell zu erfassen. Ein erstes Beispiel für diese Herangehensweise liefert der Beruf Mechatroniker – auch dafür mussten zuerst verschiedene Disziplinen zusammen wachsen.

IT&Production: Wie sieht der aktuelle Forschungsstand aus – mit welcher Zeitspanne rechnen Sie, bis erste Anwendungen in den Werkhallen ankommen?

Glatz: Insgesamt steckt großes Potenzial in dem Thema, auch um Herausforderungen durch globale Megatrends wie die demografische Entwicklung, Ressourcenverknappung oder zunehmende Globalisierung der Wirtschaft besser bewältigen zu können. Bereits durchgeführte oder aktuell laufende Forschungsprojekte, geben erste Einblicke, wie die Fabriken der Zukunft aussehen. Die Ende des Jahres 2011 veröffentlichte Ausschreibung des Bundesministerium für Bildung und Forschung zur intelligenten Vernetzung in der Produktion wird die Forschung auf diesem Gebiet weiterbringen. Wir sprechen hier aber von einem mittel- bis langfristigen Zeithorizont von mindestens fünf bis zehn Jahren, bevor sich erste Ansätze in der Breite durchsetzen – ein so umfassendes Potenzial lässt sich nicht über Nacht erschließen. Für die Akzeptanz wird es entscheidend darauf ankommen, das Thema ganzheitlich anzugehen und Fragen zur Sicherheit, Wirtschaftlichkeit aber auch die Rolle und Einbinden des Menschen von vorherein zu berücksichtigen. (mec)

 

IT@Automation: Integration im Fokus

Bild: VDMA

Um Unternehmen des Maschinen- und Anlagenbaus bei der Bewältigung aktueller und kommender technologischer Herausforderungen zu unterstützen, hat der Verband deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) am 12. März 2012 das Forum ‚IT@Automation‘ ins Leben gerufen. Die Plattform soll die Auswirkungen übergreifender Trends in Software, Informationstechnologie und Automatisierungstechnik für Industrieunternehmen über Fachverbandsgrenzen hinweg adressieren. Dabei will das Gremium als Ansprechpartner und Interessenvertretung unter anderem Entwicklungen wie die rasant steigende Bedeutung von IT-Themen in der Automation sowie die Verkürzung von Entwicklungszyklen neuer IT-Technologien im Automationsumfeld aufgreifen. Neben der Adaption und Industrialisierung neuer Technologien für Produktion und Automatisierung gilt es dabei nach Verbandsangaben auch, Herausforderungen abseits der technologischen Entwicklung zu fokussieren – beispielsweise deren Auswirkungen auf neue Berufe und Ausbildungswege. Dazu will die Organisation die Nähe der Fachverbände Software und Elektrische Automation nutzen, um entsprechende Themen interdisziplinär voranzutreiben. Beide Fachverbände haben zusammen über 400 Mitglieder und stellen damit mehr als zehn Prozent der VDMA-Mitgliedsfirmen. Zu den Mitgliedern des Lenkungskreises des Forums zählen Ulrich Balbach von Leuze Electronic, Volker Bibelhausen von Phoenix Contact, Herbert Wegmann von der Siemens AG, Winfried Hils von Homag, Harald Preiml von Heitec sowie Matthias Munk, Trumpf Werkzeugmaschinen. Die Leitung hat Claus Oetter, stellvertretender Geschäftsführer des VDMA-Fachverbandes Software, inne.







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