CAD/CAM-Prozesse

Holzmöbel computergestützt konstruieren und fertigen

Seit seiner Erfindung einer schnellen, stufenlosen Höhenverstellung für Drehstühle im Jahr 1910 entwickelt die Girsberger AG neuartige, oft bahnbrechende Lösungen rund um das Thema Sitzen. 1889 in Zürich als Drechslerei gegründet, erzeugt der Möbelhersteller innovative Sitzmöbel und Tische mit hoher Ergonomie, Belastbarkeit und Langlebigkeit für Büros und Esszimmer. Für die computergestützte Konstruktion verwendet das Unternehmen ein Softwarepaket von Siemens PLM Software.



Bild: Girsberger Holding AG.

„Wir schaffen die Klassiker von morgen, indem wir anspruchsvolles, originäres Design und Funktionalität mit hohem praktischem Nutzen verbinden“, sagt Michael Girsberger, der die Firmengruppe mit Hauptsitz in der Schweiz und Standorten in der Europäischen Union und der Türkei in der vierten Generation führt. „Dazu braucht es neben absoluter Materialehrlichkeit eine präzise Fertigung in handwerklicher Tradition.“ Ein Beispiel dafür ist der mit mehreren Designpreisen ausgezeichnete G 125. Anlässlich des 125-jährigen Firmenjubiläums auf den Markt gebracht, versteht sich das Modell als Neuinterpretation des traditionellen Holzdrehstuhles. Als Gegenentwurf zu vielen Drehstühlen, deren Funktionalität und Optionen laufend erweitert werden, die aber immer weniger unsere Sinne ansprechen, bietet der Stuhl nur wenige Funktionen und Verstellmöglichkeiten. Auf einem Fußkreuz aus Holz oder einem Rollenlaufwerk aus Stahl rotiert ein U-förmiger Sitz- und Lehnenträger. Dieser ermöglicht ganz ohne aufwendige Neigemechanik als flexibler Torsionsstab eine komfortabel wippende Bewegung des Oberteiles. Der Sitz besteht aus einem gepolsterten Sitzbrett oder einem Formholzring mit transparenter Netzbespannung, dampfgebogenes Massivholz bildet die Lehne.

Software für Produkt- und Projektentwicklung

Konstruiert haben die Entwicklungsingenieure bei Girsberger den G 125 ausgehend von den Entwürfen des Industriedesigners Mathias Seiler. Für die computergestützte Konstruktion (Computer Aided Design) verwendet das Unternehmen bereits seit vielen Jahren das Softwarepaket NXTM des Produktlebenszyklus-Softwareanbieters Siemens PLM Software. Diese Software dient sowohl zur Schaffung neuer Produkte als auch zur Planung kundenspezifischer Gesamtmöblierungsprojekte. Zusätzlich wird die Software für die Konstruktion von Spannvorrichtungen verwendet. Dort herrscht ein hoher Zeitdruck. Im Gegensatz zur Grundentwicklung stehen für die Planung in diesem Bereich meist nur wenige Tage zur Verfügung. „Die Planung erfolgt üblicherweise in enger Zusammenarbeit mit Architekten, die ihre Entwürfe unter Verwendung anderer Softwarewerkzeuge erstellen“, berichtet Alfred Schaad, Projektleiter Arbeitsvorbereitung Girsberger. „Hier bewährt sich die Synchronous Technology, da NX uns das Importieren von Geometriedaten unabhängig von deren Herkunft und Datenqualität ermöglicht.“ „Synchronous Technology ist auch bei der Weiterverwendung von Konstruktionen aus dem eigenen Haus wertvoll“, ergänzt Simon von Gunten, Stellvertretende Leitung Holzfertigung bei Girsberger. „Diese Funktionalität innerhalb der CAD-Software verkürzt wesentlich das Durchführen produktionsorientierter Anpassungen.“ Die Ingenieure in der Girsberger-Produktentwicklung nutzen NX nicht nur zur Erstellung ihrer Entwürfe. Mittels der Software NX Nastran überprüfen sie auch mit der Finite Elemente Methode (FEM) die Festigkeitseigenschaften von Bauteilen. Bisher erstrecken sich diese Überprüfungen allerdings noch nicht auf Holzteile, denn diese sind wegen ihrer nicht-homogenen Werkstoffeigenschaften nur sehr eingeschränkt berechenbar. Ein hoch spezialisiertes Partnerunternehmen erzeugt die Rohlinge für die Rückenlehne, indem es sie im Bugholzverfahren mit Dampfdruck weichkocht und in manuell betätigten Biegevorrichtungen formt. Davon abgesehen, produziert Girsberger den Stuhl beinahe zur Gänze in der Manufaktur am Hauptstandort. Viele Arbeitsschritte werden bis heute in reiner Handarbeit ausgeführt. Seit 2007 verfügt Girsberger jedoch über ein CNC-Bearbeitungszentrum eines deutschen Herstellers. Die Größe der Portalanlage reicht aus, um Werkstücke – etwa Tischplatten – bis 6×1,5×0,3 Meter zu bearbeiten. Dazu ist die Anlage mit zwei voneinander unabhängigen Aufspanntischen versehen. Zudem verfügt es über zwei getrennte Bearbeitungseinheiten zur vier- beziehungsweise fünfachs­igen Werkstückbearbeitung. Diese greifen auf einen gemeinsamen Werkzeugwechsler zu und führen alle erforderlichen Bearbeitungsschritte aus, vom Sägen bis zu unterschiedlichen Fräsbearbeitungen. Auf dieser Maschine erhält die Rückenlehne ihre endgültige Form. Sie verliert dabei etwa drei Viertel ihres Volumens.

Holzbearbeitung mit NX CAM programmiert

„Die Form der Teile, die wir auf diesem Bearbeitungszentrum fertigen, ist oft sehr komplex“, sagt Schaad. „Sie weist neben zahlreichen Bohrungen und Taschen viele Kurven und Freiformflächen auf. Das legt eine Erstellung der Maschinenprogrammierung auf Basis der Geometriedaten aus NX nahe.“ Allerdings ist die CNC-Steuerung der Maschine als proprietäre Eigenentwicklung ihres Herstellers nicht mit gängigen Steuerungen von Fräsbearbeitungszentren für die Zerspanung von Metall oder Kunststoff kompatibel. Daher gibt es für diese Werkzeugmaschine weder passende Postprozessor-Programme noch eine Maschinenraumsimulation. Für eine computerunterstützte Fertigung (Computer Aided Manufacturing) mussten erst die Voraussetzungen geschaffen werden.

Postprozessor für exotische Steuerung

Janus Engineering ist ein Partner von Siemens PLM Software für die Optimierung und Automatisierung der CAD/CAM/ PLM-Prozesskette mit deren Software NX CAM und Teamcenter. Die Spezialisten unterstützten Girsberger bei dieser Automatisierungsaufgabe, indem sie einen Postprozessor schufen. Dieser erlaubt das automatisierte Erstellen von sehr effizientem Code für das CNC-Bearbeitungszentrum auf Basis der Geometriedaten aus NX. Dabei mussten Eigenheiten der Maschine berücksichtigt werden. So werden manche drehenden Maschinenteile per Kabel mit Strom versorgt statt mit Schleifring. Diese Einschränkung der Bewegungsfreiheit muss der CAM-Software bekannt gemacht werden. Die Spezialisten von Janus Engineering kamen ohne Eingriffe in die eigentliche Software aus, sodass ihre Programme Update-tauglich sind. Für das Holzbearbeitungszentrum war kein vollständiges 3D-Modell vorhanden. „Um die Holzteile-Bearbeitung unabhängig von der Maschine am digitalen Zwilling simulieren und optimieren zu können, haben wir die Maschine komplett mit NX nachgebildet“, sagt von Gunten, der als erfahrener Programmierer zeitgleich mit dem Bearbeitungszentrum ins Haus kam. „Somit sparen wir Belegungszeit der Maschine und vermeiden Kollisionen.“ Da die Bearbeitungszeiten in der Holzbearbeitung im Vergleich mit der Metallzerspanung sehr kurz sind, wurde der Aufwand für die Visualisierung an der Maschine selbst nicht so weit getrieben, wie man das von modernen Metall- Werkzeugmaschinen kennt. Obwohl Mechanik und Steuerung der Maschine dafür geeignet sind, war es zuvor nicht möglich, mehrachsige Simultanbearbeitungen von Freiformteilen zu programmieren. „Erst die CAM-Implementierung unter Verwendung von NX hat uns in die Lage versetzt, die komplexen und gleichzeitigen Achsbewegungen und Bearbeitungsmuster zu programmieren, die für die Herstellung der Lehne unseres G 125 erforderlich sind“, bestätigt von Gunten. „Dass wir nun alle Möglichkeiten des Bearbeitungszentrums ausschöpfen können, reduziert wesentlich die produktionsbedingten Beschränkungen für unsere Möbeldesigner.“ Und liefert damit einen wesentlichen Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit von Girsberger, denn das nutzerorientierte, ergonomische Design seiner Produkte ist ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal im harten Wettbewerb mit Großserienherstellern. Wesentlich zur Effizienz von Entwicklung und Produktion von Möbeln und individuellen Möblierungslösungen bei Girsberger trägt das Produktlebenszyklus- Datenmanagement (PLM) bei. Der Schweizer Möbelhersteller nutzt seit einigen Jahren die Software Teamcenter zur Verwaltung aller Konstruktions- und Programmdaten aus NX sowie von produkt- oder projektrelevanten Dokumenten aus anderen Quellen. „Die Verwaltung aller konstruktions- und fertigungsrelevanten Daten mit Teamcenter erspart uns Abstimmungsaufwand, Doppelgleisigkeiten und Irrtümer“, sagt Schaad. „Außerdem erleichtert es die Wiederverwendung existierender Entwürfe und fördert so die effiziente Entwicklung und Produktion stark individualisierter Produkte und Projekte.“