Bordnetz-Konstruktion

Brückenschlag für Qualität

Vertreter aus dem Automotive-Bereich haben sich getroffen, um über Entwicklung und Fertigung von Fahrzeug-Bordnetzen zu diskutieren. Während der Veranstaltung stellten die Autobauer ihre Ansätze vor, um mit der steigenden Komplexität dieser Aufgabe umzugehen.

Bild: Aucotec AG

Die Komplexität von Bordnetzen ist sowohl in PKW als auch in Nutzfahrzeugen enorm gewachsen. Diese Entwicklung wird wohl auch zukünftig so weitergehen. Die Planer solcher Netze haben sich auf Einladung des Engineering-Systemhauses Aucotec mit den Fertigern zu einem Erfahrungsaustausch im Audi Konferenz Center getroffen. Reinhard Prechler, Leiter Bordnetze, EMV und Antennen bei der Audi AG, gab einen Einblick in seine Vorstellung vom Bordnetz der Zukunft. „Bordnetze sind das Fundament für stabile und zuverlässige E-Technik im Automobil, aber sie sind auch ein sehr heterogenes Gebilde“, erklärte er. Neben der steigenden Zahl von Modell-Derivaten beinhaltet der kundenspezifische Kabelstrang (KSK) eine gigantische Variantenvielfalt, die die Bordnetzplaner im Griff haben müssen. Rund 23 Kilogramm wiegt so ein KSK samt Steckgehäusen, Kabelkanälen und anderem Zubehör. „Die Leitungen anpacken heißt Gewicht reduzieren und damit auch CO2 sparen“, sagte Prechler. Aus über 5.500 Einzelteilen im Komponenten-Baukasten würden je KSK circa 4.000 verwendet. Außerdem müssten bis zu drei Spannungsebenen berücksichtigt werden.

Elektrisch getriebene Innovationen

Da Innovationen heute in der Regel elektrisch getrieben sind, wird die Komplexität der Systeme weiter zunehmen. „Dazu werden wir Prozesse und Methoden besser vernetzen – nicht nur über das Tooling, auch über die Köpfe der Menschen“, sagte der Manager. Die Anfänge zur weiteren Verbesserung der Qualität des Bordnetzentwicklungsprozesses sind laut Prechler gemacht. Heute beauftrage Audis E/E-Entwicklung nur noch fünf verschiedene Firmen statt wie früher 30. Das bedeute mehr Überblick, längerfristige Aufträge und mehr Planungssicherheit für die Consulter. Prechler betonte auch die Notwendigkeit einer intensiveren Zusammenarbeit zwischen OEM, Zulieferern und externen Dienstleistern. „Auch für uns sind Gewichtsreduzierung und Raumoptimierung wichtige Ziele“, sagte Herbert Schäfer, Leiter Entwicklung Electric/Electronic Systems Bus & Coach-Body bei MAN Trucks & Buses. 6,8 Kilometer Bordnetz mit rund 160 Kilogramm sind eine gewichtige Herausforderung. Laut Schäfer müssen die Planer allein für die aktuell 50 Bustypen 45.000 technische Module und 90.000 Sachnummern handhaben. Jährlich kommen rund 40.000 Nummern dazu, etwa die Hälfte davon aufgrund von Sonderwünschen der Kunden.

Der Projektdruck ist enorm: Ab Auftrag seien zwölf Tage Zeit, um alle für den Sonderwunsch nötigen Bus-Komponenten zu entwickeln. Bei MAN bestimmt der Kunde zum Teil sogar die Schalterplatzierung, nur sehr wenig ist vorgegeben. Das bedeutet enormen Aufwand auch für die Bordnetzplaner. Der hohe Individualitätsgrad der Busprojekte brachte eine enorme Kabelstrang-Vielfalt mit sich. Hier hat die Einführung des im VW-Konzern gängigen KSK eine deutliche Reduzierung gebracht. Von 1.100 Kabelsträngen je Fahrzeugtyp auf etwa 300. Pro Auftrag verringerte sich die Menge von rund 180 auf circa 70, wodurch auch Schutzmaterial und Trennstellen eingespart werden konnten. „Ohne den KSK hatten wir mit vielen ‚kleinen‘ Kabelsträngen und Trennstellen keinen guten Überblick über die Zusammenhänge. Mit dem KSK ist bei Änderungen die Zuordnung der Kabelmodule zum Strang viel leichter nachvollziehbar“, sagte Herbert Schäfer. „Bei dieser Vorgehensweise ist eine sehr hohe Dokumentationsdisziplin notwendig. Die zentrale Verwaltung muss Herr der Modulvielfalt sein!“ Außerdem fordere der Wechsel zum KSK die Planer bei Änderungen des Montageauftrags nach der Konfektionärs-Beauftragung besonders heraus, sagte Herbert Schäfer. Dass nachträgliche Auftragsänderungen bei größeren Einheiten die Produktion mehr belasten als bei kleinen, ist ihm dabei ebenso bewusst wie das enorme Gewicht dieses kombinierten Leitungsstrangs. Dennoch sieht MAN klare Vorteile in der Verwendung des KSK.

„Wir müssen in Fertigungsmodulen denken“

Die Sicht der Kabelbaum-Hersteller machte Lothar Schilling von der PKC Segu Systemelektrik GmbH deutlich. Der technische Leiter für Deutschland bei der finnischen PKC Group zeigte auf, dass bei der Planung der Bordnetze durch die OEMs die fertigungstechnischen Gesichtspunkte kaum berücksichtigt werden. „Die Zeichnungen, Stücklisten und Funktionsmodule, die wir bekommen, sind immer Kundenunterlagen. Aber wir müssen in Fertigungsmodulen denken“, sagte Schilling. Heute würden diese Unterlagen zunächst analysiert, um dann Arbeitsschritte festzulegen, den Abläng- und Crimpplan und anschließend die Montagebrett-Zeichnung sowie den Prüfplan zu erstellen. Von Herstellerseite erforderliche Änderungen würden durch die OEM-geprägten Daten oft erst in der realen Fertigung bemerkt. Dann muss alles zurück an den OEM, nach dessen Anpassungen PKC von neuem ablängen, crimpen und stecken muss.

Daher ist für Lothar Schilling klar: Um gleichzeitig die individuellen Kundenwünsche und die Erfordernis der Kostenreduktion erfüllen zu können, bedarf es kürzerer Übergangsprozesse bei Neuentwicklungen und eines hochtransparenten Änderungsmanagements, also einer besseren Kommunikation von OEM bis Fertiger. Eine hohe Informationsqualität und Flexibilität sind nach Lothar Schillings Ansicht hierfür die wichtigsten Voraussetzungen. „Es gibt toolgestützt deutliche Optimierungsmöglichkeiten, die uns nicht nur Zeit, sondern auch Material sparen. Die Kupferpreise steigen weiter“, sagte er. Im Gegensatz zu den MAN-Erfahrungen bedeutet der KSK für die Fertiger viel weniger Routinearbeit mit höheren Anforderungen an Logistik und Planung. Hier sei eine sichere und schnelle Erfassung der nötigen Informationen erforderlich, um Kunden- und spätere Zusatzwünsche effizient umsetzen zu können. Auch die Integration aller Beteiligten in diese Prozesse sieht Schilling als wichtige Verbesserung.

Jederzeit alle Informationen

Aucotec-Produktmanager Reinhard Knapp stellte mit der datenbankbasierten Plattform Engineering Base eine Lösungsmöglichkeit vor, die Schnittstellen und IT-Administration sparen soll, Informationen, Änderungen und Beziehungen für jeden Beteiligten zu jeder Zeit bereithält und die Modellqualität berechenbar macht, sodass Kontrollen schon in der Planung greifen. Knapp zeigte außerdem, dass das System den Fertigern die Möglichkeit bietet, die Daten der OEMs in ihr eigenes Modulkonzept zu überführen. Auch eine standortabhängige Kalkulation erlaube die Plattform. Denn die OEMs lassen ihre Kabelbäume zur Kostenoptimierung oft in fernen Ländern fertigen.

Gemeinsames Datenmodell

Redner und Gäste tauschten sich angeregt über die Standardisierungsmöglichkeiten so eines gemeinsamen Datenmodells aus und auch über das verbesserte Änderungsmanagement, das eine gemeinsame Datenbank mit sich bringt. „Uns könnte theoretisch egal sein, wie die Fertiger klarkommen, aber mit unserem Fokus auf Qualität sehen wir, dass es den Bordnetzen sehr zugutekommt, wenn die Daten durchgängig und fertigungsrelevant beim Hersteller landen, ohne fehleranfällige und verzögernde Handarbeit“, sagte ein Mitarbeiter eines Sportwagen-Herstellers. Und ein Zuhörer aus dem Nutzfahrzeug-Bereich sagte: „Im Vergleich zu den PKW-OEMs liegen wir in den Methoden Jahre zurück. Für uns ist es aber ebenso wichtig, einen besseren Überblick über die gewachsene Komplexität zu haben, das Bewusstsein dafür ist jetzt da.“ Schließlich brachte ein Teilnehmer, der Engineering-Dienstleistungen sowohl für Fahrzeug- als auch für Bordnetz-Hersteller anbietet, die Diskussionen auf den Punkt: „Heute habe ich gesehen, wie sich effizient eine Brücke zwischen beiden Seiten schlagen lässt.