Bestandsoptimierung:

Das richtige Maß finden

Bestände sind ein zweischneidiges Schwert: Eine Materialbevorratung, die für das eine Unternehmen gut und notwendig ist, verursacht dem anderen Bauchschmerzen. Daher gibt es keine Faustregel für eine optimale Bestandsgröße. Software, die nach der Engpasstheorie oder ‚Theory of Constraints‘ arbeitet, dient dazu, die Bestände im Betrieb an schwankende Markterfordernisse anszupassen. Im engen Zusammenspiel mit dem Geschäftssystem können solche Lösungen helfen, Lieferbereitschaft und damit Kundenzufriedenheit auf hohem Niveau zu halten.

Bild: Fotolia – Kadmy

In den 1990er Jahren, als sich das Lean-Management etablierte, geriet die Lagerhaltung ins Visier des Controllings. Denn das Unterhalten von Lagern und Logistikprozessen hat einen Nachteil: Ihre Bestände sind teuer im Unterhalt. Fortan wurden die Warenbestände vielerorts als Kostentreiber identifiziert und als solche fast schon geächtet. Die Just-in-time-Fertigung kam auf, nur keine Lagerhaltung mehr, hieß fortan die Devise. Bei manchen Unternehmen reichen auch heute noch die Bestände nicht länger als eine Woche, wenn überhaupt.

Eine Frage der Wiederbeschaffungszeit

Um die Frage nach der Sinnhaftigkeit dieses Vorgehens zu beantworten, muss erst eine andere gestellt werden. Wann benötigen Unternehmen überhaupt Bestände? Die Antwort lautet: Bestände werden im Betrieb benötigt, wenn die interne Wiederbeschaffungszeit – also die Zeit, die es braucht, um ein Produkt unter Berücksichtigung des vorhandenen Auftragsbestandes nachzuproduzieren – länger ist, als die Vorgabe des Kunden. Anders formuliert: Wenn sich ansonsten die mit den Kunden vereinbarten Liefertermine nicht halten lassen. Das betrifft grundsätzlich alle Unternehmen. Doch nicht alle Produzenten müssen diesem Sachverhalt im gleichen Maß Rechnung tragen.

Probleme treten häufig in Unternehmen mit starren Produktionssystemen, langen Rüst- und Durchlaufzeiten, oder bei solchen, für die Bestände günstiger kommen als der Aufbau zusätzlicher Kapazitäten, auf. Denn Bestände sind im Prinzip nichts anderes als gespeicherte Kapazität. Sie sind demzufolge nützlich und notwendig. Möchte ein Unternehmen weniger davon haben, muss es Kapazität vorhalten, um seine Produkte kurzfristig herstellen zu können. Doch des geht technologisch nicht immer. Auch die optimale Größe von Bestandsmengen zu berechnen, stellt viele Unternehmen noch vor große Herausforderungen. Viele Unternehmen können den Spagat zwischen Lagerhaltungskosten und Verfügbarkeit nur durch Überproduktionen lösen, die sie anlegen, wenn die Auftragslage normal und planbar ist.

Schnelle Reaktion auf Nachfrageschwankungen

Doch die Marktlage kann sich schnell ändern, und Schwankungen in der Nachfrage verursachen. Dazu zählt das Eintreten von Nachfragesprüngen genauso wie ein außerplanmäßiger Großauftrag. Solche Veränderungen erfordern seitens der Hersteller eine schnelle Reaktionszeit. Die ist aber nur möglich, wenn die Unternehmen erstens alle Material- und Warenbewegungen grundsätzlich im Blick haben und zweitens ihre Bestände dann auch dynamisch anpassen können. Spätestens jetzt greift der Disponent neben dem Enterprise Resource Planning-System (ERP) auf zusätzliche IT-Anwendungen zurück, die für die notwendige Transparenz sorgen und die Unternehmenslogik sichtbar machen. Nur so lassen sich bei den heute vielfach komplexen und variantenreichen Produkten sowie den vorherrschenden kurzen Orderzyklen die Abläufe optimieren sowie Überproduktionen wie auch Engpässe vermeiden.

‚Zu groß‘ ist genauso schlecht wie ‚zu klein‘

Engpässe wie auch Überproduktionen sind ein Übel. Sie kosten Geld und binden Kapital. Ein Disponent tut also gut daran, diese Ausprägungen seiner Arbeit zu vermeiden, wobei ein Engpass noch schwerer wiegt als eine Überproduktion, da dieser den Kunden unmittelbar betrifft und eine verspätete Lieferung zur Auftragsstornierung oder zumindest zu Unzufriedenheit führen kann. Engpässe können aus unterschiedlichen Gründen entstehen. Die Engpasstheorie oder ‚Theory of Constraint‘ TOC beschreibt neben fehlenden Maschinen auch unterbesetzte Teams, mangelnde Fähigkeiten oder falsche Zielvorgaben als mögliche Ursachen von zu niedriger Lieferfähigkeit. Ein Beispiel: Der Einkauf einer Firma hat ein wesentliches Bauteil für Produkt A zu spät bestellt. Verantwortlich dafür ist eine zu lange interne Bestellzeit oder ‚Order Lead Time‘. Die Produktion kann daher nicht wie geplant in der 34. Kalenderwoche beginnen, sondern erst drei Wochen später.

Um den zeitlichen Verzug auszugleichen, muss die Fertigung zwei Wochenendschichten einlegen, was unter den dortigen Mitarbeitern Unmut auslöst und insgesamt Unruhe in die Belegschaft bringt. Hinzu kommt ein wirtschaftlicher Schaden. Denn durch Schichtzulagen und höhere Kosten für den Expressversand der eilig nachbestellten Teile, reduziert sich die Marge. Hinzu kommen die Auswirkungen einer einer Herabstufung der Kundenzufriedenheitsbewertung durch den Abnehmer von A auf B, da der vereinbarte Liefertermin in Folge der Probleme nicht zu halten war. Solche Engpässe lassen sich besser abfangen, wenn an das ERP- und Lagerwirtschaftssystem des Unternehmens eine TOC-Anwendung angebunden wird, welche die Dringlichkeit der Bestellvorgänge berücksichtig und durch auf Algorithmen beruhenden Berechnungen die Order Lead Time auf einen Tag reduzieren kann – über die komplette Lieferkette oder ‚Supply Chain‘ hinweg.

Gezielte Priorisierung der Bestellvorgänge

Werden Bestellvorgänge rechtzeitig durch die Reduzierung der Order Lead Time angestoßen, ist die interne Wiederbeschaffungszeit entsprechend kurz. Voraussetzung dafür ist, dass der Disponent Bestellvorschläge, die ihm das ERP-System liefert, zeitnah freigibt. Und hier kommen die TOC-Anwendungen ins Spiel. ‚Gefüttert‘ mit Daten aus dem ERP- und dem Lagerwirtschaftssystem hinsichtlich der Lagerbestände, Produktions- oder Vertriebsaufträge, priorisieren diese IT-Systeme die damit verbundenen Bestellvorschläge. Darüber hinaus errechnt die Software die Wiederbeschaffungszeiten von Teilen oder Rohmaterialien. Um eine gleichmäßige Auslastung der IT-Infrstruktur zu unterstützen, werden diese Berechnungen bevorzugt nachts durchgeführt. Der Disponent sieht am nächsten Morgen beispielsweise, welche Bestellungen er umgehend freizugeben hat, damit alles nach Plan verläuft. Tut er dies nicht, muss er das begründen.

Optimale Bestandsführung durch Zusammenspiel

Im Zusammenspiel mit dem ERP-System gleichen TOC-Anwendungen also Bestände, Aufträge, Bestellungen, Fertigung miteinander ab. Sie sorgen für eine möglichst optimale Bestandsführung, indem sie Bestände dynamisch vergrößern und verkleinern. Die Systeme erlauben Engpassbetrachtungen, prüfen Wiederbeschaffungszeiten und können diese permanent anpassen. Sie ermitteln, ob es sinnvoller ist, auftragsbezogene Produkte lieber zu lagern oder Lagerware künftig eher auftragsbezogen zu beschaffen. Dadurch sind Unternehmen in der Lage, notwendige Verbesserungs- und Investitionsmaßnahmen vorzunehmen und ursprünglich festgelegte Dispositionsparameter besser an jeweils aktuelle Auftragslagen und Marktentwicklungen anzupassen. Mit einer solch integrierten Warenwirtschaft können Abnehmer mit einer termingerechten Lieferung rechnen, auch wenn Hersteller ihre Bestände klein halten oder bei steigendem Bedarf die Produktion kurzfristig erhöhen müssen.

 

Order Lead Time

Die Order Lead Time ist die Dauer, die von der Entnahme eines Fertigteiles bis zum Auslösen des Dispositionsvorschlags benötigt wird. Je kürzer dieser Zeitraum ist, desto weniger Bestände benötigen Unternehmen in der Linie. Klassische Dispositionsmethoden nach MRP II oder Kanban reduzieren die Order Lead Time nicht. Theory of Constraints-Anwendungen (TOC) hingegen haben die Order Lead Time als Fokus, was die Bestände drastisch reduziert kann – bei gleichzeitiger Erhöhung der Verfügbarkeit.







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