Automobil-Zulieferer

Unterwegs zur Industrie 4.0

Moderne Produktionsabläufe sowie ein transparenter und nahtloser Datenfluss sind für Alligator wichtig, um höchste Qualitätsstandards einzuhalten. Als Hersteller für Ventile für die Automobilindustrie sind für das Unternehmen zuverlässige Prüfungen und Kontrollen der Endprodukte deshalb Pflicht. Der Automotive-Zulieferer hat vollautomatisierte, sich selbst steuernde Abläufe im Sinne von Industrie 4.0 realisiert.



Bild: Top Flow GmbH

Mit den Marken Alligator, EHA, Stomil und Sens.it bietet Alligator ein komplettes Programm an Reifenventilen, Ersatzteilen und Zubehör aus einer Hand. Dazu zählen Restdruckhalteventile als Sicherheitsbauteile in modernen Luxusfahrzeugen, Komponenten für Reifendrucküberwachungssysteme, Spezialventile für die Entlüftung von Formen zur Reifenherstellung oder Speziallösungen für Kunden im allgemeinen Maschinenbau. Weltweit beliefert das Familienunternehmen mit Stammsitz in Giengen an der Brenz über 1.000 Kunden, darunter zahlreiche renommierte Automobil- und Nutzfahrzeughersteller, den Autoteile-Großhandel, Werkstätten und die Industrie. Eine Aufgabe mit Herausforderung: Denn die Firma produziert mit Ventilen ein direkt sicherheitsrelevantes Bauteil am Fahrzeug. Um höchste Qualitätsstandards sicherzustellen, werden nicht erst die Endprodukte, sondern bereits vorgelagert alle damit verbundenen Produktionsschritte einem stringenten Qualitätsprozess unterzogen.

Führendes System

Bereits 2013 entschied sich das Unternehmen in einem ersten Schritt, seine heterogene IT-Landschaft weltweit auf ein zentrales SAP-System umzustellen. Neben der integrierten Abwicklung sämtlicher Geschäftsprozesse in einem ERP-System, sollten aber auch entscheidende Dinge in der Produktion voran gebracht werden: Fehler in der Produktion ausschließen, Prozesse automatisieren und die Fertigungsqualität auf ein Maximum steigern. „Insbesondere in der Produktion waren die Abläufe nicht transparent dargestellt.“, sagt Hans-Jürgen Müller, IT-Leiter der Steiff-Gruppe, zu der Alligator gehört. „Uns lagen nicht ausreichend systemgestützte Daten vor. Unsere Grundlage bildeten bis dahin häufig Daten in Papierform, die manuell in Excel übertragen und dort gepflegt und verwaltet werden mussten.“

Transparente Prozesse

Das Ziel einer transparenten Fertigung – Produktionsdaten in Echtzeit sowie eine Übersicht über einzelne Aufträge und Schichtbelegungen inklusive – war allerdings mit der bloßen Umstellung auf das ERP-System kaum zu erreichen. „Wir haben uns deshalb dafür entschieden, das neu eingeführte ERP-System um ein Manufacturing Execution System zu erweitern“, sagt Hans-Jürgen Müller. Die Unternehmens-Gruppe entschied sich für das Produkt Top MES. Die SAP Add-on-Lösung erweitert den Standard-Funktionsumfang von SAP ERP um transparente Produktionsprozesse und lässt sich ohne Schnittstellen voll in die zentrale ERP-Infrastruktur integrieren. Mit dem MES vom Software-Unternehmen Top Flow hat der Automobilzulieferer eine Lösung gefunden, um seine Produktionsabläufe zu modernisieren und das Qualitätsmanagement auf eine neue Ebene zu heben. Die Umstellung des bisherigen ERP-Systems sowie die Einführung der MES-Lösung erfolgte Anfang 2014. Seither erfasst Alligator mit der Add-on-Lösung Betriebs- und Maschinendaten. Die so gewonnenen Informationen stehen zur Analyse im Overall Equipment Effectiveness-Cockpit zur Verfügung. Das MES liefert die Produktionsdaten in Echtzeit und bildet die Abläufe in der Fertigung nahtlos und detailliert im ERP-System ab. „Auf diese Weise konnten wir unsere Produktion optimieren und deren Effizienz durch transparente Datenflüsse erhöhen“, so Manfred Wiedenmann, Projektleiter bei Alligator. Indem das MES sämtliche Daten zu Fertigungsaufträgen, Materialien und Stückzahlen ohne Schnittstellen und Subsysteme direkt aus dem ERP-System bezieht und den Fertigungsfortschritt in dieses zurückschreibt, profitiert der Hersteller darüber hinaus von einer verlässlichen Grundlage für Kalkulationen. Diese ist ein wichtiger Erfolgsfaktor dafür, dass sich das Unternehmen gegen den starken Wettbewerb aus Fernost behaupten kann.

Nahtlose Anbindung

Der Automobil-Zulieferer wäre aber nicht seit über 95 Jahren am Markt, wenn er seine Produkte, den Herstellungsprozess und die damit verbundene Infrastruktur nicht einer kontinuierlichen Überprüfung und Verbesserung unterziehen würde. Nachdem sich die Systeme im deutschen Werk in Giengen bewährt hatten, wurden diese auch in Polen ausgerollt. „Darüber hinaus haben wir uns auch entschieden, gemeinsam mit Top Flow die Erweiterung unserer IT-Infrastruktur in Richtung Industrie 4.0 zu forcieren“, sagt Projektleiter Wiedenmann. Auf dem Plan stand die Implementierung zweier RFID-fähiger Reinigungsanlagen und deren direkte Integration in das ERP-System. „Auf diese Weise wollten wir zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Zum einen wollten wir unsere veralteten Maschinen ersetzen, zum anderen der Anforderung unserer Kunden nach einer besseren Reinigungsqualität unserer Endprodukte entsprechen“, so Manfred Wiedenmann. In diesem Veredelungsprojekt spielte das zuvor eingeführte MES eine tragende Rolle. Dazu haben die Projektverantwortlichen folgenden Prozess modelliert: Die fertigen Bauteile aus der Zerspanung landen in einem Behälter, der mit einem RFID-Datenträger versehen ist.

Über eine Funktion des MES werden direkt aus dem ERP-System alle relevanten Daten zum Bauteil und dem Produktionsprozess auf den RFID-Datenträger übertragen. Dazu zählen beispielsweise Auftrags- und Materialnummer, Datum und Menge und das Waschprogramm für die entsprechende Teilereinigung. Bei der nachfolgenden Reinigungsanlage lesen Sensoren an dafür eingerichteten Schreib-/Lese-Stationen dann die Informationen vom RFID-Datenträger aus und fahren vollautomatisch den jeweils für das ankommende Bauteil spezifischen Reinigungsprozess ab. Die damit verbundenen Herausforderungen waren allerdings mannigfaltig: So mussten alle Hard- und Software-Komponenten aufeinander abgestimmt werden, damit der Datenfluss aus dem ERP-System zum Datenträger am Behälter, vom Datenträger zur Maschine und zurück reibungslos funktioniert. Darüber hinaus war auch ein eingehender Informationsaustausch mit involvierten Lieferanten und Dienstleistern erforderlich. Schließlich galt es noch, die passenden Behälter und entsprechend widerstandsfähige RFID-Datenträger zu finden. Diese mussten sehr hitzestabil und für den Einsatz mit umweltfreundlichen Reinigungsmitteln geeignet sein, da beide Komponenten Reinigungsprozesse durchlaufen, die höchste Materialbeständigkeit erfordern. „Gemeinsam mit Top Flow konnten wir auch in diesem Folgeprojekt alle Hürden meistern und eine vollautomatisierte Lösung erzielen“, erklärt Manfred Wiedenmann.

Schlanke Prozesse

Im neu etablierten Prozess trägt das Bauteil also selbst, über den RFID-Datenträger am Behälter, die wichtigsten Informationen über sich und den Folgeprozess. Nachdem die Bauteile das jeweilige Reinigungsprogramm durchlaufen haben, werden diese automatisiert in ein neues Behältnis umgeschüttet und das Gewicht ermittelt. Sämtliche Informationen von Behälter Eins werden automatisch an Behälter Zwei und auf dessen RFID-Datenträger übertragen. Auf diese Weise lässt sich das Gewicht der gereinigten Bauteile exakt ermitteln und über das MES zurück ins ERP-System übertragen. Gleichzeitig wird das Gewicht anhand der im ERP-System hinterlegten Einzelstückgewichte in exakte Stückzahlen umgerechnet und damit der Produktionsfortschritt im System dokumentiert. Die Ware in Arbeit ist demnach digital gekennzeichnet und bei Transporten und Zwischenlagerungen jederzeit auch digital identifizierbar.

Ohne manuelles Zutun

Die Folgeschritte an der Reinigungsanlage steuern sich selbst, ganz ohne manuelles Zutun, wodurch menschliche Fehlerquellen reduziert werden. „Durch das Einsparen manueller Tätigkeiten wird unser Produktionsprozess zusätzlich effizienter. Als innovativer Automobilzulieferer setzen wir konsequent auf eine sich selbst steuernde Produktion. Mit der nahtlosen Integration unserer Reinigungsanlagen gehen wir einen wichtigen Schritt hin zu Industrie 4.0. So können wir unsere Position im internationalen Wettbewerb erfolgreich behaupten und den Stammsitz in Deutschland langfristig absichern“, sagt Produktionsleiter Robert Binder.