Neue EU-Verordnung für Medizinprodukte

Systematisches Qualitätsmanagement wird zur Pflicht

Im Kern der aktuellen EU-Forderung nach mehr Transparenz und Sicherheit bei Medizinprodukten steht der systematische Aufbau eines ‚electronic device history records‘. Das bedeutet auch im Hinblick auf das Qualitätsmanagement, dass der Umstieg von papierbasierten Prozessen zu IT-Systemen in naher Zukunft zur Pflicht wird.

Bild: Fotolia / christin42

Die Gespräche rund um die neue EU-Verordnung für Medizinprodukte und die damit verbundenen Änderungen der Richtlinie 2001/83/EG, der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 und der Verordnung (EG) Nr. 1223/2009 sind weit gediehen. Das Ziel: Mehr Transparenz und Sicherheit für Marktteilnehmer innerhalb der EU. Zentrales Kriterium ist der nachvollziehbare elektronische Datenumgang und in Folge die eindeutige Produktidentifizierung und lückenlose Rückverfolgbarkeit. „Diese Anforderungen sind ohne ein IT-System für das Qualitätsmanagement nicht wirtschaftlich zu realisieren. Das bedeutet jedoch, dass viele Hersteller gezwungen sind, solche Lösungen zeitnah zu implementieren. Denn ein Großteil der Branche arbeitet im Fertigungsumfeld noch mit Stift und Papier“, sagt Simone Cronjäger, Vorstand des MES-Herstellers Guardus Solutions AG. Basierend auf einer Dokumentation aller eingesetzten Rohstoffe, Zukaufteile sowie Produktions-, Prüf- und Messmittel lässt sich deren Verwendung bis ins Detail rückverfolgen. „Durch den globalen Wettbewerb sind nun auch in der Medizintechnik effiziente Methoden der Dokumentation und Datenaufbewahrung gefordert. Wurden bislang Formulare mit Seriennummern, Chargen und Prüfergebnissen von Hand gefüllt, sind Unternehmen nun auf der Suche nach wirtschaftlichen IT-Lösungen“, schildert Cronjäger weiter. Unabhängig davon verlangt die EU-Verordnung im Rahmen der Traceability die elektronische Speicherung und Verwaltung eindeutiger Produktnummern, so dass der Einsatz von IT-Systemen zur Pflicht wird. Als Werkzeug für den produktionsnahen Einsatz stehen in diesem Kontext Manufacturing Execution-Systeme (MES) zur Verfügung. Guardus Solutions stellt dazu als Ergänzung zum Enterprise Resource Planning-System (ERP) eine Lösung zur Verfügung, die auf operativer Ebene das prozessorientierte Erfassen, Visualisieren und Überwachen von Qualitäts- und Fertigungsdaten unterstützt.

Traceability auf integrierter Datenbasis

Dazu gehört sowohl die Verbuchung der verbrauchten Materialien in Form von eindeutigen Chargen-, Los-, Serial-, Rollen- oder Kisten-Nummern als auch die Neukennzeichnung der gefertigten Produkte mittels Etiketten, Barcodes oder RFID. Eine weitere Datenbeziehung liefern die zugehörigen Merkmale gemäß Prüfplan mit den erfassten Messwerten und attributiven Prüfungen sowie Freigaben oder Sperrungen. Die Verriegelung soll sicherstellen, dass eine gesperrte Produkteinheit (Charge, Los oder Einzelteil mit Serialnummer) nicht in die nächste Fertigungsstufe einfließt, indem das MES an dieser Stelle die Anmeldung des Produktes verweigert. Damit muss das Produkt in einem Nacharbeitsprozess überarbeitet und freigegeben werden, bevor es in die Weiterverwendung einfließen kann. Die Dokumentation der ausgetauschten Bauteile und Materialien wird dabei ebenfalls in die Datenbeziehung integriert. Zu diesem umfassenden Informationsfluss gehören auch Fertigungsaufträge, Prüfaufträge, Merkmale, Messwerte und attributive Prüfungen sowie durchführende Mitarbeiter, einfließende Chargen, Lose bis zur Serialnummern des Endprodukts und dessen Warenkennzeichnung. Dies stellt eine wichtige Voraussetzung für die Rückverfolgbarkeit dar, um neben der Verkettung von Materialien und Produkten auch die zugehörigen Messwerte, Prüfungen und Freigaben bis hin zu den Lieferantenmaterialien und Werksprüfzeugnissen abbilden zu können.

Vorgabentauglichkeit unter die Lupe nehmen

Bei der Auswahl der passenden Fachanwendung sollten Unternehmen im Hinblick auf deren Vorgabentauglichkeit verschiedene technische Rahmenbedingungen prüfen. Hierzu gehört neben der elektronischen Signatur vor allem das ‚Audit-Trail‘: Benutzerhandlungen, die einen elektronischen Datensatz erstellen oder ändern, sollten gesichert aufgezeichnet werden – inklusive Zeitstempel. So lassen sich beliebige Datenänderungen im Rahmen der Traceability-Anforderung protokollieren – sei es Prozessdaten oder solchen, die im laufenden Betrieb entstehen. Diese automatisierte Änderungsdokumentation gilt es mit einem Release-Management zu flankieren, das wichtige Freigaben nach dem 2-4-6-8-Augenprinzip systematisch unterstützt – etwa bei der Montage von Baugruppen. „Um ein Produkt nach der kommenden EU-Richtlinie nahtlos zu beschreiben und alle Änderungen zu dokumentieren, ist es somit dringend zu empfehlen, ein zentrales System einzusetzen“, sagt Cronjäger.