Einheitliche Systemlandschaften

IT-Werkzeug für die vertikale Integration

Angesichts der unterschiedlichen Branchen und Arbeitsverfahren in der Prozessindustrie ist es beinahe unmöglich, ein einheitliches Bild der IT zu zeichnen. Doch es gibt auch die Entwicklung, dass immer mehr Betriebe ihre kaufmännische Organisation und Produktionsplanungssysteme auf Basis einer Unternehmensanwendung zusammenziehen. In der Praxis finden sich dennoch zahlreiche Betriebe, die für Produktionssteuerung, Beschaffung, Rezepturverwaltung oder Logistik mehrere Anwendungen einsetzen.

Bild: Microsoft Deutschland GmbH

Wegen der unterschiedlichen Ausgangssituationen bei Enterprise Resource Planning-Projekten (ERP) in der Prozessindustrie weichen die Anforderungen stark voneinander ab. Ein Unternehmen, dessen über Jahrzehnte gewachsenen Individualanwendungen vereinheitlicht werden sollen, setzt andere Prioritäten, als ein Betrieb, der eine veraltete ERP-Software auf den technisch neuesten Stand bringt. Während in einem Fall die Konsolidierung im Fokus steht, geht es im anderen in der Regel darum, Prozesse und Planung weiter zu optimieren. Viele Prozessfertiger tun sich mit dem Softwarewechsel mitunter schwer, da es meist komplexe Fertigungsprozesse und restriktive behördliche Vorschriften zu berücksichtigen gilt. Der Druck indessen steigt: Viele Prozessfertiger sind aus Gründen des Wettbewerbs gezwungen, Produktionsprozesse und Kapazitätsplanung permanent zu optimieren. Doch in heterogenen Strukturen mit Systembrüchen ist es schwer, in adäquater Geschwindigkeit auf Marktanforderungen zu reagieren oder rechtliche Auflagen wirtschaftlich umzusetzen. Dabei haben sich Bereiche wie Produktionsplanung, Messtechnik oder Unternehmensanwendungen in den letzten Jahren aufeinander zubewegt. Karsten Seehafer, Geschäftsführer und Inhaber der Hanomag Lohnhärterei Unternehmensgruppe, sah Handlungsbedarf: „Uns war klar, dass langfristige Verbesserungen nur mit einer durchgängigen Abbildung der Geschäftsprozesse zu erreichen sind.“

Im Auftrag des Gesetzes

In der Pharma- und Kosmetikindustrie, mitunter auch bei Lebensmitteln, wird auf Basis behördlich genehmigter Rezepturen produziert. In diesem Fall gelten hohe Anforderungen an eine konstante Produktqualität. So ist es beispielsweise nicht zulässig, einzelne Ausgangstoffe zu ändern. Auch nicht, wenn ein Substitut in gleicher Qualität zu niedrigeren Kosten gefunden wird. Jeder Eingriff ist ein Fall für das Änderungs- und Genehmigungsmanagement. Aus den gleichen Gründen lässt sich die Produktion nicht ohne Weiteres auf andere Maschinen oder an andere Standorte verlagern – nicht einmal bei technischen Störungen. Denn neben den Rezepturen unterliegt auch der Produktionsprozess der gesetzlichen Überwachung und ist entsprechend genehmigungspflichtig.

Die Vorgaben aus Lebensmittelgesetzen, EU- oder Gefahrstoffverordnung sind daher auch softwareseitig abzubilden. Bei Produkten, mit denen Menschen unmittelbar in Berührung kommen, ist die Chargenverfolgung häufig Pflicht. Das betrifft beispielsweise Lebensmittel, aber auch Erzeugnisse der Chemie- und Pharmaindustrie. Mithilfe der Chargenverfolgung lässt sich nachvollziehen, wer eine bestimmte Rohstoffcharge geliefert hat, wann sie zu welchem Produkt verarbeitet wurde und wer sie erhalten hat. Ziel ist also Transparenz vom Rohstoff bis zum Endprodukt. Voraussetzung hierfür ist, dass Bestände nach Chargen untergliedert, verwaltet und verfolgt werden. Das stellt hohe Anforderungen an die Dokumentation. Wichtige Bausteine für diese Aufgabe sind das integrierte ERP-System, einheitliche Datenhaltung und aufeinander abgestimmte Prozesse.

Einbindung in die Lieferkette

Die meisten Prozessfertiger sind in vertikalen Lieferketten verankert – zum Beispiel als Auftragsfertiger für Kosmetik- oder Chemiekonzerne. Immer häufiger geben dabei auch Handelskonzerne den Ton an, die Produktionsaufträge für das stark wachsende Segment der Handelsmarken vergeben. Feste Kunden-Lieferanten-Beziehungen erhöhen zwar den Druck auf Preise und Produktionsstandards, sorgen aber gleichzeitig für Kontinuität. Zudem haben Prozessfertiger die Chance, Kosten zu sparen, indem die gemeinsamen Prozesse mit den Partnern effizienter gestaltet werden. Voraussetzung für eine Integration der Wertschöpfungskette ist eine Anwendung, die gängige Standards beherrscht und sich vergleichsweise leicht vernetzen lässt.

Die Produktion steht zumeist im regen, bidirektionalen Datenaustausch mit anderen Unternehmensbereichen wie Beschaffung, Logistik oder Vertrieb. Getauscht werden beispielsweise Informationen zur Bedarfsplanung oder Warenverfügbarkeit. Auch hier können sich Effizienzvorteile einstellen, wenn die verschiedenen Aufgaben in einem Gesamtsystem abgewickelt werden, da sich so Schnittstellenpflege und viele manuelle Eingriffe bei der Datenkonsolidierung einsparen lassen. Da die Unternehmensbereiche mit dem gleichen Stamm arbeiten, stehen Informationen zudem in Echtzeit zur Verfügung. Verbunden mit Steuerungssystemen wie Management Dashboards oder Key Performance-Indikatoren können Prozessfertiger viele Unregelmäßigkeiten und Abweichungen bereichsübergreifend schneller erkennen.

Vertikale Integration

Gleichzeitig steigen mit der vertikalen Integration die Chancen für Produktivitätserhöhungen oder Kosteneinsparungen entlang der Prozesskette. Die einzelnen Abteilungen und Geschäftsbereiche rücken enger zusammen, was die Kommunikation vereinfacht und den Boden für eine weitreichende Prozessautomatisierung bereitet. So können beispielsweise relevante Planungsfaktoren der Produktion direkt aus der Auftragsbearbeitung übernommen werden, während in umgekehrter Richtung Rückmeldungen zu produzierten Mengen, Qualität und Auslastung fließen. Zudem können Prozessfertiger einen weiteren Nebeneffekt erzielen: Transparenz. Da es nur einen ‚Datentopf‘ gibt, bleiben einzelne Vorgänge nachvollziehbar. So lässt sich beispielsweise mit wenigen Handgriffe feststellen, wann eine bestimmte Charge eingetroffen, verarbeitet und mit welcher Lieferung sie auf dem Markt gebracht wurde. Auf diese Art helfen ERP-Systeme der Prozessindustrie, effizienter zu arbeiten, wettbewerbsfähig zu bleiben und eine höhere Wertschöpfung zu erreichen. Bernd Horle, IT-Leiter der Hanomag Lohnhärterei, sagt: „Die gewonnene Effizienz optimiert die Durchlaufzeiten. Jetzt können wir uns sehr viel schneller auf die Anforderungen unserer Kunden einstellen. Unsere Wettbewerbsfähigkeit hat sich dadurch eindeutig verbessert.“