Uwe Küppers, Mesa International:

„Die Unabhängigkeit ist
von zentraler Bedeutung“

Die Mesa – Manufacturing Enterprise Solutions Association – beschäftigt sich als Non-Profit-Association mit Hauptsitz in den USA seit nunmehr 25 Jahren mit dem Thema MES. Uwe Küppers, Chairman der Region EMEA, spricht im Interview über die Vorteile, die produzierende Unternehmen aus der herstellerunabhängigen Vereinigung ziehen können.

 (Bild: Rockwell Automation, Inc.)
(Bild: Rockwell Automation, Inc.)

Herr Küppers, wer macht bei der Mesa International eigentlich mit?

Uwe Küppers: Das sind zum einen Hersteller aus der diskreten Fertigung und Prozessindustrie. Dazu kommen Systemintegratoren, Consulting-Unternehmen und Softwareanbieter, wie Rockwell Automation, Siemens und dergleichen. Um die Kosten für Administration und unser Ausbildungsprogramm zu bestreiten, unterhalten wir ein Sponsorensystem, das etwa zwischen Platinum und Gold-Sponsoren unterscheidet. Neben diesen Sponsoren zahlt jedes Mitglied einen Beitrag, den die Fertigungsunternehmen voll einsetzen können, um Schulungen zu besuchen.

Welche Themen beschäftigen derzeit die regionalen Einheiten?

Küppers: Wir haben Arbeitsgruppen, Techniker-Komitees und Untergruppen, die eine ganze Menge Themen bearbeiten: sei es Smart Manufacturing – The Landscape Explained, The Value of Big Data and the Industry 4.0 Revolution sowie Themen aus der Prozessindustrie, Food Safety & Traceability oder Rezepturen. Das sind separate Technik-Komitees, die dann für sich in diesen Arbeitsgruppen arbeiten, wo es auch jeweils einen Chairman gibt. Jedes Mesa-Mitglied kann an diesen Aktivitäten teilnehmen und seine Sichtweise einbringen. Die Mesa will dazu beitragen, dass wir in der Industrie eine einheitliche Sprache sprechen und hier Erfahrungen austauschen – also ein Peer-to-Peer-Netzwerk generieren. Eine wesentliche Basis sind unsere Arbeitsgruppen, in denen wir aktuelle Themen bearbeiten und daraus White- oder Visionpapers generieren. Wir haben extrem viel Know-how in Form dieser Papiere erstellt, das auch jedem Mitglied zur Verfügung steht. Es gibt weit über 800 Papiere, die einen Wert von mehr als 15 Mio. Dollar darstellen!

In welche Richtung verändert sich das Thema MES?

Küppers: Wir sehen den Trend deutlich, dass die Digitalisierung im Bereich Industrie 4.0, Smart Manufacturing und IIoT viel stärker auf das Thema MES bzw. MOM fokussiert. Diese Themen benötigen eine industrielle Plattform, um Manufacturing Operations besser zu koordinieren und zu managen. Deshalb sprechen wir in der Mesa auch von MOM (Manufacturing Operation Management). Die Investitionsbereitschaft im Manufacturing-Umfeld wächst stark und Fragen der Produktions-IT werden auch aus der Unternehmensebene heraus bedacht. Wichtig ist für Unternehmen hier eine Strategie zu erstellen, wie diese digitale Transformation umgesetzt werden kann.

Man liest immer wieder, dass MES/MOM-Systeme in der diskreten Fertigung noch gar nicht so verbreitet sind.

Küppers: Dem würde ich so nicht zustimmen. MES/MOM-Software ist eher im diskreten Bereich angekommen. Ohne Shop Floor-IT kann heute kein Auto oder Elektronikboard hergestellt werden. Auch in der Stahlindustrie haben wir schon Funktionen eines MES gesehen und diese Unternehmen gehen nun verstärkt auf das Thema MOM ein. Nach meiner Erfahrung waren die diskreten Produzenten schon immer Vorreiter beim Einsatz dieser Lösungen. Hier unterstützen die Anwendungen bereits die komplette Lieferkette ab der Planung. In Bezug auf Industrie 4.0 oder Cyber Physical Systems werden wir schon manchmal gefragt, ob das MES überhaupt noch eine Zukunft hat. Wir sind der Auffassung, dass MES-Anwendungen wesentlich modularer werden müssen. Aber es braucht auf jeden Fall weiterhin eine IT-Infrastruktur, um die Aktivitäten auf Werksebene zu koordinieren.

Sie sprechen davon, dass Anwendungen modularer werden müssen. Ab wann kann man denn überhaupt von einem MES sprechen?

Küppers: Darüber diskutieren wir schon die letzten 15 Jahre: Ist mein Performance Management schon ein MES, ist die Aufzeichnung von historischen Daten schon ein MES. In erster Linie handelt es sich um ein System, das die digitalen Abläufe in einem Fertigungsprozess koordiniert. Aber in der Mesa sprechen wir ohnehin mehr über das Manufacturing Operation Management. Hier geht es um den gesamten operativen Bereich. Es gibt so viele Teilnehmer im Produktionsnetzwerk, die sich heute miteinander verbinden lassen, etwa mobile Endgeräte, Cloud-Dienste oder Internet of Things-Anwendungen. Letztlich geht es darum, eine Funktion zu definieren und bereitzustellen.

Gibt es denn Spannungen im Verband? Etwa wenn MES-Anbieter mit Anwenderbetrieben zusammenkommen, die vielleicht mit einer ganz rudimentären Lösungen sehr profitabel arbeiten?

Küppers: Wir achten sehr drauf, dass wir nicht kommerzialisiert denken oder handeln. Wenn ich als Chairman bei Veranstaltungen oder Board-Meetings spreche, dann über keine bestimmte Lösungen. Es geht um Funktionalitäten, um Erwartungshaltungen. Die produzierenden Unternehmen müssen aus ihrer Sicht darlegen, was erforderlich ist. Es zeichnet die Arbeit bei der Mesa aus, dass neutral diskutiert, analysiert und nach der bestmöglichen Lösung gesucht wird. Am Smart Manufacturing Whitepaper haben beispielsweise viele Leute unabhängig voneinander gearbeitet, um einen Konsens herzustellen. Das System ist somit zweitrangig. Für die Softwareanbieter hat die Mitarbeit den Vorteil, nah am Markt zu sein und Trends früher als andere zu erkennen. Für Fertigungsunternehmen hat es den Vorteil, eine einheitliche Sprache beim Beginn eines Projektes zu sprechen, die Vorteile der verschiedenen Funktionen zu verstehen und eine Auswahlhilfe an der Hand zu haben. Zudem können sie sich mit Unternehmen austauschen, die bereits Erfahrungen bei der Einführung einer MOM-Lösung gemacht haben. Das dritte Standbein der Mesa ist übrigens unser Education Program. Mit diesem stellen wir sicher das erarbeitete Material im einheitlichen Sprachgebrauch an die Industrie herauszugeben. In diesem Fall betrifft das nicht nur Hersteller, sondern auch diejenigen, sich sich im Umfeld betätigen. Wir bieten dort verschiedene Grundprogramme an Trainings wie das ‚CoA Certificate of Awareness‘ und das ‚CoC Certificate of Competency‘.

Stichworte Plattform Industrie 4.0 und Industrial Internet Consortium – bemerken Sie mit ihrem starken Anker im amerikanischen Markt Unterschiede zur europäischen Sichtweise von Smart Manufacturing?

Küppers: Wir sind seit Ende 2016 im IIC und verstärken derzeit unser Engagement dort. Ich selbst bin auch im ZVEI aktiv, wo wir gerade ein Whitepaper mit dem Schwerpunkt auf MES-Software herausgeben haben. Bei der Zusammenarbeit mit dem IIC stehen Themen wie Asset Performance Management im Vordergrund. Dazu liefern wir Input, Technologien und dergleichen. Bei der Plattform Industrie 4.0 arbeite ich persönlich in der MES-Arbeitsgruppe. Auf der letzten SPS IPC Drives haben wir Ansätze eines Whitepapers gezeigt, das wir gerade erstellen.

Das Know-how der Mesa ist über Jahre organisch gewachsen. Auf der anderen Seite gibt es in den Konsortien IT-Unternehmen und Konzerne, die mit der Fertigungsindustrie noch nicht so viele Berührungspunkte hatten. Nehmen alle Stakeholder das Wissen an, das Sie aus dem Shop Floor mitbringen?

Küppers: Aus meiner Sicht ja. Man sieht ganz klar, dass sich die IT auch stark verändert hat. Ich sehe zum Beispiel mehr und mehr Kunden, die auch für den Operationsbereich definieren, was sich digitalisieren lässt. Die traditionellen Barrieren zwischen der produktionsnahen IT und den Geschäftssystemen brechen weg. Die IT-Unternehmen erkennen auch, dass die Standards im Manufacturing-Umfeld helfen können, die beiden Ebenen stärker zu integrieren. Das Industrial Internet of Things zeigt wie beide Welten derzeit zusammenkommen. Es findet eine interessante Öffnung zu umfassenden Konzepten eines vernetzten Unternehmens statt. IT-Unternehmen, Beratungshäuser und Fertigungsspezialisten kollaborieren und kooperieren mehr als je zuvor.

Mit jeder erfolgreichen Kooperation sammeln IT-Konzerne wie Microsoft oder Cisco Erfahrungen im produktionsnahen Umfeld.

Küppers: Richtig, auch in der Mesa sehen und promoten wir immer mehr entsprechende Fallbeispiele. Auf unserer Webseite stellen wir zum Beispiel verschiedene vor. Ich persönlich arbeite mit einigen großen Lebensmittelunternehmen zusammen, die bereits deutliche Erfolge erzielen konnten. Aber auch in den Branchen Automotive und Stahlindustrie haben diese Kollaborationen stark zugenommen.

Der deutsche Markt für MES-Lösungen ist sehr breit gefächert. Was bedeutet das für Ihre Arbeit in der Region?

Küppers: Ich würde mir in Deutschland mehr Aktivität wünschen. Wir haben in Deutschland immer wieder Parallelströmungen, in denen sich Unternehmen positionieren wollen. Für eine Vereinigung wie die Mesa ist die Unabhängigkeit jedoch von zentraler Bedeutung. Die Zusammenarbeit mit uns wird so zu einer Frage der Ressourcen im Unternehmen, die oft gekürzt oder auf neue Aufgaben ausgerichtet werden. Die Leute haben weniger Zeit, sich neben ihrem normalen Arbeitsalltag noch mit anderen Dingen zu beschäftigen. Somit kann die Mesa hier einen hohen Nutzen bringen, da man schnell auf fundierte unabhängige Informationen zugreifen kann.

Warum sollten sich Fertigungsbetriebe in der Mesa engagieren?

Küppers: Um von den Erfahrungen anderer Unternehmungen, Anbieter und Consultants zu profitieren und sich aktiv zu beteiligen. Oder Anforderungen einzubringen, denn unsere Working Groups entstehen erst dadurch, dass unsere Mitglieder Fragen aufwerfen. Die Themen werden schließlich nicht in unserem exekutiven Board erdacht. Unternehmen können großen Vorteil aus der Mesa ziehen, wenn sie ein konkretes Problem oder eine Anforderung in einer Arbeitsgruppe, zusammen mit internationalen Unternehmen, bearbeiten. Hinzu kommen unsere Dokumente. Nach verschiedenen Analysen würde es über 15 Millionen Dollar kosten, die für alle zugänglichen Papiere durch externe Consultants erstellen zu lassen. Insgesamt sind es vor allem drei Säulen, von denen unsere Mitglieder profitieren: Der Austausch in unserem Peer-to-Peer-Netzwerk, die Zusammenarbeit in den Arbeitsgruppen und somit die Erstellung neuer Positionierungs- oder Visionspapiere sowie unser Ausbildungsprogramm. Der Mitgliedsbeitrag eines Unternehmens beinhaltet bei Fertigungsunternehmen gleichzeitig eine Gutschrift für die Teilnahme am Education Program.

 


Mesa International

An der Spitze der seit mehr als 25 Jahren branchenübergreifend agierenden Vereinigung Mesa steht neben dem Präsidium ein Executive Board, das richtungsweisend für die freien Mitarbeiter fungiert. Auf regionaler Basis steuern beispielsweise das EMEA-Board, das Asia-Pacific-Board und das North-America-Board ihre Aktivitäten. Dem regionalen Ableger der EMEA-Region stehen Uwe Küppers, Rockwell Automation, und Michael Schwarz, Schneider Electric GmbH, als Chairman beziehungsweise Vice Chairman vor. Interessengruppen um bestimmte Themen organisieren sich in den Special Interest Groups. Diese lokalen Interessengemeinschaften sprechen zum Beispiel über Schwerpunkte im deutschen oder österreichischen Markt. Jede dieser Arbeitsgruppen stellen Vertreter, um die Ausrichtungen der Aktivitäten national und international zu koordinieren. Aktuell arbeitet der Verband daran, die Aktivitäten in der Region zu intensivieren. Ein Aspekt dabei ist es, die Special Interest Groups als lokale unabhängige Arbeitsgemeinschaften auszurichten, die sich gleichzeitig weltweit austauschen. Auf der Webseite der Mesa gibt es weitere Informationen zu den Special Interst Groups.







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