Chancen

Die ‚Killer-App‘ für das Industrial Internet of Things?

Vorausschauende oder zustandsorientierte Instandhaltung ist für Industriekunden und die Industrie 4.0-Initiative ein wichtiges Ziel. Eine ineffiziente, regelmäßig nach Plan
erfolgende Wartung durch entsprechende Software zu
ergänzen oder gar zu ersetzen, verspricht, Geräteausfälle und ungeplante Ausfallzeiten zu reduzieren, die Sicherheit zu verbessern und letztlich ein besseres Unternehmensergebnis zu erreichen.



Bild: Osisoft Europe GmbH

Bei einem Chemieunternehmen kann die Reparatur eines unerwartet auftretenden technischen Problems ein paar Tausend Euro kosten, aber die verlorene Produktivität kann in die Millionen gehen. Datenbasierte Instandhaltungsprozesse können die Effizienz wesentlich steigern. Beispielsweise ist fast überall auf der Welt der Wasserverlust durch Lecks ein großes Problem für die Wasserversorgung. Wasserwerke sind oft unterfinanziert und viele Städte kämpfen mit einer Infrastruktur, die Jahrzehnte alt ist. Weltweit sind es schätzungsweise 32,6 Billionen Liter aufbereiteten Wassers, die jedes Jahr durch Lecks verloren gehen. Aber Unternehmen sind dank zunehmender Vernetzung in der Lage, auf riesige Mengen an operationellen Daten zurückzugreifen, die sie aber noch nicht in vollem Umfang nutzen. Nach Schätzungen von McKinsey and Co. werden weniger als ein Prozent der Daten von grob 30.000 Sensoren an einer Ölplattform überhaupt gesichtet und für die Entscheidungsfindung herangezogen.

Mehr Vision als Realität?

Noch spielt sich prädiktive Instandhaltung vermutlich mehr in Powerpoint-Präsentationen auf Konferenzen ab als in den Fertigungslinien der Fabriken. Industrieunternehmen müssen eben etwas konservativ agieren. Kleine Rückgänge in Ausbeute oder Produktivität aufgrund von Softwareimplementierungen können Millionen kosten; ein Abfall der Produktqualität kann, insbesondere für ein Lebensmittel- oder Pharmaunternehmen, noch viel größere Auswirkungen haben. Die Devise ‘Mach schnell und brich mit den Konventionen’ mag für Softwarefirmen funktionieren, aber in einer Fabrik oder auf einer Hochseeplattform ist das ein gutes Rezept für Chaos. Aber es gibt auch noch einen anderen Grund. Die Technologiebranche war – zumindest bisher – nicht sehr effektiv darin, ihre Killerapplikationen, das heißt Anwendungen, die als Initialzündung für die Verbreitung dienen, ins richtige Licht zu setzen. Dabei spielt die Killerapplikation in der Technologie eine wesentliche Rolle. Personal-Computer kamen in den 1970-ern auf den Markt und zielten anfangs nur auf Hobbybastler. Erst als Spreadsheet- und Textverarbeitungsapplikationen erfunden wurden, traf der PC-Tsunami auch den Unternehmensmarkt. Auch die prädiktive Instandhaltung scheint in vielen Aspekten das Potenzial einer Killerapplikation in sich zu bergen. Die Vorteile solcher Systeme sind offensichtlich. Wartungsabläufe können in bereits existierende Prozeduren eingebunden werden, ohne dass Unternehmen ihre grundlegenden Fertigungsprozesse neu überarbeiten müssten. Kosten und Nutzen können außerdem sehr detailliert nachverfolgt werden.

Versuchslauf für das IIoT

Man stelle sich prädiktive Instandhaltung als Versuchslauf für das IIoT vor: Man sollte sie nutzen, um die optimalen Vorgehensweisen zu lernen und zu etablieren, bevor man eine breiter angelegte Strategie implementiert. Industrieapplikationen sind von Natur aus zu komplex, um das Ideal des Plug and Play umzusetzen. Aber die Entwicklung kommt diesem Ziel näher. Petronas Carigali, der Upstream-Bereich des Öl- und Gaskonglomerats im Besitz des malaysischen Staates, erlebte wiederholt unerwartete Ausfälle von Anlagen auf einigen seiner Offshore-Plattformen. Eine einzige Abschaltung kann Tage dauern und Millionen von Dollar kosten. Wenn Probleme auftraten, mussten Ingenieure mit dem Hubschrauber eingeflogen werden, um Informationen zu sammeln, aus denen sich die Ursache der Probleme bestimmen ließ. Durch die Vernetzung des Großteiles der Anlagen auf den Offshore-Plattformen in einer Datenstreaming-Infrastruktur konnten Ingenieure Anzeichen für bevorstehende Ausfälle erkennen und größere Probleme im Vorfeld abwehren. Darüber hinaus konnten sie dank der Masse an Daten die Fehlerursache isolieren, die ganz woanders lag als ursprünglich angenommen. Petronas geht davon aus, dass das Unternehmen dank der besseren Einblicke in die Betriebsdaten allein im ersten Jahr fünf Abschaltungen verhindern konnte. Man kann die Vorteile auch in jüngeren Branchen wie der Windkraft beobachten. Dong, ein dänisches Windenergieunternehmen, will seine Offshore-Windturbinenkapazität in europäischen Gewässern von zirka 3,5 Gigawatts bis 2020 auf 6,5 Gigawatt ausbauen – das sind etwa 1.500 Windräder. Die Instandhaltung von Offshore-Turbinen ist 15 mal teurer als die Instandhaltung solcher an Land. Darüber hinaus wollte Dong die Ausfallhäufigkeit halbieren.

20 Millionen Euro gespart

2014 setzte das Windenergieunternehmen einen ambitionierten Plan um: Von festen Wartungsintervallen stellte man auf eine zustandsorientierte Wartung um, die von Datensignalen aus dem PI-System angestoßen wird. Bei Windturbinen kann beispielsweise ein Leck im Kühlsystem des Konverters einen Abfall des Flüssigkeitsdruckes verursachen, der wiederum eine automatische Abschaltung der Turbine auslöst. Ist eine Früherkennung des Druckverlustes möglich, so kann ein Wartungsteam geschickt werden, bevor größerer Schaden entsteht, und die Ausfallzeiten reduzieren sich. Die Wartung kann nicht nur besser mit Wind- und Wellenbedingungen koordiniert werden, nein, die Gesamtanzahl der Besuche des Wartungsteams kann auf diese Weise minimiert werden. Nicht geplante Wartungstermine von vier auf zwei pro Jahr zu senken, könnte 20 Millionen Euro jährlich sparen. Das kanadische Erdölunternehmen Syncrude betreibt zwei Teersandminen in Alberta. Das Unternehmen implementierte eine ähnliche Strategie für seine 136 Monstertrucks in Kanada. In Feldversuchen wurden bei 80 LKW 44 verschiedene Signale überwacht. Zu den Parametern gehörten unter anderem die Kühlmitteltemperatur, die Überhitzung der Bremsen, die Viskosität des Motoröls und Fehler im Einspritzsystem. Daneben konnte Syncrude die Position der jeweiligen Ladung nachverfolgen und so sagen, ob Teersand, der im Winter gefriert, richtig auf- und abgeladen wurde. Die Daten wurden mit einer Frequenz von 1.716 Ereignissen pro Sekunde generiert. Die Ingenieure machten auch Versuche wie die CPUs auf den Servern absichtlich zu überlasten oder die LKWs aus dem abgedeckten Bereich zu fahren, um die Belastbarkeit des Systems zu testen. Die Ergebnisse:

  • Syncrude geht davon aus, dass das Unternehmen durch präventive Wartung 16,75 US Dollar pro Stunde und LKW sparen kann. Allein bei der Wartung ergeben sich daraus 20 Millionen US Dollar pro Jahr.
  • Das Unternehmen nahm eine detaillierte Untersuchung an einem Motor vor, der vor dem Feldversuch ausgefallen war. Diese zeigte, dass das System schon zwei Wochen vor dem Ausfall Meldungen wie ‘Motoreinspritzung defekt’ ausgegeben hätte. Die Daten waren da. Das System hätte auch 2,5 Tage vorher einen Alarm ‘Öl zu dünnflüssig’ signalisiert, einen kritischen Alarm, der eine sofortige Wartung zur Folge gehabt hätte. Allein ein neuer Motor kostet 900.000 US-Dollar. Rechnet man den Produktivitätsverlust und die Zeit für die Techniker, so kann der Austausch eines Motors zwischen 1,2 und 3,3 Millionen US Dollar kosten.
  • Die während des Versuchslaufes gewonnenen Daten zeigten, dass Mitarbeiter beim Abkippen die Regeln nicht einhielten. Dies kann dazu führen, dass sich der LKW hinten hebt und plötzlich wieder zurückfällt, was Wirbelsäulenverletzungen zur Folge haben könnte. Da dies in Echtzeit erkannt wird, konnte Syncrude bei einem fehlerhaften Abladevorgang Warnmeldungen an die Mitarbeiter ausgeben. Die Zwischenfälle rund um das falsches Abladen sind um 85 Prozent gesunken.

‘As a Service’-Angebote

Gerätehersteller und Serviceunternehmen entwickeln ‘As-a-Service’-Angebote, mit denen ihre Kunden die Vorzüge einer prädiktiven Wartung nutzen können, ohne selbst Software kaufen oder pflegen zu müssen. Flowserve, ein texanischer Pumpenhersteller, stattet seine Produkte neuerdings mit Vibrationsanalyse und -alarm aus. In der Folge überwacht Flowserve die Anlagen im Auftrag seiner Kunden. Erst vor kurzem machte die Technologie beispielsweise einen Kunden auf ein Problem aufmerksam, das einen Verlust von 630.000 US Dollar zur Folge gehabt hätte. Andere Unternehmen integrieren ‘As-a-Service’-Funktionalität zur Überwachung von Flüssigkeitsständen, zur Kontrolle von Energieverbrauchsspitzen oder auch um behördliche Auflagen zu erfüllen. Systeme können ihre Betreiber auf Änderungen der Emissionswerte oder der Treibstoffanforderungen aufmerksam machen, wenn Geräte und Anlagen von einer Jurisdiktion in eine andere verbracht werden.

Vernetzen ohne Risiko?

Wenn man mit Anlagenherstellern und Dienstleistern spricht, so findet man heraus, dass praktisch alle nach Wegen suchen, bestehende Produkte um Hard- und Software zu erweitern, mit deren Hilfe Hersteller, Serviceprovider und Endkunden eine kontinuierliche Kommunikation miteinander aufrechterhalten können. Diese Vorteile müssen gegen potenzielle Risiken wie Viren und Hacker abgewogen werden. Der Stuxnet-Virus war nur ein Vorspiel dessen, was passieren könnte, wenn entsprechende Vorkehrungsmaßnahmen nicht getroffen werden. Betriebliche Anlagen sind häufig von IT-Systemen isoliert, um sie von dieser Art von Problemen abzuschotten. Kann man vernetzte Produkte herstellen, ohne das Risiko zu steigern? Sicherheitslücken komplett zu eliminieren, ist so ziemlich unmöglich, aber neue Techniken sind in Reichweite, welche die Zuverlässigkeit verbessern. Einige Unternehmen benutzen so genannte ‘One-Way’-Dioden für die Übertragung von Anlagendaten an IT-Netze. Bei diesem Verfahren werden Industrieanlagen mit Datenmanagement- und SCADA-Systemen vernetzt. Die Daten werden dann durch eine ‘One Way’-Diode auf eine Mirror Site gefiltert, auf die IT-Experten, Lieferkettenpartner und andere zugreifen können. Auch wenn Hacker möglicherweise in die Mirror Site oder auch physikalisch in das Kontrollzentrum des Unternehmens einbrechen würden, könnten sie dank der Diode nicht an die eigentlichen Systeme herankommen.