Beleglose Kommissionierung

Die Zusammenführung von fünf Lägern führte bei der Emil Deiss KG zur Verdreifachung der Lagerfläche. Um den hohen Lagerdurchsatz effizient zu bewältigen, investierte das Unternehmen in ein modernes IT-System mit integrierter Staplersteuerung. Heute werden mehr als 85.000 Positionen im Lager beleglos kommissioniert – bei niedriger Fehlerrate und hoher Lieferfähigkeit.

Bild: Emil Deiss KG

Die Deiss KG wurde im Jahr 1931 als Sackfabrik in Hamburg gegründet. Anfang der 70er-Jahre erfolgte die Spezialisierung auf Abfallsäcke und Müllbeutel aus Polyethylen und hochwertigen Recyclingmaterialien. Heute bietet der Marktführer in Deutschland mit Vertriebsniederlassungen in vielen europäischen Ländern seinen Kunden ein Sortiment von über 4.500 verschiedenen Produkten, darunter auch Sonderanfertigungen nach Kundenspezifikation.

Reorganisation der Logistik

Angesichts steigender Produktvielfalt und starken Umsatzwachstums zeigte sich bald, dass die gewachsenen Geschäftsprozesse den künftigen Anforderungen des Marktes nicht genügen. Mit Priorität auf logistischen Prozessen beschloss das Unternehmen, zunächst die fünf Läger in Deutschland in ein erweitertes Lager am Unternehmenssitz Hamburg zu überführen, eine dezentrale Lagerhaltung war nicht länger wirtschaftlich. EDV-Leiter Michael Holthausen erläutert: „Uns wurde sofort klar, dass wir die herkömmliche Bestandsführung unseres Lagers von Grund auf neu organisieren und durch ein modernes Lagerverwaltungssystem mit belegloser Kommissionierung unterstützen müssen.“ Bis zu diesem Zeitpunkt wurden die Lagerflächen nach Bedarf belegt und im Kopf des Lagermeisters verwaltet.

Aufträge von Kunden wurden im Warenwirtschaftssystem (WWS) erfasst und die Ware später im Lager anhand von Lieferscheinen zusammengesucht und bereitgestellt. Als Folge konnten bestimmte Artikel vilefacht nicht sofort kommissioniert werden, weil sie zunächst unauffindbar waren. Auch die Reihenfolge der Bearbeitung war nicht klar geregelt, so dass leichte Aufträge häufig vorgezogen wurden. Die manuelle Lagerführung wurde auch durch die Bestandshöhe von Produkten aus Mengenkontrakten von Großkunden erschwert. Dabei wurden spezielle Abfallsäcke in großen Mengen produziert, die Ware aber erst nach und nach von den Lagerflächen abgerufen. Michael Holthausen sagt: „Diese Problematik lässt sich durch intelligente Lagerstrategien vermeiden, wie sie ein modernes mandantenfähiges Lagerverwaltungssystem bietet.“

Klare Zielsetzung

Der Investitionsbedarf war klar, ein Projektteam aus Fachleuten der EDV und Logistik widmete sich der Zielsetzung, den wachstumsbedingten Lagerdurchsatz ohne umfassende Personalaufstockung zu bewältigen und eine Fehlerminimierung bei lagerrelevanten Vorgängen zu erreichen. Die tatsächlichen Bestände sollten den EDV-Bestandsdaten zuverlässig entsprechen. Beginnend mit der Kontrolle bei der Warenannahme sollten bis zum Warenausgang allen bestandsrelevanten Vorgänge nachvollziehbar dokumentiert werden.

Zu den Zielen zählten außerdem ein permanenter Online-Überblick des Materialflusses, die zeitnahe Bereitstellung von Waren am Versand, Kostensenkung durch Ablaufoptimierung sowie die Verbesserung von Servicegrad und Flexibilität bei der logistischen Bearbeitung von Kundenaufträgen. Da das Warenwirtschaftssystem keine fortschrittliche Lagerführung umfasste, suchte das Projektteam ein spezialisiertes Lagerverwaltungssystem (LVS). Die Entscheidung fiel auf das System des Dortmunder Logistik-Systemhaus Prologistik GmbH + Co KG, unter andrem aufgrund positiver Referenzen aus einem Logistikzentrum des Handelskonzerns Rewe. „Bei Prologistik überzeugte die Tatsache, dass neben der bewährten Lagerverwaltungssoftware PL-Store auch die Hardware für die beleglose Kommissionierung in Form von robusten Fahrzeugcomputern aus eigener Entwicklung und Fertigung stammt“, erklärt Holthausen.

Optimierter Materialfluss

Die Abläufe im Hamburger Zentrallager profittieren von der Einführung des neuen Systems mit Online-Datenerfassung, Staplersteuerung und belegloser Kommissionierung: Sobald Ware aus den Produktionsstätten eintrifft, wird sie mithilfe eines fahrbaren Pults mit Mobilcomputer und Barcodescanner kontrolliert. Dabei wird jede Palette mit einem Etikett mit Paletten-Identnummer (PID) gekennzeichnet und vom LVS gespeichert. Zur Einlagerung durch einen Staplerfahrer wird wieder die PID gescannt. Das LVS weist dem Fahrer nun über sein Fahrzeugterminal den passenden Lagerplatz innerhalb der zwölffach tiefen Einschubregale zu. Ist die Ware im Regal angekommen, scannt der Mitarbeiter den Barcode des Regalplatzes, und das LVS verzeichnet die Einlagerung.

Beim Bearbeiten von Kundenaufträgen überträgt das WWS virtuelle Lieferscheine an das LVS, die nach Priorität geordnet als wegeoptimierte Pick-Touren via WLAN an die Staplerterminals übertragen werden. Der Mitarbeiter kann Aufträge weder überspringen oder abändern. Das LVS gibt die Pick-Positionen ablaufoptimiert vor und berücksichtigt, ob es sich beim Fahrzeug um einen Schnellläufer oder um einen Gabelstapler handelt, da nur letzterer die höher gelegenen Paletten erreichen kann. Sind alle Positionen eines Auftrags abgearbeitet, fährt der Kommissionierer die Waren zum Warenausgang, wo sie zu Liefertouren zusammengestellt und verladen werden. Eine Tourenplanung übergibt Angaben über Mengen, Abmessungen und Gewichte an die Spediteure. Holthausen erläutert: „Durch das Scannen von ID-Labels bei bestimmten Zwischenschritten konnten Kommissionierfehler deutlich reduziert werden. Unsere Fehlerrate liegt heute bei 0,01 Prozent bezogen auf Falschlieferungen.“

IT-gestütze Logistikprozesse

Das LVS arbeitet über eine angepasste Schnittstelle mit dem WWS zusammen. Im Wareneingang werden drei Multifunktionsterminals auf fahrbaren WE-Pulten und auf den Fahrzeugen 27 robuste Flachterminals der Schutzklasse IP65 eingestzt. Alle Terminals sind mit Barcodescannern ausgestattet. Für Inventuren und Kontrollen werden vier Handterminals mit integrierten Scannern genutzt. Die mobilen Terminals kommunizieren via WLAN mit dem LVS. Um eine gewisse Redundanz auf den rund 12.000 Quadratmeter großen Lagerflächen zu erreichen, stellen 25 Access Points den Betrieb des Funknetzeis auch bei Ausfall oder Störung einzelner Stationen sicher.

Schnelle Amortisation

Ersten Schätzungen zufolge wird sich die Investition in das IT-System weniger als zwei Jahren amortisieren. Die integrierte Spediteursabrechnung erspart die aufwändige Kontrolle tausender externer Abrechnungen; mehr als 85.000 Lieferscheinpositionen werden heute – gegenüber rund 40.000 im Jahr 2006 – ohne zusätzliches Lagerpersonal kommissioniert. Durch die permanente Inventur sank zudem der Aufwand für die Jahresendinventur von mehreren Mannwochen auf wenige Mannstunden. Angesprochen auf die Projektrentabilität winkt Sören Dede, Marketingleiter des Unternehmens, ab: „Die Einführung war eigentlich kein Rationalisierungsprojekt. Das neue Lagerverwaltungssystem ist für uns lebensnotwendig. Deshalb standen nicht Kosten und Einsparungspotenzial im Vordergrund, sondern eine schnelle und sichere Umsetzung zum Nutzen unserer Kunden.“





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