Der Maschinenbauer als Softwareanbieter

Auf der Suche nach
dem Mehrwertlieferanten

Immer mehr Maschinen- und Anlagenbauer verbessern den Mehrwert ihrer Investitionsgüter mit Zusatzsoftware, die Funktionen aus dem MES-Spektrum abdeckt. Dabei muss das Portfolio nicht zwangsläufig im eigenen Haus entwickelt werden. Mit der passenden Methode lässt sich auf dem breit gefächerten Markt ein langfristiger Partner für das eigene Softwaregeschäft finden.

Bild: Trovarit AG
Bild: Trovarit AG

Schon immer entwickeln die Unternehmen des Maschinen- und Anlagenbaus verschiedene Differenzierungsmodelle und -strategien, um sich auf dem Markt gegenüber ihren Wettbewerbern abzuheben. Langfristige Vorteile erhoffen sich die Hersteller dabei nicht mehr nur durch technologische Vorteile ihrer Maschinen und Anlagen. Viele Unternehmen suchen zusätzliche Leistungskomponenten, die ihren Kunden einen Mehrwert bringen. Beispiele hierfür sind Full-Service-Lösungen für den Anlagenbetrieb vor Ort bis hin zur Übernahme entsprechender Garantien. Aber auch Zusatzausstattungen etwa für die Planung und die Steuerung von Produktionsaufträgen stellen für viele Käufer einen Zusatznutzen dar. Dabei sind die Prozessbereiche meist besonders interessant, die funktional im Spektrum von Manufacturing Execution-Systeme liegen:

  • Produktionsplanung und -steuerung
  • Planung und Verwaltung der Maschinen und Werkzeuge
  • Erfassung von Auftrags-, Prozess-, Maschinen- und Werkzeugdaten
  • Planung und Steuerung von Instandhaltungsaufgaben
  • Planung und Steuerung von Qualitätssicherungsaufgaben
  • Erfassung, Verwaltung und Austausch von Information.

Für Unternehmen, die solche Zusatzangebote aufnehmen möchten, stellt sich die Frage, ob die Software selbst entwickelt werden muss oder ob ein bereits auf dem Markt verfügbares ME-System zum Portfolio passt. Um das zu beantworten, müssen Unternehmen unter anderem evaluieren:

  • Unter welcher Marke wird das künftige Zusatzsystem angeboten?
  • Welche Kompetenzen müssen für die Vermarktung aufgebaut werden?
  • Wer führt Schulungen und Anwendersupport durch?
  • Wer übernimmt die Weiterentwicklung des Systems?

Besonders langfristige Partnerschaft gesucht

Soll für das Angebot eine Partnerschaft mit einem externen Softwareunternehmen aufgebaut werden, sollte dem Auswahlprozess besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden. Für die Suche müssen die beschlossenen Strategien in Anforderungen umformuliert werden. In Verbindung mit den Ansprüchen an die Funktionen und das Technikfundament ergeben sich Suchparameter, die denen klassischer Auswahlverfahren ähneln.

Mit klassischer Methode zum passenden Partner

Am günstigsten ist es, den Markt möglichst umfassend nach geeigneten Partnern zu durchsuchen. Sehr effizient können Recherchen über spezielle Suchmaschinen und Online-Plattformen beginnen. Der Auswahlprozess leitet sich aus den wesentlichen Elementen der klassischen Anbieter- und Systemauswahl ab. Das Anforderungsprofil enthält dabei drei wesentliche Bereiche:

  • Prozess- und funktionsbezogene Anforderungen
  • Produktbezogene Anforderungen
  • Anbieterbezogene Anforderungen

Die prozess- und funktionsbezogenen Anforderungen werden bei einer Partnersuche in einem recht groben Detaillierungsgrad formuliert. Wie die Erfahrung aus den Projekten zeigt, besteht in dieser Phase regelmäßig noch Orientierungsbedarf, der durch ein zu enges Anforderungsprofil nicht beeinträchtigt werden darf. Hier geht es noch nicht um den verbindlichen Vertrag, sondern um einen belastbaren Überblick über die Leistungsfähigkeit der verschiedenen Systeme. Die produktbezogenen Anforderungen betreffen etwa Umfang, Struktur und Technologie des gewünschten Systems. Die Grundlagen bilden die eigenen Kapazitäten und Kompetenzen sowie bereits bekannte Randbedingungen. Anforderungen entstehen aus typischen Fragen wie:

  • Auf welcher Entwicklungsplattform wurde das System erstellt?
  • Welches Datenbanksystem liegt dem System zugrunde?
  • Wie sind prinzipiell die Datenmodelle angelegt?
  • Welche Modularität und Skalierbarkeit besitzt beziehungsweise ermöglicht das System?

Ob der künftige Systemzulieferer zumindest den früh ermittelten Anforderungen entspricht, ergibt sich oft aus folgenden Fragen:

  • Welche Größe soll der zukünftige Partner minimal oder maximal besitzen?
  • Welche Kapazitäten und Kompetenzen soll der zukünftige Partner in den Bereichen Marketing, Vertrieb, Entwicklung, Service und Support besitzen?
  • Ist der zukünftige Partner bereit, sein Produkt teilweise oder ganz unter einer fremden Marke zu vertreiben?
  • Welche Voraussetzungen muss das zukünftige Partnerunternehmen besitzen, um bedeutende Unternehmensanteile daran oder gegebenfalls das gesamte Unternehmen erwerben zu können?

Die Erfahrung zeigt, dass vor allem die Frage der optimalen Größe des zukünftigen Partners einer längeren Diskussionsphase bedarf, nicht zuletzt vor dem Hintergrund, welche Vorstellungen das suchende Unternehmen zur künftigen Aufgabenverteilung bereits festlegen konnte. Für alle gemeinsam zu erarbeitenden Anforderungen ist die Verwendung von Bibliotheken mit Vorschlägen für typische MES-Anforderungen sinnvoll. Sie müssen gegebenenfalls gemäß der geringer geforderten Granularität in geeigneter Form gekürzt und angepasst werden. Neben den genannten Anforderungen werden zudem Referenzen sowie das Preisniveau für das jeweilige System abgefragt. Letztere Angabe hat für das suchende Unternehmen einen rein informativen Charakter. Da der Ausschreibung keine konkrete Zahl an Usern zugrunde gelegt werden kann und soll, wird hier ein Preis gemäß einem fiktiven Szenario abgefragt.

Christian Müller arbeitet im Competence Center MES bei der Trovarit AG.
Christian Müller arbeitet im Competence Center MES bei der Trovarit AG.

Nur die Hersteller in die Vorauswahl aufnehmen

In der anschließenden Marktrecherche werden in Frage kommende Adressaten für die Ausschreibung gewählt. Dabei werden die oben aufgeführten anbieterbezogenen Anforderungen berücksichtigt, soweit diese bereits nach der Datenlage bekannt sind. Eine Vorselektion beinhaltet zudem die beschriebenen Prozessbereiche, auf denen der Auswahlschwerpunkt liegen soll. Eine wesentliche Voraussetzung für die Adressatenvorauswahl ist, dass es sich um Hersteller der angebotenen Systeme handeln muss. Eine oft formulierte Anforderung ist zudem, dass der Adressat seit längerer Zeit ein relevanter Anbieter auf dem Markt ist. Die Ausschreibung wird schließlich analog zu einem klassischen Auswahlverfahren gegenüber den Adressaten publiziert. Typischerweise legt das suchende Unternehmen in dieser ersten Phase Wert auf Anonymität. Das bedeutet, die Adressaten erfahren zunächst nur abgestimmte Randdaten zum Urheber der Ausschreibung. Eine besondere Bedeutung kommt dabei im Falle der Partnersuche zweifellos den Anforderungen zu, die noch unter Vorbehalt stehen. Die hierzu gestellten Fragen an den Anbieter entziehen sich der auto­ma­tisierten arithmetischen Auswertung. Sie müssen einzeln gelesen, gemeinsam interpretiert und bewertet werden.

Vom Zahlenwerk zum Partner gelangen

Als Ergebnis der Ausschreibung werden bis zu sechs Anbieter und Systeme für den nächsten Auswahlschritt bestimmt. In diesem Schritt geht es darum, vom Zahlenwerk zum möglichen Partner zu gelangen. In einem Präsenztermin sollen sich die Anbieter mit ihren Systemen präsentieren. Ebenso wie in jeder anderen Systemauswahl wird hierzu gemeinsam mit dem suchenden Unternehmen eine detaillierte Präsentationsvorgabe erstellt, die beispielsweise mehrere der folgenden Schwerpunkte beinhaltet:

  • Vorstellung des Anbieterunternehmens
  • Allgemeine Vorstellung des Produktes
  • Marketing- und Vertriebsstrategien
  • Strategien für Entwicklung und den Support
  • Vorhandene Tools und Methoden für die Implementierung
  • Bearbeitung einer konkreten beispielhaften Problemstellung

Im Unterschied zu einer üblichen Systemauswahl wird der Vorstellung von Anbieter und System sowie den möglichen Randbedingungen einer Partnerschaft mehr Zeit eingeräumt. Nach der Bewertung der Präsenztermine endet der Auswahlprozess und die Ausgestaltung und Verhandlung des Vertrags beginnt.